Kiel. Warum nicht mal „Gurage Ton“ probieren? Bei der Kieler Woche ist vieles möglich – auch diese kulinarische Grenzerfahrung. Wer sich ihr stellt, bekommt nicht etwa Tonhaltiges vorgesetzt, sondern ein äthiopisches Gericht aus Rindfleisch und Spinat. „Gurage Ton“ ist nur eine von vielen Möglichkeiten, von Kiel aus die Welt zu erkunden.

Die Kieler Woche, die an diesem Sonnabend eröffnet wird, war schon immer mehr als eine große Freiluftparty. Die Kombination aus Segelsport, Kultur und Freizeitspaß ist vermutlich einzigartig auf der Welt. 1882 fing alles an, und Hamburg war dabei. Der Vorsitzende des Norddeutschen Regattavereins (NRV), Hermann Wentzel, hatte im September 1881 an der Kieler Förde Urlaub gemacht. Dabei waren ihm ein paar Segler aufgefallen, die auf der Ostsee unterwegs waren. Wieder an Land kam man ins Gespräch. Wentzel fand Gefallen an dem Revier, das doch etwas mehr zu bieten hatte als die Alster in Hamburg. So vereinbarte man, im kommenden Jahr eine Regatta auszutragen. Am 23. Juli 1882 gingen 20 Yachten aus Kiel und Hamburg vor Düsternbrook ins Rennen. Vom Kieler Landtagssitzungssaal aus hätte man, wenn es den hübschen gläsernen Kubus damals schon gegeben hätte, wunderbar beobachten können, wie der Kieler Unterlieutenant Lüder Ahrenhold mit seinem Boot „Lolly“ die Hamburger besiegte – was ihm gewiss eine große Freude gewesen ist.

Mag sein, dass der Segelsport in der öffentlichen Wahrnehmung der Kieler Woche mittlerweile etwas in den Hintergrund getreten ist. Prägend ist es immer noch. Die Kieler Woche ist eine internationale Veranstaltung. Dazu muss man gar nicht auf das unvermeidliche Bayernzelt verweisen, dass es natürlich auch gibt. Rund 4500 Segler aus 50 Nationen kommen in die Fördestadt. Sie mischen sich unter die rund drei Millionen Besucher, sie feiern mit, sie leben mit.

Vielleicht treffen sie in Kiel auf Gro Harlem Brundtland, die ehemalige norwegische Ministerpräsidentin, oder auf den Nobelpreisträger und Wirtschaftswissenschaftler Joseph E. Stiglitz aus den USA. Oder auf Mo Ibrahim, den sudanesischen Milliardär, der sein Geld in eine Stiftung gesteckt hat, die gutes Regieren in Afrika fördert. Die drei werden an diesem Sonntag mit dem weltwirtschaftlichen Preis des Instituts für Weltwirtschaft ausgezeichnet – auch das ist ein Programmpunkt der Kieler Woche.

Wer leichtere Unterhaltung sucht, wird ebenfalls fündig. Das Programm, im Internet unter www.kieler-woche.de zu finden, ist fast schon unübersichtlich zu nennen – so viele Angebote gibt es. Wer Musik mag, kann in dieser einen Woche in Kiel so manches Konzert genießen, für das er anderenorts viel Geld auf den Tisch legen müsste. Anna Depenbusch kommt, die Sängerin aus Hamburg, deren fein gesponnene Chansons in Deutschland ihresgleichen suchen. Sie tritt am kommenden Donnerstag auf der Rathausbühne auf, gleich nach dem Lotsengesangsverein Knurrhahn von 1929. Kontraste, die so nur auf der Kieler Wochen zu finden sind. Torfrock ist dabei, Albert Hammond kommt, Lotto King Karl ebenfalls, Laith Al-Deen und Nena auch. Das 80-seitige Programmheft hält auch Überraschungen bereit: Musik und Gedichte aus Kolumbien etwa, die im Kulturladen Leuchtturm zu hören sind, oder das Internationale Kieler-Woche-Schachturnier für Marine- und Bundeswehrangehörige. Ein polnischer Seglerabend lockt mit kulinarischen Spezialitäten. Im Kieler Landeshaus singen Mitglieder der Gruppe Liederjan für Bürgerrechte, während schräg gegenüber, auf der den Kindern vorbehaltenen Spiellinie auf der Krusenkoppel, das Hoppe -asperle-Theater zeigt, wie es im Schlaraffenland zugeht.

„Witzige“ Toilettenplakate des Kieler Abfallwirtschaftsbetriebs

Eine Großveranstaltung wie die Kieler Woche erzeugt immer auch komische Momente – freiwillige und unfreiwillige. Dass die schlingernde HSH Nordbank, deren größte Probleme die Länder Hamburg und Schleswig-Holstein gerade mit einer millionenschweren Garantieerhöhung repariert haben, einen kostenlosen Race Repair Service für Segler anbietet, hat schon was.

Auch der städtische Abfallwirtschaftsbetrieb Kiel (ABK) geht mit Humor an die Arbeit. Er hat – wie immer – Toilettencontainer aufgestellt. „Als Neuerung erleichtern orange Fahnen und Plakate mit blauen Figuren auf witzige Weise das Auffinden der Gratis-WCs, die teilweise in der zweiten Reihe hinter den Schaustellern stehen müssen“, schreibt der ABK. „Witzige Weise“ – damit sind offenbar die Sprüche gemeint, die die Plakate zieren. Es gibt drei Varianten: „Flasche leer – Blase voll“, „Alles muss raus“ und „Getränke-Rückgabe“.

All das wird vergessen sein, wenn am kommenden Sonnabend die Windjammer die Förde heraufsegeln, angeführt vom Segelschulschiff „Gorch Fock“. All das wird vergessen sein, wenn am Sonntag der kommenden Woche das große Sommerfest des Nordens mit einem Höhenfeuerwerk zu Ende geht. Dann heißt es: „Alles muss raus, um zu gucken.“