Die Familie Alhawas wird vom Krieg bedroht. Familie Pahler aus Moorrege will sie nach Deutschland holen. 5000 syrische Flüchtlinge will Deutschland aufnehmen, die sich in einem UNHCR-Lager im Libanon befinden.

Moorrege. Still ist es hier. Schmucke Einfamilienhäuser säumen die Sackgasse, die so wenig Verkehr tragen muss, dass die Gemeinde sie schön gepflastert hat. Hier, am Rand der Gemeinde Moorrege im Kreis Pinneberg, lebt die Familie Pahler: Beate und Rüdiger, drei Töchter, Katzen und Hunde.

Laut ist es dort. Zerbombte, zerschossene Häuser überall, viele Straßen sind nicht mehr befahrbar. Dort, in Aleppo, mitten im syrischen Bürgerkrieg, lebt in einem kleinen Haus mit zwei Zimmer und einer Küche die Familie Alhawas. 14 Menschen sind es. Beduinen, vom Bürgerkrieg entwurzelt.

Dass diese beiden so unterschiedlichen Familien überhaupt voneinander wissen, ist schon ein kleines Wunder. Dass die eine um die andere bangt, ihr unbedingt helfen will und dabei vor anscheinend unüberwindlichen Hindernissen steht, macht traurig. Beate Pahler sagt: „Wir möchten sie nach Deutschland holen, um sie in Sicherheit zu bringen – wenigstens für eine gewisse Zeit.“ Aber wie? 5000 syrische Flüchtlinge will Deutschland aufnehmen – aber nur Menschen, die sich jetzt in einem UNHCR-Lager im Libanon befinden, also schon aus dem Bürgerkriegsland geflohen sind. Außerdem müssen sie Verwandte in Deutschland haben. Nichts von alldem trifft auf die Familie Alhawas zu. „Deutschland ist so ein reiches Land, wir könnten viel mehr Menschen aufnehmen“, sagt Beate Pahler, eine kräftige, energiegeladene Frau in den Fünfzigern.

Während im Wohnzimmer in Moorrege nach Lösungen gesucht wird, wird die Situation in Syrien immer problematischer. Beate Pahler hat übers Internet hin und wieder Kontakt zu einem Sohn der Familie, der Englisch spricht. Von Schießereien ist dann die Rede, von Granateneinschlägen. Die meisten Informationen bekommt sie von einem weiteren Sohn, von Ahmed Alhawas, 36. Er lebt mittlerweile in Katar. Beate Pahler hat auch ihn übers Internet kennengelernt. Vor ein paar Jahren – die Kinder waren groß, sie wollte etwas tun – hatte sie die Idee, ein Internetunternehmen zu gründen. „Aber mit Computertechnik habe ich nichts am Hut“, sagt sie. Die Pahlers halten sich nicht lange mit solchen und ähnlichen Schwierigkeiten auf, sie machen lieber. Über Skype lernten sie Ahmed Alhawas kennen, der in Aleppo Informationstechnologie studiert hat. Sie kamen ins Geschäft. „Irgendetwas wie Facebook sollte es sein, aber das erwies sich als zu kompliziert“, sagt die Moorregerin. Zu Verhandlungen traf man sich in Katar, dort gründeten die beiden schließlich die Firma „Networld IT Solutions“. Zehn Mitarbeiter hat sie heute. Geschäftsfeld: IT-Unterstützung für deutsche Firmen in dem Wüstenstaat am Persischen Golf.

Ahmed Alhawas ist der Erste aus seiner Familie, der Abitur gemacht und studiert hat. „Der Vater hat seine Schafe verkauft, damit das Studium bezahlt werden konnte“, erzählt Rüdiger Pahler. Die Beduinenfamilie ist nicht reich. Die Mitglieder halten sich mit Arbeit in der Landwirtschaft über Wasser. Der Reichtum der Beduinen sind die Kinder. Ahmed hat elf Geschwister. Bei ihren Besuchen in Syrien hat Beate Pahler sie kennengelernt. Von der Gastfreundlichkeit der Menschen war sie überwältigt. „Ahmeds Schwester Alia hat mir ihre Uhr geschenkt.“ Auf dem Uhrendeckel ist die Große Moschee von Mekka zu erkennen. Die Hochzeit eines Sohnes wurde extra um eine Woche verschoben, damit Beate Pahler teilnehmen konnte.

Und nun würde sie gern etwas für diese Familie tun. „Die Eltern von Ahmed sind schon alt, der Vater ist 78, die Mutter 72. Furchtbar, was sie jetzt erleben müssen.“ Der Sohn einer Schwester ist seit Beginn des Bürgerkriegs verschwunden, er hatte sich der Opposition angeschlossen. Ihr Zuhause in Damaskus hat die Großfamilie mittlerweile verlassen müssen. Der Krieg hat sie in alle Winde verstreut. Die verheirateten Töchter sind mit ihren Familien irgendwo untergeschlüpft. Die Eltern und zwölf weitere Verwandte sind noch zusammen, in Aleppo. Das UNHCR-Lager im Libanon ist von dort aus fast so unerreichbar wie Deutschland, die Grenzen sind dicht. Auch Sohn Achmed kann nicht helfen. Er hat zwar eine Aufenthaltsgenehmigung für Katar, darf aber niemanden nachholen. Und selbst wenn: Eine solche Aktion scheitert schon allein daran, dass viele Familienmitglieder keinen Ausweis haben. „Und wo sollen sie jetzt einen herbekommen?“, fragt Beate Pahler. „Einen Staat gibt es dort doch nicht mehr.“

Ein neuer Ausweis ist derzeit in Syrien nicht zu bekommen

In Deutschland gibt es noch einen. Die Pahlers haben sich an Valerie Wilms gewandt, an die Bundestagsabgeordnete der Grünen in ihrem Wahlkreis. „Ich finde es beschämend, dass Deutschland so wenig für Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien tut“, sagt sie. „Wir sollten das Kontingent auf jeden Fall ausweiten und auch Möglichkeiten schaffen, dass nicht nur Familienangehörige nachziehen dürfen.“

Das tut gut, hilft aber nicht weiter. Beate Pahler ist am Mittwoch wieder nach Katar geflogen. Das tut gut, sie kann mit Ahmed sprechen und Neuigkeiten austauschen. Aber die Frage bleibt: Wie kann man helfen?