Gerhard Ulrich, der Sonntag ins Amt eingeführt wird, fordert Anstrengungen zur Rettung der Sakralbauten. Viele der 2000 Gotteshäuser im Norden sind baufällig.

Kiel. Kirchen sind Orte des Glaubens und Wahrzeichen ganzer Regionen. Sie stehen für Heimatgefühl und Kultur. Doch viele der insgesamt rund 2000 Gotteshäuser der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland sind in ihrer Bausubstanz akut gefährdet – vor allem im östlichen Teil. So gelten allein in Mecklenburg rund 100 Kirchen als „besonders“ oder „akut“ gefährdet.

Jetzt schlägt der evangelische Landesbischof Gerhard Ulrich Alarm. Denn es sind zwei herausragende Zentralbauten der 2012 gegründeten Nordkirche von gravierenden Schäden betroffen. „Mit dem Schleswiger und dem Greifswalder Dom müssen gleich zwei Wahrzeichen der neuen Nordkirche dringend saniert werden“, sagte Ulrich dem Abendblatt. Und fügte hinzu: „Wir dürfen die Gemeinden vor Ort mit dieser Aufgabe nicht allein lassen.“ Am kommenden Sonntag wird der Geistliche offiziell in sein Amt als Landesbischof eingeführt. Weil sein Dienstsitz die Landeshauptstadt Schwerin ist, findet die feierliche Zeremonie im Schweriner Dom statt.

Wie Ulrich sagte, sei der Turm des Schleswiger Doms marode. Außerdem dringe durch die Westfassade Feuchtigkeit in das Kirchenschiff. Eine Folge: Die erst vor drei Jahren rekonstruierte Orgel ist teilweise von Schimmel befallen. Die Situation, sagte Ulrich über den gegenwärtigen Zustand seiner langjährigen Predigtstätte, sei „bedrohlich“. Als genauso dramatisch bewertet der 62 Jahre alte Landesbischof den Zustand des Greifswalder Doms, wo eine teilweise Sperrung drohe, falls nichts geschehen sollte. Der erforderliche Finanzbedarf für den Substanzerhalt wird mit rund fünf Millionen Euro beziffert.

Der Greifswalder Dom mit seinem 100 Meter hohen Turm entstand im 13. Jahrhundert. Die letzte umfassende Sanierung wurde 1989 abgeschlossen. Zur damaligen Einweihung kam DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker, was in Kirchenkreisen heftige Proteste auslöste. Der Schleswiger Dom geht auf das frühe 12. Jahrhundert zurück. Sein 112 Meter hoher Turm ist der zweithöchste des Landes nach der Lübecker Marienkirche.

Nach Ansicht von Gerhard Ulrich, der Anfang des Jahres zum ersten Landesbischof der neu gegründeten Nordkirche gewählt wurde, ist die Nordkirche kaum in der Lage, alle ihre Gotteshäuser zwischen Helgoland und Usedom aus eigener Kraft zu erhalten. „Umso mehr bin ich dafür dankbar, dass wir nun mit dem Land Mecklenburg-Vorpommern eine Patronatsvereinbarung unterzeichnet haben. Sie basiert auf dem Güstrower Vertrag von 1994 und regelt die Verpflichtungen und Beteiligungen des Landes an Baulasten von kirchlichen Gebäuden, die zuvor unter dem Patronat Mecklenburg-Vorpommerns standen. Die Nordkirche erhält bis zum Jahr 2019 jährlich rund 3,5 Millionen Euro. Allein 77 Patronatskirchen in Mecklenburg gelten als „besonders“ und 31 als „akut“ gefährdet. Trotz der Zahlungen des Landes und des hohen Einsatzes kirchlicher Eigenmittel sowie eingeworbener Spenden und Stiftungsmittel konnten bislang nicht alle so genannten Patronatskirchen gesichert werden.

Dass sich bereits viele regionale Vereine, Sponsoren und Bürger für die Rettung der rund 1100 Dorf- und Stadtkirchen in Mecklenburg und Pommern einsetzen, bezeichnete der Landesbischof als positives und höchst erfreuliches Signal. „Von diesem ehrenamtlichen und finanziellen Engagement können wir in der gesamten Gesellschaft nur lernen.“ Es zeige, dass Kirchen für Christen mehr seien als Gebäude aus Stein. Und für viele Nicht-Christen gehöre die Kirche als Gebäude selbst bei schwindender Mitgliederzahl auch weiterhin mitten ins Dorf. Der Erhalt der Kirchen habe angesichts der demografischen Entwicklung auch eine wesentliche Bedeutung für die Zukunft der ländlichen Räume, betonte Ulrich. In vielen kleinen Gemeinden in sehr ländlichen Regionen der Nordkirche bildeten Gotteshäuser häufig den letzten öffentlichen Raum nicht nur für religiöse Veranstaltungen, sondern auch für Kunst und Kultur.

Zu feierlichen Amtseinführung von Landesbischof Ulrich werden an diesem Sonntag im Schweriner Dom auch Gäste aus Politik, Gesellschaft und Partnerkirchen aus mehr als zehn Ländern erwartet. Der Präsident des Lutherischen Weltbundes (LWB), Mounib Younan, wird an der gottesdienstlichen Einsegnung des in Hamburg geborenen Geistlichen teilnehmen. Der Gottesdienst unter dem Motto „(Nord-) Kirche ist Kirche für andere“ wird ab 15Uhr vom NDR Fernsehen live übertragen. Ulrich predigt über einen Vers aus dem Matthäus-Evangelium und damit über das Thema „Frömmigkeit und Almosengaben“.

Wie Ulrich dem Abendblatt weiter sagte, betrachte er die Ökonomisierung der Gesellschaft mit großer Sorge. „Zum einen ist es zwar notwendig, wirtschaftlich zu haushalten. Zum anderen zeigt die Finanzkrise aber, wohin das alles führt.“ Der Mensch werde ausschließlich auf seine Funktion als Arbeitskraft und Konsument reduziert. „Dieses System ist unbarmherzig und gnadenlos. Wir als Kirche halten dagegen: Der Mensch ist kein fehlerfreies System. Wir brauchen eine Fehlerfreundlichkeit in der Gesellschaft. Die Wirtschaft muss dem Menschen dienen und nicht umgekehrt.“ Gerade die Schwächsten in der Gesellschaft seien von dem gestiegenen Kostendruck besonders betroffen. Ulrich: „Die Kinderarmut in Schleswig-Holstein ist ein Skandal.“

Mit 2,2 Millionen Mitgliedern ist die Nordkirche die fünftgrößte evangelische Landeskirche in Deutschland. Sie erstreckt sich über Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern. Flächenmäßig ist sie – nach der Kirche in Bayern – die zweitgrößte Landeskirche.