An Schleswig-Holsteins Schulen fällt immer wieder Unterricht aus. Einige Eltern führen jetzt über den ausgefallenen Schulunterricht ihrer Kinder Buch und tragen ihre Daten im Internetportal fehlstunden-sh.de ein.

Elmshorn. Langzeiterkrankung. Elternzeit. Ausfälle wegen Kollegen, die die Stelle wechseln. Es gibt viele Gründe, warum an Schleswig-Holsteins Schulen immer wieder Unterricht ausfällt. Was die meisten Schüler freut, ärgert die Eltern kolossal. Da nützt es ihnen auch nichts, dass ihnen in Infobriefen von den Schulen versprochen wird: Man arbeite an dem Problem. Man sei gezwungen, kurzfristig Stunden einzusparen. Und am Ende der Erklärung immer wieder der Satz: „Wir sind mit dieser Situation nicht zufrieden und arbeiten intensiv an einer Lösung. Wir hoffen auf Ihr Verständnis.“

André Tschirner ist das Verständnis ausgegangen. Dem Vater von vier Kindern reicht es. „Meine Frau und ich waren schon an dem Punkt, zu sagen, dann bezahlen wir eben einen Lehrer“, erzählt Tschirner. Fehlstunden würden zur Regel, weil es keinen Ersatz gebe. „Und das sogar, wenn langfristig klar ist, dass zum Beispiel eine Lehrerin wegen Mutterschutzes ausfällt“, sagt der Vertriebsleiter eines Elmshorner Unternehmens. Was er nicht begreift: warum es nicht einmal konkrete Zahlen über den Unterrichtsausfall an Schulen in Schleswig-Holstein gibt. Deshalb zählt André Tschirner jetzt selbst.

Mit Rücksicht auf die Schulen werden nur absolute Zahlen veröffentlicht

Im Kreis Pinneberg führen derzeit etwa 40 Eltern wie Tschirner über den ausgefallenen Schulunterricht ihrer Kinder Buch und tragen ihre erhobenen Daten im Internetportal fehlstunden-sh.de ein. Sie zählten seit Portalstart vor einem Jahr 2350 entfallene Stunden. Im Kreis Rendsburg-Eckernförde wurden bis heute 2290 Stunden eingetragen, Schleswig-Flensburg 4454. Inzwischen füttern landesweit mehrere Hundert Helfer das Portal mit Daten. Bis heute sind rund 17.000 Fehlstunden zusammengekommen – und täglich werden es mehr. An diesem Montag übermittelten Eltern und engagierte Lehrer 24 Fehlstunden.

Die Identität derjenigen, die die ausgefallenen Stunden eintragen, wird gewahrt und mit Rücksicht auf die Schulen werden nur absolute und nicht auf die einzelnen Schulen heruntergebrochene Zahlen auf der Internetseite veröffentlicht. Anhand der Einträge erhoffen sich die Zähler klare Aussagen darüber, wie schlimm das vermutete Fehlstundenproblem im Norden wirklich ist. Tschirner ist seit dem vergangenen Schuljahr mit von der Partie. Täglich spricht er mit seinen Kindern und schaut auf den Vertretungsplan, den das Elmshorner Gymnasium seiner Tochter online stellt. „Es vergeht keine Woche, in der ich nicht ausgefallene Stunden eintrage“, sagt Tschirner.

Das Problem: Zwar müssen Rektoren ans Kieler Ministerium für Bildung und Wissenschaft melden, wenn Kinder nach Hause geschickt werden. Aber Stunden, in denen ein Lehrer zum Beispiel zwei Klassen wegen Krankheit unterrichtet, in denen die Schüler Müll sammeln statt Mathe zu lernen oder sie statt Mathe im Sportunterricht ohne Turnzeug sitzen, bleiben eine schulinterne Information. „Das ist doch kein Unterricht, sondern Verwahrung“, sagt Tschirner. Er ist sich sicher, dass für seine Kinder so viele Stunden ausfallen, dass ihnen auf die gesamte Schulzeit gesehen ein Jahr geplanter Unterricht fehlt. „So wird doch das Potenzial der Kinder nicht ausgeschöpft.“

Zu den Gründerinnen von fehlstunden-sh gehört Alexandra Bauer. Die Mutter aus Altenholz bei Kiel kritisiert, dass es für Eltern kaum möglich ist, zu überprüfen, ob der schulische Bildungsauftrag überhaupt erfüllt wird. „Das gesamte System ist so angelegt, dass Schulleiter nur den Mangel bestmöglich verwalten können. Wir wollen das Land zwingen, ein ehrliches und transparentes Qualitätssicherungssystem einzuführen“, sagt Alexandra Bauer. Sie weiß durch Zuschriften anderer Eltern von Extremfällen, wo Hausmeister den Lehrer ersetzen mussten. Die Naturwissenschaften (insbesondere Chemie und Physik) fallen gemessen am Stundensoll am häufigsten aus und würden praktisch niemals fachlich vertreten. Doch all das tauche in der Statistik des Landes nicht auf.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft begrüßt die Initiative

Um Abhilfe zu schaffen, kam sie mit anderen Eltern auf die Idee, die Internetseite zu entwerfen. „Ein Vorbild gab es dafür nicht. Wir sind Vorreiter. Es gab auch schon Anfragen, ob wir das nicht auf andere Bundesländer ausweiten können. Die Mehrzahl der Länder schönt Statistiken,“ sagt Bauer.

„Niemand will das Thema Unterrichtsausfall kleinreden“, sagt Thomas Schunck, Sprecher des Bildungsministeriums in Kiel. Aber man müsse die von fehlstunden-sh.de ermittelten Zahlen einordnen: Gut 17.000 Stunden Unterrichtsausfall in elf Monaten stünden den allein in einer Woche etwa 450.000 erteilten Stunden gegenüber sowie im Schuljahr 2012/13 mehr als 16 Millionen Unterrichtsstunden an den allgemeinbildenden Schulen in Schleswig-Holstein. Schunck räumt aber ein, dass das bisherige schleswig-holsteinische Erfassungssystem zu Recht in der Kritik steht. „Das Ergebnis von rund zwei Prozent Unterrichtsausfall über alle Schularten hinweg bildet offensichtlich nicht die Realität ab.“ Deshalb soll ein neues System her. „Wir wollen ehrliche Werte zum Unterrichtsausfall, damit wir wissen, woran wir sind“, verspricht Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Waltraud Wende. Ein Ergebnis, das sich die Gründer von fehlstunden-sh.de auf ihre Fahnen schreiben.

Wie es um den Krankheitsstand bei Lehrern steht, ob mehr Unterricht vertreten werden muss als früher und in welchen Fächern, dazu will das Ministerium mit Hinweis auf fehlende valide Zahlen nichts sagen. Wann es dazu klare Aussagen gibt, steht noch in den Sternen. Anders die Gewerkschaft. „Wir beobachten, dass die Belastung für die Lehrer und der dadurch krankheitsbedingte Ausfall steigt. Aber das Ministerium weigert sich, Zahlen zu erheben“, sagt Bernd Schauer, Geschäftsführer der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Schleswig-Holstein. Das derzeitige System sei ein absurdes Zahlenwerk. Die versprochene Abhilfe dauert ihm zu lange. Umso mehr begrüßt er die Initiative der Eltern, mitzuzählen. „Das ist eine gute Idee. Die Zahlen sind ein Fingerzeig.“