Die Jüdische Gemeinde in Kiel ist in zehn Jahren stark gewachsen. Die erst 2008 eingeweihte Synagoge bietet schon jetzt nicht mehr genug Platz. Deswegen werden nun größere Räume gesucht.

Kiel. Alles wird blitzsauber geputzt, und auch der kleinste Krümel gesäuertes Brot wird beseitigt. Am Montagabend beginnt in den jüdischen Gemeinden das Pessachfest und die Gemeindemitglieder feiern mit Gästen den Sederabend, der mit symbolischen Speisen und eben ungesäuertem Brot, der Mazze, an den Auszug der Israeliten aus Ägypten erinnert. Nie wieder Diaspora, nie wieder Verfolgung steht als große Hoffnung über der Sederfeier.

Die Jüdische Gemeinde Kiel feiert in ihrer Synagoge aber auch ein Jubiläum. Am 18. April 2004 gründete Liad Inbar die Gemeinde mit 18 Jüdinnen und Juden aus Kiel und Umgebung. Der Gründungsvorsitzende kommt aus Tel Aviv und ist der Enkel eines Mitglieds der Kieler jüdischen Gemeinde vor dem Holocaust. Bereits im Mai 2004 nahm der Jüdische Landesverband Schleswig-Holstein die Kieler Gemeinde als Mitglied auf, wodurch die Gemeinde auch Mitglied im Zentralrat der Juden in Deutschland und in der World Union for Progressive Judaism in Jerusalem wurde. Betreut wird die Gemeinde wie die vier weiteren liberal-jüdischen Gemeinden Ahrensburg, Elmshorn, Pinneberg und Segeberg von Schleswig-Holsteins Landesrabbiner Walter Rothschild.

„Unsere Gemeinde entwickelte sich rasch von 18 Mitgliedern auf heute mehr als 160 Mitglieder“, sagt Walter Joshua Pannbacker, Erster Vorsitzender der Gemeinde. Er ist in Deutschland geboren und zur Schule gegangen, hat in mehreren Staaten, darunter USA, studiert. Dort spürte er als 15-Jähriger erstmals, dass es normal ist, Jude zu sein. „Wir sind eine egalitäre Gemeinde, wir sind für alle jüdischen Richtungen offen, aber auch für Nichtjuden“, sagt Pannbacker, der für die religiöse Bildung der Gemeindemitglieder zuständig ist und große Zukunftspläne hat.

Die 2008 eingeweihte Synagoge ist inzwischen schon wieder zu klein

Anliegen sei es, die jüdische Tradition zu pflegen, aber auch, sie weiterzuentwickeln. „Wir haben keine Berührungsängste und freuen uns sehr, wenn wir nichtjüdische Gäste begrüßen dürfen“, sagt Inna Shames, Zweite Vorsitzende der Gemeinde.

Die promovierte Pädagogin und Sozialberaterin baute das kulturelle Lernangebot der Gemeinde für Kinder, Eltern und Senioren aus und eröffnete mit Pannbacker im Februar 2006 die Sonntagsschule. Viele neue Gemeindemitglieder kamen aus den ehemaligen GUS-Staaten nach Deutschland. Die meisten von ihnen durften jüdische Bräuche nicht praktizieren, kannten sie oftmals nicht und sprachen nur ihre Landessprache. „Wir leisten viel Integrationsarbeit, das geht bis zu Deutschkursen, wir begleiten die Menschen in ihr neues Leben“, sagt Shames. Zuerst bot die Gemeinde in der Sonntagsschule Kinderkurse in musikalischer Früherziehung, Tanz, Theater und Russisch an. Rasch integrierte sich die Gemeinde auch ins öffentliche Kieler Leben und öffnete ihre Synagoge für Besucher.

Der Mitgliederzuwachs hatte aber auch Platznot zur Folge. Im ersten Jahr war die jüdische Gemeinde zu Gast in der Ansgar-Kirchengemeinde am Blücherplatz, es folgten weitere Zwischenlösungen, bis die Gemeinde, die damals 80 Mitglieder zählte, 2008 in der Jahnstraße 3 endlich genug Raum für ein reges religiöses und kulturelles Leben bekam. Die neue Synagoge liegt in unmittelbarer Nähe der alten, 1909 erbauten Synagoge am Kieler Schrevenpark. Die Nazis steckten sie in Brand und rissen sie 1939 ganz ab. Heute erinnert ein Denkmal an die Synagoge.

Mit 160 Mitgliedern ist die Synagoge an der Jahnstraße jetzt bereits zu klein. So fehlt der Synagoge beispielsweise eine Mikwe, das rituelle Tauchbad. Auch eine Empore für Frauen kann das Gebäude heute nicht bieten, daher nehmen orthodoxe Juden dort nicht am Gottesdienst teil, es sei denn, es sind nur Männer oder Frauen anwesend. Auch Raum für eine Seniorentagesstätte und für das Familien-Integrationszentrum kann es aus Platzmangel zurzeit nicht geben. Die Verhandlungen mit der Stadt Kiel über ein neues Gebäude laufen aber bereits. „Wenn wir dann noch ein Kulturzentrum für Ausstellungen, Konzerte, Theater, Vorträge und Kino haben, erfüllt sich unser Traum, und Kiel könnte zum jüdischen Zentrum Schleswig-Holsteins werden“, sagt Pannbacker.

Zur Woche der Brüderlichkeit lädt die Jüdische Gemeinde Kiel, Jahnstraße 3, am 7. Mai, 18 Uhr, zum Vortrag „Vergessen verlängert das Exil, Erinnerung ist das Geheimnis der Erlösung“ mit Landesrabbiner Walter Rothschild ein. Am 14. Mai, 18 Uhr, referiert Walter Joshua Pannbacker über die „Zweite Chance“ und am 21. Mai, 18 Uhr, über „Und Gott redete alle diese Worte“.