In Niedersachsen wird mehr als die Hälfte der Zugkilometer nicht mehr von der Deutschen Bahn sondern von der Konkurrenz wie dem Metronom geleistet.

Hannover . Die Deutsche Bahn AG muss bald ganz tapfer sein: Ende nächsten Jahres verliert sie mit dem Fahrplanwechsel endgültig ihre Vormachtstellung im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) des großen Flächenlandes Niedersachsen. Hier werden dann erstmals in Deutschland deutlich über 50 Prozent der Zugkilometer von Privatbahnen geleistet.

Begonnen hat alles mit den blau-gelben Fahrzeugen der Nordwestbahn, meist in der Region Weser-Ems. Inzwischen tummeln sich mehr als ein Dutzend Anbieter neben der regionalen Bahntochter DB Regio auf dem 4400 Kilometer langen Schienennetz von Niedersachsen mit über 350 Bahnhöfen. Die Aufhebung des Monopols der Bahn AG erfolgte Ende der 90er-Jahre mit dem erklärten Ziel, über mehr Wettbewerb zu günstigeren Preisen für die Steuerzahler zu kommen und mit dem gesparten Geld wiederum den Schienenverkehr auszubauen.

Diese Rechnung ist aufgegangen. Zumal mit dem Wettbewerb neue Züge mit höheren Geschwindigkeiten und mehr Komfort zum Einsatz kamen, was wiederum die Nachfrage der Kunden erhöhte. Dass Niedersachsen bei dieser Erfolgsgeschichte die Nase vorn hat, ist ebenfalls direkte Folge von politischer Aktivität: Die für die Ausschreibung und Vergabe von Bahnstrecken zuständige Landesnahverkehrsgesellschaft hat ab 2000 eigene Waggons und Lokomotiven angeschafft, und im Regelfall war und ist der Einsatz dieses Fahrzeugparks Bestandteil der Ausschreibungen. Das wiederum verbessert die Chancen auch kleinerer privater Anbieter, der großen Bahn AG Paroli zu bieten. Die hatte zuvor bei den meisten Lokomotivbauern und Herstellern von Waggons die Chance genutzt, durch eigene langfristige Aufträge jede neue Konkurrenz auszubremsen. Die damalige SPD-Verkehrsministerin Susanne Knorre sorgte in Hannover ab dem Jahr 2000 zudem dafür, dass etwa bei der wichtigen Doppelstrecke Strecke Hamburg-Bremen und Hamburg-Uelzen das eigens gegründete Unternehmen Metronom den Zuschlag erhielt.

Die Erfolgsgesichte in Zahlen: Zwischen 1996 und 2008 hat die Zahl der Fahrgäste im SPNV um über 30 Prozent auf 103 Millionen pro Jahr zugenommen. Laufende Verkehrserhebungen lassen erwarten, dass die Zunahme der Passagierzahlen ungebrochen weitergeht. Der Erfolg war so groß, dass trotz der modernen neuen Doppelstockwagen mit hoher Kapazität der Platz knapp wurde. Wo die DB Regio etwa in Hannover bei den S-Bahnen bei Ausschreibungen siegte, stieg wegen besserer Züge mit mehr Komfort und ebenfalls verdichteter Taktfahrpläne auch ihr Fahrgastaufkommen. Die Landesverkehrsgesellschaft bezahlt rund 300 Millionen Euro pro Jahr für den Zugverkehr. Das Geld kommt vom Bund.

So erfolgreich die Verlagerung der Entscheidungen von der Bundesebene und die Schaffung von Konkurrenz für die staatseigene Bahn auch ist, eine Einschränkung muss gemacht werden: Praktisch alle Konkurrenten sind ihrerseits entweder Töchter anderer europäischer Staatsbahnen oder eng mit ihnen verbandelt. Das räumt auch Björn Gryschka, Landesvorsitzender der Fahrgastverbandes Pro Bahn unumwunden ein. Er erinnert aber vergnügt an die Ausweitung des Zugangebots und die kürzeren Fahrzeiten und sehr viel bequemeren und moderneren Waggons: "Dem Fahrgast kann das recht sein, solange die Leistung stimmt."

Die DB Regio, zuständig für Niedersachsen, hält sich bedeckt - kein Wunder angesichts der Tatsache, dass die Konkurrenz schließlich von ihrem eigenen Besitzer - dem Bund - so gewollt ist. Auf die Frage des Abendblatts, ob für den Konzern nicht irgendwann die kritische Größe nach unten unterschritten wird, lautet die diplomatische Auskunft vom Pressesprecherin Sabine Brunkhorst: "Mit jedem verlorenen Verkehr sinkt die Auslastung von Anlagen, insbesondere der Werkstätten. Ebenso besteht ein Personalüberhang bei Netzverlusten. Insofern passen wir bereits jetzt - auch bei einem Marktanteil von über 50 Prozent - die Strukturen an." 64 Millionen Fahrgäste waren nach Auskunft der Bahn im vergangenen Jahr im Schienennahverkehr in Niedersachsen als Kunden des Unternehmens unterwegs, zwölf Millionen im Fernverkehr mit ICE, IC und EC. Ganz nebenbei ist die Bahn AG mit diversen Töchtern wie dem größten regionalen Busunternehmen Weser-Ems-Bus GmbH und weiteren Unternehmen wie dem Heidebus und der Regionalbus Braunschweig GmbH im Nahverkehr unterwegs. Und sie verdient derzeit sehr gut an den Gebühren, die sie von den konkurrierenden Anbietern für die Nutzung des Schienennetzes kassiert. Das gehört nämlich nach wie vor der Deutschen Bahn.