Bei seinem Antrittsbesuch in Kiel begeistert Bundespräsident Joachim Gauck und hebt den Minderheitenschutz im Norden hervor.

Kiel. "Dat dot mi leed, dat wi to spät warrn. Wi sünd tiedig upstan.": Wenn ein Bundespräsident seine Rede so beginnt, dann muss etwas Besonderes geschehen sein. So war es auch. Joachim Gauck, aus Rostock stammend, sprach erstmals im schleswig-holsteinischen Landtag. Er griff zum Plattdeutschen, um die Gemeinsamkeiten zwischen Sprecher und Zuhörer herauszustreichen. Und er wischte mit der schlichten Entschuldigung all die Anspannung weg, die die Abgeordneten, die Mitarbeiter der Landtagsverwaltung und die Presseschar ergriffen hatte. Denn er war zu spät, der Herr Bundespräsident. Eine gute Stunde später als geplant hatte er am Freitag das Landeshaus betreten. Dort hatte es zuvor sorgenvolle Gesichter gegeben: Wann wird er kommen? Ist das Besuchsprogramm zu halten?

An Gauck und seiner Partnerin Daniela Schadt hatte es nicht gelegen. Sie waren in Berlin "zeitig aufgestanden". Aber das Flugzeug war nun mal nicht in Ordnung. Eine Ersatzmaschine musste beschafft werden, um den Bundespräsident samt Anhang zu seinem offiziellen Antrittsbesuch nach Schleswig-Holstein zu transportieren.

All das war vergessen, als Gauck ans Podium trat und mit dem vertrauten Klang des Plattdeutschen Heimatgefühle beschwor. Und der dann in seiner Rede die Schleswig-Holsteiner dafür lobte, dass sie ihren Minderheiten eine geschützte Heimat bieten. "Schleswig-Holstein ist in den vergangenen Jahrzehnten demokratisch und gesellschaftlich gewachsen, weil es seinen Umgang mit Minderheiten erst zu einer neuen Politik und dann zu einem neuen Alltag gemacht hat", sagte Gauck. "Der Artikel 5 der Landesverfassung schützte schon früh die dänische Minderheit und die friesische Volksgruppe. Seit dem 14. November 2012 schützt dieser Artikel auch die Kultur und Sprache der deutsche Sinti und Roma in Schleswig-Holstein." Dies sei ein Novum in einer Landesverfassung. "Dafür möchte ich dem Parlament ausdrücklich danken", so Gauck. "Die Botschaft aus Kiel lautet: Minderheitenschutz ist kein Akt der Gefälligkeit, Minderheitenschutz ist Ausdruck unserer Demokratie."

Der Bundespräsident warb für das Prinzip der Gleichberechtigung und machte am Beispiel der Roma deutlich, was er damit meint. Viele von ihnen - EU-Bürger aus Bulgarien und Rumänien - suchen derzeit in Deutschland eine neue Heimat. "Wenn ihre Anwesenheit in einigen Orten zu Konflikten führt, muss das am konkreten Fall geklärt und nach Lösungen gesucht werden", sagte der Bundespräsident. "Stattdessen eine ganze Gruppe von Menschen zu stigmatisieren und ihnen pauschal die Integrationsfähigkeit abzusprechen, setzt die unheilige Tradition jahrhundertelanger Diskreditierung, Ausgrenzung und Verfolgung fort."

Im zweiten Teil seiner Rede ging Gauck, der zum blauen Anzug eine rote Krawatte trug, auf die Rolle der Länderparlamente ein. "Meistens geht es darum, anspruchsvolle Vorgaben aus der Hauptstadt mit den fast immer knappen Mitteln vor Ort umzusetzen", sagte er. "Oder Sie kämpfen um Unterstützung für Großprojekte, wie dieser Tage beim Nord-Ostsee-Kanal." Er dankte den Abgeordneten für "jede Stunde des Meinungsstreits" und für das Wagnis einer "zukunfts- und bürgerorientierten Ausgabenpolitik" - womit er möglicherweise die Schuldenbremse meinte.

Nach gut 20 Redeminuten gab es viererlei zu beobachten: starker Beifall der Abgeordneten, einen raschen Eintrag ins Gästebuch, die Abfahrt des Bundespräsidenten und die Rückkehr freitaglicher Normalität ins Landeshaus. Wie war Joachim Gaucks Auftritt? "Ich fand es gut, dass er die Minderheitenpolitik hervorgehoben hat", sagte die Ex-Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD), die die Rede auf der Gästetribüne verfolgt hatte. "Er wirkt viel gelassener als zu Beginn seiner Amtszeit." Ihr Amtsnachfolger Peter Harry Carstensen (CDU) sagte: "Ich habe mich sehr gefreut, dass er die Sinti und Roma erwähnt hat. Die brauchen wirklich Schutz." Andreas Tietze, Abgeordneter der Grünen, befand: "Er ist wirklich ein Bürgerpräsident. Seine Rede hat mich sehr beeindruckt. Dass er sich bei uns Abgeordneten bedankt hat, macht mich stolz." Anita Klahn, FDP-Abgeordnete aus Bad Oldesloe, meinte: "Es ist einfach authentisch, wenn der Bundespräsident von Demokratie und Freiheit spricht." Und Anke Spoorendonk, zur dänischen Minderheit gehörende Justizministerin (SSW), sagte: "Ich fand, es war eine starke Rede."

Gauck, der Freiheitsredner, war bis zum Abend in Schleswig-Holstein. Nach der Rede im Landtag traf er sich mit der Landesregierung. Dieser Programmpunkt war zuvor ein wenig umstritten gewesen. Klaus Schlie, der Landtagspräsident, hatte moniert, dass das Parlament nicht vertreten sei. Ergebnis: Auch die Fraktionsvorsitzenden durften teilnehmen. Gauck, der vom Ministerpräsidenten Torsten Albig (SPD) begleitet wurde, besuchte anschließend die Ozeanforscher des Kieler Helmholtz-Zentrums Geomar. Dort ließ er sich erklären, wie die Meere das Klima beeinflussen. Am Nachmittag traf er auf Schloss Gottorf Kinder, die in dem Museum das Mittelalter erkunden. Abends gab es in der Reithalle einen Empfang.

Und was nimmt Joachim Gauck mit aus Schleswig-Holstein? Vielleicht der Blick vom gläsernen Parlamentssaal auf die Förde. Dort schwammen am Freitag, nach Tagen eines bunkergrauen Himmels, glitzernde Lichtinseln. Ganz sicher aber nimmt er eine Manganknolle mit. Golfballgroß. Geborgen am Meeresgrund, in 5000 Meter Tiefe. Ein Geschenk der Ozeanforscher.