Hunderte Ehrenamtliche werben für Schneverdingen in der Lüneburger Heide. Ihre neuen Projekte: Kino und Bürgerbus.

Schneverdingen. Carsten Bargmann ist ein hartnäckiger Mann. Vielleicht weil der promovierte Agraringenieur die Erzeugergemeinschaft Obst, Gemüse und Blumen auf dem Hamburger Großmarkt vertritt. Er kennt sich aus damit, nicht locker zu lassen. Und hat es in seiner Heimat Schneverdingen damit so weit gebracht, dass in der Kleinstadt jetzt ein Kino eröffnet. Das ist nur ein Beispiel, wie sich der Ort in der Lüneburger Heide vor dem Aussterben retten will.

Dabei ist die Not noch gar nicht da. Leerstand bei Ladenflächen etwa? Fehlanzeige. Die Einwohnerzahl liegt zwar unter 20.000, steigt aber jedes Jahr um etwa 50 – im Unterschied zu allen anderen Gemeinden in der niedersächsischen Nachbarschaft. Familien bekommen beim Grundstückskauf für jedes Kind Rabatt, der städtische Haushalt ist seit Erfindung der Buchhaltung ausgeglichen. Das sind traumhafte Zustände in Zeiten eher katastrophaler kommunaler Kassenlagen und schrumpfender Dörfer auf dem Land.

Dass aber auch der „Heidekönigin“ (Eigenwerbung) Schneverdingen Verarmung und Verödung drohen, wenn die Infrastruktur nicht stimmt, hat man hier durchaus erkannt. Und zwar nicht nur die Menschen an den Schreibtischen von Verwaltung und Politik, sondern vor allem die Bürger selbst.

Bürger wie zum Beispiel Dr. Carsten Bargmann, der hartnäckige Agraringenieur. „Wir wollten hier mal was erleben“, sagt der 53-Jährige kurz und bündig auf die Frage, wie es dazu gekommen ist, dass in Schneverdingen mehr als 1000 Menschen Mitglieder in Vereinen sind, die in irgendeiner Weise etwas für die Stadt tun. Allein Bargmanns Kulturverein ist in zehn Jahren von weniger als 100 auf fast 800 Mitglieder angewachsen. Und wurde so selbstbewusst, ein auf den ersten Blick für die kleine Stadt zu großes Projekt zu planen: ein eigenes Kino.

Die Politik lehnte das Kino erst einmal ab, dann fanden sich Spender

Mit seiner Idee ist Bargmann zu den Fraktionen gelaufen. Er wurde ausgelacht. „Man wurde untergebuttert“, formuliert es der Mann mit den kräftigen Händen, „und man ist drangeblieben.“ Auf einmal waren sie dann aber da, die ersten Unterstützer und Förderer. Und jetzt steht in Schneverdingen ein digitales Kino mit 54 Sitzplätzen und 3-D. Investitionsvolumen: 250.000 Euro. Finanziers: private Spender, Nordmedia Fonds GmbH, Filmförderungsanstalt Berlin, Lüneburgischer Landschaftsverband und die Stadt selbst. Träger ist der Verein Lichtspiel, das Personal arbeitet ehrenamtlich: vom Programm übers Popcorn bis zum Putzen. Zur Premiere lief „Grand Budapest Hotel“.

Heinrich Mahnken ist ein entspannter Mann. Auch er ist so einer, der in Schneverdingen etwas ins Rollen bringt. Den 72-Jährigen stört seit Jahren, dass im Sommer kein einziger Bus fährt – Stichwort Sommerferien. Also hat er die Parteien angeschrieben, beim Kreisseniorentag mit 250 Besuchern seine Idee vorgestellt: Wir gründen einen Bürgerbus. Ehrenamtlich gesteuert von Rentnern mit Personenbeförderungsschein, offiziell angemeldet und genehmigt von der Landesnahverkehrsgesellschaft. Jetzt gibt es drei Ringlinien mit 79 Haltestellen an sechs Tagen in zwei Schichten: Ab dem neuen Winterfahrplan soll niemand mehr aufs Auto angewiesen sein, um zum Sport, Arzt oder Supermarkt vom Dorf in die Stadt zu kommen.

450 Fahrgäste im Monat braucht es, damit sich das Angebot trägt. Mit wie vielen er rechnet? „Fragen Sie mich in einem Jahr noch einmal.“ Ob die Linie denn pünktlich sei? „Wir sind doch gestandene Menschen.“ Wie aufwendig das Ganze war? „Hätten wir das vorher gewusst, hätten wir es gleich sein lassen.“ Der pensionierte Maschinenmeister hat zu jeder Antwort herzlich gelacht. Heinrich Mahnken ist eben ein entspannter Mann.

Fünf Arbeitsgruppen gibt es im Stadtmarketing-Prozess Schneverdingen insgesamt. Privatleute, Verwaltung, Politik und Wirtschaft arbeiten hier Hand in Hand. „Die breite Mitwirkung ist der Garant dafür, dass die Projekte so realisiert werden, wie sie ursprünglich angedacht waren“, sagt Meike Moog-Steffens, parteilose Bürgermeisterin. „Alle Beteiligten stimmen darüber ab, welche Maßnahmen auf den Weg gebracht werden sollen. Voraussetzungen sind eine hohe Priorität und eine gute Chance auf schnelle Realisierbarkeit.“

Makler und Häuslebauer rufen vorab beim Bürgerbus-Team an

Warum etwas in Schneverdingen funktioniert, was andernorts scheitert? Es ist Roland Schmid, der darauf eine Antwort hat. Der Einzelhändler, 62, weiß zwar, dass es dem Ort heute wirtschaftlich gut geht. Er weiß aber auch, dass das nicht von allein so bleibt. Schon 2005 hat der Kaufmann daher die erste Zukunftskonferenz angestoßen und dafür gesorgt, dass über die Zukunft Schneverdingens nicht allein das Rathaus entscheidet.

„Das hat ein intensives Wir-Gefühl erzeugt. Um uns herum brechen die Dinge ab, auf die wir Wert legen. Wir packen sie gemeinsam an und reden miteinander, anstatt gegeneinander zu arbeiten.“

Und die Werbung zeigt Wirkung. Schon heute rufen Makler und Häuslebauer beim Bürgerbus-Team an und wollen wissen, ob in der Nähe des Neubaugebiets denn eine Haltestelle liegen werde. So kann das Seniorenprojekt zur Standortentscheidung werden.