Rahlstedter Gymnasiasten bauen ein altes Gotteshaus wieder auf und gestalten heute einen NDR-Radiogottesdienst. Den Anstoß für das Projekt bekam Schulleiter Volker Wolter nach einer TV-Doku.

Müsselmow/Hamburg. Keiner fährt nach Müsselmow, wenn er nicht nach Müsselmow muss. Rund 90 Einwohner zählt das Dorf zwischen Schwerin und Sternberg im Landkreis Ludwigslust-Parchim. Es gibt hier weder eine Durchgangsstraße noch einen Imbissladen. Und das Internet funktioniert auch nicht. Dafür steht mitten in dem Ort eine 500 Jahre alte Dorfkirche. Der Bau konnte den Wirren der Zeit bis heute trotzen, weil es immer wieder Menschen gab, die dennoch nach Müsselmow gefahren sind.

Wie Volker Wolter, Schulleiter des Gymnasiums Rahlstedt in Hamburg. Mehrere Hundert Mal, sagt er, sei er seit 1996 in dem kleinen Dorf gewesen. An diesem Mittwoch, dem Buß- und Bettag, ist Wolter erneut vor Ort. Und mit ihm rund 40 Rahlstedter Gymnasiasten. Sie alle gestalten in der kleinen Kirche einen Radio-Gottesdienst, den NDR Info Spezial von 10 Uhr an überträgt. Ein ehemaliger Absolvent dieser Schule spricht ein Grußwort für die Gottesdienstbesucher.

Es ist Gerhard Ulrich, inzwischen Landesbischof der Nordkirche. Damit setzt der Geistliche ein ganz besonderes Zeichen der Sympathie: Denn es waren bislang rund 1500 Hamburger Schüler, die das mecklenburgische Gotteshaus vor dem drohenden Verfall gerettet haben. „Ich bin begeistert, dass auch Schüler meiner ehemaligen Schule sich diese früher völlig zerfallene Dorfkirche ausgesucht haben, um sie wieder aufzubauen. Sie haben dieser Kirche eine zweite Chance gegeben“, sagt Gerhard Ulrich dem Abendblatt. Darum gehe es schließlich am Buß- und Bettag: „Jeder hat bei Gott immer wieder eine zweite Chance.“

Den Anstoß, eine solches Projekt auf die Beine zu stellen, bekam Schulleiter Volker Wolter nach einer TV-Dokumention über den dramatisch schlechten Zustand der Kirchen in Mecklenburg. Mindestens 130 Gotteshäuser wurden damals in ihrer Bausubstanz als akut gefährdet eingestuft. Die Backsteinkirche von Müsselmow, überliefern die Chroniken, galt bereits Ende der 1980er- Jahre als abbruchreif.

„Umso größer war die Herausforderung für uns, den Verfall zu stoppen und die Kirche komplett zu sanieren“, sagt Wolter. Er dachte dabei nicht nur daran, einen regionalgeschichtlich bedeutsamen Bau zu erhalten, in dem seit 40 Jahren kein Gottesdienst mehr stattgefunden hatte. Es ging dem Lehrer auch um die pädagogischen Synergieeffekte. Hier, so dachte er, können die Schüler „Kopf, Herz und Hand“ trainieren.

Also begann 1996 die „Patenschaft Müsselmower Kirche“ mit grundlegenden Sicherungsarbeiten an der schwerst geschädigten spätgotischen Dorfkirche. Zudem wurde die Gruft der früheren Gutsherren freigelegt. „Übernachtet habe die Schüler in Zelten neben der Kirche. Und das Wasser kam von einer Nachbarin per Wasserschlauch“, erinnert sich Wolter. Auch heute muss er die Schüler überreden, einen solchen Arbeitseinsatz ausgerechnet mitten in Mecklenburg zu leisten. Sie ahnen schon, was auf sie zukommt: kein Internet und kein Fast Food in der Nähe.

„Aber im Nachhinein wird dieser Mangel als nützliche Erfahrung empfunden.“ Am Dienstag waren wieder Hamburger Schüler in Müsselmow – diesmal zur Generalprobe für den heutigen Gottesdienst. Cassian Knoth, 18, vom Gymnasium Rahlstedt: „Diese Tage sind ein ungewöhnliches Erlebnis. Es ist schön zu sehen, wie sich das Projekt entwickelt hat.“ Und Clara Bräuninger, 17, fügt hinzu: „In den vergangenen Jahren haben wir in dieser Kirche oft gesungen, manchmal bei bibbernder Kälte. Aber dass der Gottesdienst jetzt in einer warmen Kirche stattfinden kann, ist schon toll.“

Tatsächlich haben die Hamburger Schüler aus Rahlstedt, von den Gymnasien Grootmoor und Buckhorn sowie von der Gewerbeschule viel erreicht: Das Gotteshaus erstrahlt in neuem Glanz. Dach, Innenräume und Sakristei sind saniert, neue Kirchenfenster eingebaut und alte Wandmalereien freigelegt. Außerdem gibt es eine Fußbodenheizung. Für die Rettung der Dorfkirche wurde das Patenschaftsprojekt unter anderem mit dem Hamburger Bürgerpreis ausgezeichnet. Demnächst steht die Holzverkleidung des Turmes an. „Und wir wollen den früheren Kornspeicher zu einer Begegnungsstätte für Schüler umbauen“, sagt Volker Wolter. „Es soll zum Beispiel für Orchesterfreizeiten und Seminare zur Prüfungsvorbereitung dienen.“ Dafür fährt er gern mehrmals im Monat wieder die 150 Kilometer von Hamburg nach Müsselmow. Auch wenn er sich bald wieder ein neues Auto kaufen muss.