Kommission legt Abschlussbericht zu Missbrauch in der Nordelbischen Kirche vor. Mindestens 14 Pastoren haben sich an Minderjährigen vergangen.

Hamburg/Ahrensburg. 500 Seiten dokumentieren eine Schande: Der am Dienstag von einer unabhängigen Kommission vorgelegte Schlussbericht zur Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in der ehemaligen nordelbischen Kirche beschreibt, dass mindestens 14 Pastoren über Jahrzehnte Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht oder belästigt haben. Diese waren 13, 14 oder 17 Jahre alt. Zeugen berichten, dass etwa im Fall des Ahrensburger Pastors Dieter K. vor allem in den 1980er-Jahren bei Jugendtreffen reichlich Alkohol floss, damit die Hemmschwelle sank. „Dieser detailgenaue Bericht bietet Einblicke in eine furchtbare Realität“, sagte Hamburgs und Lübecks Bischöfin Kirsten Fehrs. Es sei „erschütternd und beschämend“, dass es unter dem Dach der Kirche so viel Gewalt gegeben habe. „Wir als Institution sind schuldig geworden und haben den Tätern in die Hände gespielt.“

Die evangelische Kirche hatte 2012 als Folge aus dem Ahrensburger Missbrauchsskandal eine unabhängige Expertenkommission aus Juristen, Sozial- und Erziehungswissenschaftlern eingesetzt. Zu ihnen gehört auch Ursula Enders, Mitbegründerin und Leiterin von „Zartbitter“ in Köln, einer Kontaktstelle gegen Kindesmissbrauch. Mit zwölf Opfern führten die Experten lange Interviews, darüber hinaus stellten 20 Betroffene ihre Berichte zur Verfügung. Zahlreiche Zeugen wurden befragt. Am Ende formulierte die Kommission 155 Empfehlungen an die Nordkirche.

Bischöfin Fehrs stellte bei der Präsentation des Abschlussberichts einen Zehnpunkteplan gegen sexuellen Missbrauch in der Kirche vor. Dazu gehören ein kirchliches Beschwerdemanagement, der Einsatz von qualifizierten Fachkräften in der Arbeitsstelle für sexualisierte Gewalt sowie in einem Kriseninterventionsteam. Das soll im Akutfall die Betroffenen und Verantwortlichen vor Ort unterstützen.

Nach Angaben von Ulrike Murmann, Pröpstin und Hauptpastorin im Kirchenkreis Hamburg-Ost, wird die Kirche künftig besser darauf achten, dass interne und externe Fachleute wie Psychologen und Traumatherapeuten bereitstehen. Die Experten hatten in ihrem Bericht mehrfach das Fehlen einer kompetenten Krisenintervention in der Nordkirche beklagt. Außerdem ist geplant, dass die „Abstinenz von sexuellen Kontakten und Beziehungen“ in der Jugendarbeit und Seelsorge dienstrechtlich und in den Arbeitsverträgen festgeschrieben wird. Wer in der Kinder- und Jugendarbeit arbeiten will, muss ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen. Zudem sollen Haupt- und Ehrenamtliche eine Verpflichtungserklärung für „grenzachtendes Verhalten“ abgeben.

Ausführlich hatte die Expertenkommission das Handeln der kirchlichen Vorgesetzten untersucht und Versagen auf breiter Front festgestellt. Im Ahrensburger Fall werfen die Experten einer inzwischen pensionierten Pröpstin, die zugleich Oberkirchenrätin war, Amtspflichtverstöße vor. „Sie hat die erhaltenen Informationen, die gravierende Anhaltspunkte für schweres Fehlverhalten eines Pastors boten, nicht unverzüglich an das Kirchenamt weitergeleitet“, heißt es in dem Schlussbericht. Zudem fehle „jegliche Dokumentation der geführten Gespräche“. Wie Bischöfin Kirsten Fehrs ankündigte, erwägt die Kirchenleitung ein Disziplinarverfahren gegen die ehemalige Oberkirchenrätin wegen mutmaßlicher Verletzung der Dienstaufsichtspflichten. Im extremen Fall kann es zur Aberkennung der Ordinationsrechte kommen.

Anselm Kohn, Mitbegründer des Vereins Missbrauch in Ahrensburg, nahm mit Missbrauchsopfern an der Präsentation des Abschlussberichts teil. In einer ersten Stellungnahme würdigte er am Rande einer Pressekonferenz die Aufklärungsarbeit der Kirche, kritisierte aber, dass lediglich ein Disziplinarverfahren gegen eine Vorgesetzte in Aussicht gestellt sei. Bischöfin Fehrs sagte: „Der Bericht wird viele aufwühlen. Ruhe wird es erst einmal nicht geben.“ Seit Dienstagnachmittag steht die Studie nach einer Entscheidung der Kirchenleitung komplett im Internet: www.kirchegegensexualisiertegewalt.nordkirche.de.

Die Taten des Ahrensburger Pastors waren 2010 öffentlich bekannt geworden. Der inzwischen aus dem Dienst entlassene Geistliche hatte eingeräumt, über Jahrzehnte hinweg Jugendliche missbraucht zu haben. Das Versagen der Kirche im Umgang mit dem Fall hatte den Rücktritt von Bischöfin Maria Jepsen ausgelöst. Von 1993 bis 2012 wurden in der Nordelbischen Kirche 16 Disziplinarverfahren gegen 14 Pastoren wegen sexueller Handlungen an Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen geführt. Betroffen waren, so heißt es in dem Bericht, in der Mehrzahl Jugendliche vor und nach der Konfirmation.