Der frühere Bremer Fußballprofi Uli Borowka spricht mit Häftlingen in Billwerder über seine Alkoholsucht

Billwerder. Beifall gab es auch früher, doch war die Kulisse damals ganz anders, viel gewaltiger. Aber vielleicht stimmte Uli Borowka der Zuspruch am Sonntagnachmittag in der Justizvollzugsanstalt Hamburg-Billwerder zufriedener als die Ovationen einst in den Fußballstadien. Schließlich wissen die Häftlinge aus eigener Erfahrung, wie es ist, wenn man ins Abseits gerät. In beeindruckender Art schilderte der ehemalige Nationalspieler, wie er „aus der Gosse zurück ins Leben“ kam.

Mehr als 30 Insassen waren im Kirchenraum des Gefängnisses zusammengekommen, um mit dem 52-Jährigen zu diskutieren. Schon das erste Kapitel unter der Überschrift „Abpfiff“ hatte es in sich. Borowka las vor, wie er sich 1996 nach 16 Jahren Alkoholabhängigkeit das Leben nehmen wollte. 14 Stunden war er ohne Bewusstsein, konnte jedoch gerettet werden.

„Wie sind Sie in die Sucht reingerutscht?“, wollte ein Häftling anschließend wissen. „Wie war der Entzug?“, fragte ein anderer nach. „Warum haben Ihnen Mitspieler und Freunde nicht geholfen?“. Eine spannende Diskussion kam in Gang.

Denn der Titel seines Buchs „Volle Pulle“ war auch Programm seines Lebens als Profikicker. Der Sauerländer stand auf dem Rasen kompromisslos seinen Mann, verdiente sehr viel Geld. Am Ende blieb ein Schuldenberg. Immer öfter hatte die schillernde Scheinwelt des Profifußballs zum Griff zur Flasche verführt. Mit verheerenden Folgen: Der gelernte Maschinenschlosser, der mit Werder Bremen Triumphe in Serie feierte, geriet wegen häuslicher Gewalt, Saufexzessen und Autofahrten im Suff in die Schlagzeilen. 1996 verursachte er stark alkoholisiert einen schweren Verkehrsunfall.

„Das Thema seines Buches ist auch wichtig für unsere Arbeit“, sagte Anja Howe. Die engagierte Abteilungsleiterin der entlassungsvorbereitenden Station mit 27 Jahren Vollzugserfahrung saß unter den Zuhörern. Via Facebook hatte sie Kontakt mit Borowka aufgenommen und eine spontane Zusage geerntet: „Er hat es geschafft und ist damit ein Vorbild für unsere Insassen.“

In der 1800 Bände umfassenden Gefängnisbibliothek stehen zwei – häufig ausgeliehene – Borowka-Bücher. „Sucht ist ein gesellschaftliches Problem“, sagte der Autor. Nicht nur im Strafvollzug, sondern auch im Profisport seien viele Menschen von Alkohol, Drogen, Medikamenten und Glücksspiel abhängig. „Bekannte Profis zählen dazu“, ergänzte Borowka. Nach einer Untersuchung der internationalen Spielervereinigung sind 19 Prozent der aktiven und 36 Prozent der ehemaligen Berufsfußballer betroffen. Doch wisse in der Öffentlichkeit kaum jemand davon. Der Deutsche Fußball-Bund und andere Organisationen reagierten abweisend und hilflos. Offenherzig schilderte der ehemalige Nationalspieler den persönlichen Niedergang. Der Untertitel seines 2012 erschienen Buches sagt alles: „Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker.“ 1997 in die polnische Liga gewechselt, wurde sein Vertrag in Lodz wegen andauernden Alkoholkonsums nicht verlängert. Der Abstieg in die Amateurklasse und in die private Isolation war die Folge.

„Irgendwann hat es gereicht“, berichtete Borowka den Häftlingen. „Im Jahr 2000 habe ich mein Schicksal in die Hand genommen und dem Alkohol die rote Karte gezeigt.“ Vier Monate dauerte die stationäre Entzugstherapie in der Fachklinik Bad Fredeburg im Hochsauerlandkreis, dann hatte er seine Alkoholkrankheit besiegt. Bis heute.

Auch im Gefängnis ging er mit sich selbst hart ins Gericht. Die 2003 eröffnete Vollzugsanstalt Billwerder ist mit 675 Haftplätzen die größte in Hamburg. Sie ist zuständig für die Unterbringung von erwachsenen Männern, die Strafen von bis zu drei Jahren verbüßen.

Mit geradezu brutaler Ehrlichkeit schilderte Uli Borowka seinen Aufbruch aus dem Abgrund zurück ins Leben. Aktuell lebt er mit seiner zweiten Ehefrau, einer Polizeikommissarin, die ihm zur Wende verhalf, und einer gemeinsamen Tochter in Berlin. Beide gründeten mit ein paar Gleichgesinnten am Prenzlauer Berg einen gemeinnützigen Verein für Suchtprävention und Suchthilfe. Ansprechpartner sind Kinder aus suchtkranken Familien, aber auch Profisportler mit Alkoholproblemen. Veranstaltungen mit Fanclubs oder Sportvereinen und Lesungen sollen dazu beitragen, Schwierigkeiten früh zu erkennen und wirkungsvoll bekämpfen zu können.

Und von wegen „Uli, die Axt“: In Billwerder präsentierte sich Borowka als nachdenklicher, von Lebensfreude geprägter Mensch mit viel Gefühl und Verständnis für die spezielle Zuhörerschaft. „Ich freue mich an jedem Morgen auf den neuen Tag“, sagte er zum Schluss. Auch das machte Eindruck.