Historiker deckt internen Informationsdienst auf. Schlüsselfigur war Hans Joachim Beyer, ein NS-Ideologe. Zielrichtung war es unter anderem, Pastoren zu disziplinieren oder gar kaltzustellen.

Kiel. Ein „Vertraulicher Informationsdienst“ hat die Spitzen der Evangelischen Landeskirche Schleswig-Holstein jahrelang mit Geheiminformationen versorgt, die offenbar zumindest teilweise vom Verfassungsschutz stammten. Das geht aus Recherchen des Historikers Stephan Linck hervor. Die auf blauem Papier gedruckten Informationen wurden mindestens 16 Jahre lang, von 1952 bis 1968, von der Pressestelle der Landeskirche an ausgewählte Adressaten verschickt – verbunden mit dem Hinweis, sie „nach der Lektüre möglichst sofort zu vernichten“. Die Zielrichtung des Gemisches aus Fakten, Gerüchten und Unterstellungen war es unter anderem, Pastoren zu disziplinieren oder gar kaltzustellen, die in dem Verdacht standen, dem Kommunismus nahezustehen oder mit ihm zu sympathisieren.

Diese besondere Form evangelischer Pressearbeit geht nach Erkenntnissen von Linck auf Hans Joachim Beyer zurück, einem der Ideologen des Nationalsozialismus. Beyer war Handlanger von Reinhard Heydrich. Heydrich hatte den Sicherheitsdienst (SD) gegründet, den Nachrichtendienst der SS. Ab 1941 war er als Organisator maßgeblich für den Holocaust verantwortlich, also für die systematische Ermordung von Millionen von Juden. Beyer, 1908 in Geesthacht geboren, hatte unter anderem in Hamburg Geschichte und Volkstumswissenschaften studiert. Ab 1939 war er hauptamtlicher Mitarbeiter des SD. Er habilitierte über „Umvolkungsvorgänge, besonders in Ostmitteleuropa“, und machte rasch Karriere.

Mit Hilfe von Heydrich wurde er erst Direktor des neuen Instituts für Volkslehre und Nationalitätenkunde, später Chef des Reinhard-Heydrich-Instituts. 1945 tauchte er in Schleswig-Holstein auf und diente sich Wilhelm Halfmann an, damals Vorsitzender der vorläufigen Kirchenleitung in Schleswig-Holstein und später Bischof des Sprengels Holstein. Im Mai 1947 wurde Beyer Leiter der Landeskirchlichen Pressestelle – und versorgte fortan Halfmann und seinen Schleswiger Kollegen Reinhard Wester mit Insiderinformationen. „Beyer sammelte auch belastende Informationen über Journalisten, zum Beispiel über Chefredakteure, um dann dort kirchliche Texte platzieren zu können“, sagt der Historiker Stephan Linck. Das erinnert mich schon an die Methoden des Sicherdienstes der SS.“ Beyer wurde 1951 Professor an der Pädagogischen Hochschule in Flensburg, zehn Jahre schulte er angehende Geschichtslehrer. Die kirchliche Pressestelle übernahm Wolfgang Baader. „Er hat Beyers Technik perfektioniert“, sagt Linck. Die blauen Blätter des „Vertraulichen Infomationsdienstes“ wurden an die „in Spitzenstellungen der schleswig-holsteinischen Landeskirche stehenden Theologen und Laien“ versendet – so heißt es in der ersten Lieferung des Jahres 1953. Und weiter: „Gerade 1953, im Jahr der Bundestagswahl, kommt der rechten Beurteilung politischer Verhältnisse und Ereignisse besondere Bedeutung bei.“

Der Historiker beschreibt im Buch auch die Denunzierung von 48 Pastoren

Was Baader unter „rechter Beurteilung“ verstand, wird zum Beispiel anlässlich des Ostermarsches im Jahr 1963 klar. Im Informationsdienst „3/1963“ heißt es: „Die Teilnehmer des Ostermarsches legen es bewusst darauf an, unter Umständen verhaftet, vielleicht sogar misshandelt zu werden. Um eines solchen propagandistischen Effektes willen machte man in der östlichen Presse viel Wesens um das Auftreten der westdeutschen Polizei. Es ist ja auch die Frage, ob Pastoren zwischen Gründonnerstag und Ostermontag nichts anderes zu tun haben, als Plakate mit Atom-Parolen durch die Gegend zu tragen.“ Im Jahr darauf meldete Baader Pastoren, die am Ostermarsch teilgenommen oder dazu aufgerufen haben, der Kirchenleitung. Die Pastoren wurden daraufhin verwarnt.

In seinem jüngst erschienenen Buch „Neue Anfänge“, das im Auftrag der Nordelbischen Kirche entstanden ist, beschreibt Historiker Linck den „DFU-Streit“, mit dem die Denunzierung von 48 Pastoren verbunden war. Dazu gehörten auch der Vater des ehemaligen CDU-Landesvorsitzenden Jost de Jager und der Vater des derzeitigen Bischofsvertreters im Sprengel Schleswig und Holstein, Gothart Magaard. Die 1960 gegründete Deutsche Friedensunion galt als kommunistisch unterwandert. Baader übergab Bischof Halfmann im Januar 1963 eine Liste mit 48Pastoren, die an der DFU interessiert sein sollten. Linck: „Die Namen können nur vom Verfassungsschutz gekommen sein.“ Obwohl die Pastoren bestritten, der DFU nahezustehen, vertraute Halfmann dieser ominösen Liste. Gerhard Ulrich, Bischof der Nordkirche: „Für mich ist es unfassbar, dass der Verfassungsschutz Pastoren bespitzelt hat und Bischof Halfmann diesen Informationen vertraute. Hier haben die verantwortlichen Bischöfe dem Auftrag der Kirche Schaden zugefügt.“