Hendrik Harwege baut 50 Sorten an: gelbe, pinke, grüne, blaue, schwarze und rote. So hält er den 350 Jahre alten Familienbetrieb am Leben.

Ahndorf. Vor sieben Jahren hatte Hendrik Harwege die Wahl. Entweder sein Vater führt den 350 Jahre alten Familienbetrieb noch bis zur Rente und dann ist Sense. Oder er gibt seinen Bioladen in Eppendorf auf und setzt daheim in Ahndorf auf Veränderung, investiert und wagt das Weitermachen. Gerade läuft die Ernte seiner 50 verschiedenen Tomatensorten auf Hochtouren. Harwege bedient eine Lifestyle-Kundschaft. Doch solche Trends sind schnelllebig.

Ahndorf ist das fünfte Dorf hinter der Bundesstraße zwischen Lüneburg und der Elbe. Elbe klingt nach Vierlanden und Marsch. Dafür ist der Fluss hier aber zu weit weg, Hof und Ländereien liegen auf dem trocken-sandigen Boden der Lüneburger Heide. Bis 1650 lässt sich die Familie Harwege mit ihrem Hof im Dorf nachvollziehen. Wer den jüngsten Spross, 34, nach seiner Verantwortung fragt, dem antwortet er: „Man will nicht der Letzte sein.“

Nach der Ausbildung zum Gemüsebauern hatte Hendrik Harwege einen Bioladen am Eppendorfer Weg. 4,50 D-Mark kostete 1999 ein Pfund Butter der Marke Demeter, dem Biosiegel mit dem höchsten Standard in Deutschland. Eine Zahl, die das ganze Dilemma der heutigen Biobauern erzählt: Denn die Butter kostet heute kaum mehr.

„Für die Preise ist die Produktion von Bio in Deutschland kaum mehr möglich“, sagt der Bauer, der auch Kaufmann sein muss. „Meinen Kampf führe ich gegen Produzenten in China, Marokko, Italien, Spanien und den Niederlanden. Die Preise müssen sich ändern, sonst haben wir bald niemanden mehr, der das macht.“

Sein Problem: Er braucht dreimal so viel Personal, hat nur 50 Prozent des konventionellen Ertrags und weit mehr Ausfall. Dreimal so hoch wie in Südeuropa seien seine Löhne, während die Niederlande mit technischem Vorsprung punkten: „In dem harten Winter vor vier Jahren sind meine Treibhäuser zusammengebrochen. Seither habe ich für 700.000 Euro gebaut. Nach niederländischem Standard mit Heizung und allem Pipapo hätten die mich 1,4 Millionen gekostet. Das bekomme ich nicht finanziert.“

Den Kredit habe er nur bekommen, weil die Familie Ackerländereien besitzt, 40 Hektar und sieben Hektar Wald.

Sieben Jahre nach seiner Wahl ist Harweges Hof der größte Treibhaus-Produzent der Region, der nächstgrößere ist Sannmann an der Dove Elbe in Hamburg, ebenfalls Demeter-zertifiziert. „Es ist verrückt. Biobauern können sich heute nur noch über Größe definieren – das, was wir nie wollten“, sagt Harwege.

Georg Janßen arbeitet seit mehr als 30 Jahren in der Branche, als Bundesgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft streitet er von seinem Schreibtisch in Lüneburg aus für konventionelle Landwirte und Ökobauern im ganzen Land: für soziale und umweltverträgliche Bedingungen. „Die Debatte um regional erzeugte Lebensmittel bekommt eine stärkere Bedeutung, auch bei Supermarktketten“, sagt Janßen. „Die Kunden, die vernünftig und schön essen wollen und denen das etwas wert ist, werden immer mehr. Darauf muss die Biobranche setzen. Auch wenn es insgesamt noch immer viel zu wenige sind, hat sich in den vergangenen Jahren doch Erhebliches getan.“

Ob Bio ausreichend bezahlt werde, darüber müsse man streiten. Doch Produzent und Konsument müssen da zusammenkommen, das ist dem Lobbyisten klar. Vielfalt nehme immer weiter ab, sagt Janßen. „Es gibt wenige Hochertragssorten. Wer anders arbeitet, muss sich selbst seinen Markt suchen.“

Hendrik Harwege tut genau das. Die Nische, die der Vater für die Ernährung seiner Familie gesucht und gefunden hat, sind Lifestyle-Produkte: Wildkräutersalate sowie Pimientos und bunte Tomaten sind hip. Und verschaffen ihm zehn Prozent Plus in jedem Jahr seit 2007. Er verkauft auf den Wochenmärkten in Eppendorf, Lohbrügge und Bergedorf, seit sechs Jahren auch in Lüneburg. Um diesen Platz hatte sich Vater Hans-Heinrich beworben – vor 20 Jahren.

Größte Leidenschaft des 34-Jährigen sind seine Tomaten. Mit zwölf Sorten hat er vor vier Jahren das Experimentieren begonnen, heute sind es 51, kommendes Jahr sollen es 65 sein. „Tomaten sind wie ein Haushund. Ich bin zweimal in der Woche bei ihnen, binde sie hoch, geize sie aus (Entfernen von Trieben, die Red.). Das verschafft einen ganz anderen Bezug als zur Möhre, die ich nur säe und ernte.“

Seine Pinkies sind magenta, Ochsenherz und Roma orange, Goldene Königin, Ananastomate und Bananentomate gelb, Black Cherry und Blueberry dunkelblauschwarz, Green Doctors grün, Tigerella gestreift – und Tastery, die Sorte mit dem höchsten Ertrag, tatsächlich rot.

Bis zu 60 Kilogramm Ertrag bringt die Cocktailtomate pro Quadratmeter, bei der Datterino sind es zehn bis 15. Je nach Sorte kosten Harweges Tomaten auf dem Markt zwischen 2,50 Euro und zwölf Euro das Kilo. Teuerste ist die Solarino, ihre Früchte sind so klein, dass sie nur fünf Gramm wiegen.

Seit zwei Monaten läuft in Ahndorf die Ernte – und jetzt schmecken die Tomaten am besten, sagt Harwege. Denn je höher die Früchte sitzen, desto leckerer sind sie. Und dafür muss die Pflanze bis zu sechs Wochen wachsen.

In zehn Jahren wird der Gemüsebauer seine Investition abbezahlt haben, sagt sein Geschäftsplan. Dass er dann immer noch mit Wildkräutersalaten, Pimientos und bunten Tomaten das größte Geschäft macht, ist zu bezweifeln. Das weiß der Bauer nur zu gut. „Von Kohl kann ich nicht leben, die Umsatzbringer sind Trendprodukte“, sagt Harwege. „Die sind aber nur so lange gut, bis die Großen sie kopieren. Dann müssen wir uns etwas Neues einfallen lassen.“ Damit die Familientradition weitergeht.