Rüdiger Jöns muss bei der Querung Seglern den Vortritt lassen. Hält er sich an diese Vorschrift, ist eine Überfahrt oft kaum möglich.

Brodersby/Schleswig. Wenn Rüdiger Jöns mit der Fähre ablegt, dann verstößt er oft gegen die Regeln. Zumindest in der Hauptsaison täglich zwischen 12 und 18 Uhr. Dann ist viel los – auf der Straße und auf dem Wasser. Jöns ist Pächter der Schleifähre Missunde. Er bringt nördlich von Eckernförde etwa 100.000 Autos jährlich über den Meeresarm der Ostsee, der sich über eine Strecke von 42 Kilometern weit ins Land bis nach Schleswig zieht. In Missunde verengt sich die Schlei auf rund 100 Meter.

Deswegen gibt es hier bereits seit mehr als 500 Jahren eine Fährstelle. Das Logo der Fähre nennt das Jahr 1471. Aber da Missunde bereits 1115 als „Versundt“ in historischen Quellen genannt wird, dürften hier schon viel früher Menschen per Boot von der einen zur anderen Seite gebracht worden sein. Die Fähre und Missunde gehören untrennbar zusammen.

Noch heute ermöglicht die Fähre den kürzesten Weg von Flensburg nach Kiel, sie wird aber vor allem von Touristen genutzt. Genau dann, wenn zur Hauptverkehrszeit viele von ihnen mit Auto oder Fahrrad unterwegs sind, schippern auch viele Segler über die Schlei. Rüdiger Jöns muss dann Vorfahrt gewähren. Das sei in der Saison aber oft gar nicht möglich.

„Die Wasserschutzpolizei hat mir gesagt, ich soll erst fahren, wenn kein Schiff mehr um die Ecke kommt“, sagt Jöns. „Das kommt im Juni, Juli und August zwischen 12 und 18 Uhr kaum vor.“ Viele Segler verzichteten zwar auf die Vorfahrt. Die Berufsschifffahrt gehe für sie vor. Andere pochten auf ihr Recht – laut Jöns sind es meist Einheimische.

Die Fähre wird an einem Seil geführt, das nahe an der Wasseroberfläche gespannt ist und erst wieder in der Tiefe liegt, wenn die Fähre am anderen Ufer angelegt hat. Nur dann können Schiffe somit sicher passieren. Andernfalls könnte ein Boot das Seil rammen, und das wird teuer. Für den Skipper, aber möglicherweise auch für die Fähre und ihre Versicherung. Denn immer wieder zeigen Segler die Fähre an, weil sie ihnen die Vorfahrt genommen habe.

Aufgrund des gestiegenen Verkehrs nähmen die Probleme zu, meint auch der Pächter der zweiten Schleifähre in Arnis bei Kappeln. „Es gibt von Jahr zu Jahr mehr Segler, viele nehmen keine Rücksicht auf die Fähre und erzwingen ihr Recht“, heißt es aus dem Arniser Fährhaus. Auch dieser Fährpächter stand schon mehrmals vor Gericht.

Der Missunder Fährmann ist nun mit seiner Geduld am Ende. „Wenn viele Anzeigen drohen, mache ich Dienst nach Vorschrift“, sagt Jöns. Müssten die Autofahrer jedoch lange warten, kehrten sie um oder kämen nie wieder. „Dann muss ich die Betriebszeiten ändern und vielleicht einen Mitarbeiter entlassen.“ Statt „Fährmann hol över“ heißt es dann immer öfter „Fährmann blifft liggen“.

Jöns hat Angst, dass er oder seine beiden Angestellten wegen möglicher Strafanzeigen demnächst gar nicht mehr fahren dürfen. Diese Sorge kann ihm die Wasserschutzpolizei in Kappeln nehmen. Dort ist das Problem der beiden Schleifähren bekannt. Man wisse, dass es in der Saison kaum möglich sei, sich an die Regeln zu halten und setze auf Rücksicht. Ein Fahrverbot würde erst verhängt, wenn ein Fährmann bewusst auf Kollisionskurs gehe. Das macht Jöns nicht, er geht stattdessen auf Kollisionskurs mit der Vorfahrtsregelung. Bis in die 80er-Jahre habe die Fähre Vorfahrt gehabt, was sich mit der Hochstufung der Schlei zur Bundeswasserstraße geändert habe, so Jöns. Er fordert eine Rückkehr zur alten Regelung. Das Land Schleswig-Holstein, das die Fähre an Jöns verpachtet hat, sieht keinen Handlungsspielraum. „Das ist eine Seeschifffahrtsstraße, dafür ist der Bund zuständig“, heißt es aus der Pressestelle des Kieler Verkehrsministeriums. Im Berliner Pendant verweist ein Sprecher darauf, dass die Schlei nach dem Bundeswasserstraßengesetz ein „durchgehend betonntes Fahrwasser“ sei. „Die Fähre hat sich nach den Regeln zu richten.“ In der entsprechenden Verordnung werde auf „internationale Kollisionsverhütungsregeln“ verwiesen. Über Pläne, die Vorschriften zu ändern, sei nichts bekannt. Er verweist auf eine vergleichbare Situation auf der Trave. Dort betreibt der Stadtverkehr Lübeck (SVL) mehrere Fähren zum Priwall. Die Vorfahrtsregelung ist mit der auf der Schlei identisch, aber: „Für uns ist das kein Problem, die Fähren sind wendig“, sagt Carolin Höhnke vom SVL.

Wendig ist die Schleifähre mit ihrem Seil nicht. „Eine frei fahrende Fähre würde sich hier nicht lohnen“, sagt Fährpächter Jöns, bei dem Autofahrer für eine Überfahrt derzeit 2,20 Euro zahlen müssen. „Ich müsste den Preis auf 5 bis 6 Euro erhöhen, dann fährt keiner mehr rüber.“ Eine Lösung des Dilemmas ist nicht in Sicht.