Vor 142 Jahren sank die spanische “Ulpiano“ vor Süderoogsand. Wind und Gezeiten haben sie jetzt freigespült. Ein Geheimnis wird gelüftet.

Süderoog. Was sich auf einer Sandbank vor der Hallig Süderoog tut, finden die Medien selten interessant. Aber dieser Fall liegt anders. Wind und Gezeiten haben dort ein Schiffswrack freigelegt - gut 142 Jahre nach der Strandung. Viele deutsche Zeitungen berichten darüber, und dann geht die Nachricht auf Reise. Am Ende landet sie sogar in der in Venezuela erscheinenden "Latin American Herald Tribune". Auch dort ist zu lesen, dass die "Ulpiano" gefunden worden ist - "a Spanish ship, which ran aground at Christmas 1870". Illustriert ist der Artikel mit einem Luftbild des Süderoogsands.

In Venezuela weiß man nun also, wie jene Sandbank in der Nordsee aussieht, an der so manches Schiff zerschellt ist. Lauter spannende Geschichte könnten darüber erzählt werden. Aber die der "Ulpiano" ist nicht zu schlagen. Sie beginnt mit einem Sturm, der zwölf spanische Seeleute und ihr Schiff an die deutsche Küste wirft. Und sie endet vorläufig mit einem Wrackfund, der für eine deutsch-spanische Familie zu einer Reise in die Vergangenheit wird.

42 Meter lang und acht Meter breit ist die "Ulpiano" - eine nagelneue Bark mit eisernem Rumpf, die sich damals, 1870, auf der Jungfernfahrt nach England befindet. Aber ein Sturm verhindert, dass sie ihr Ziel erreicht. Tagelang muss er geblasen haben. Die Crew erreicht zwar den Ärmelkanal, aber wegen des starken Windes ist das Schiff manövrierunfähig. Es wird immer weiter nach Osten getrieben. Am 24. Dezember, es ist schon dunkel, stellt sich dann der Süderoogsand als Hindernis in den Weg. Das Schiff wird bei Ebbe auf die Sandbank geworfen. Die zwölfköpfige Besatzung kann sich in eine Rettungsbake retten: einen hölzernen Turm, der auch bei Flut nicht überspült wurde.

"Da haben sie dann Fackeln entzündet, und die haben die Halligbewohner wahrgenommen", sagt Karsten Hansen, der Vorsitzende des Museumsvereins auf der Nachbarinsel Föhr. Aber der Sturm macht eine Rettung unmöglich. Die Halligbewohner versuchen es zwar, müssen aber umkehren. Zwei Tage später der nächste Versuch. "Da kamen ihnen die Seeleute wohl schon auf halbem Weg entgegen", sagt Hansen.

Gemeinsam erreichten sie die Hallig. Dort waren sie in Sicherheit. Aber sie saßen fest. Es herrschte Eisgang, und immer wieder frischte der Wind auf. Der Weg ans Festland war viel zu gefährlich. Und so vervierfachte sich die Bevölkerung Süderoogs für fast drei Monate. Statt vier waren es 16 Menschen, die dort lebten. Kann das gut gehen? Es ging gut. Der Kapitän der "Ulpiano" schrieb einen Dankesbrief, der erhalten ist. Sie seien "nicht wie Schiffbrüchige, sondern wie Brüder" behandelt worden, heißt es dort. Einer der Seemänner brachte dem Sohn der Halligfamilie das Gitarrespielen bei. Später, als der Sohn Gastwirt auf der Insel Föhr war, soll er seine Besucher öfter mit spanischen Liedern unterhalten haben. So kam der Flamenco nach Föhr. Im Hallighaus auf Süderoog zeugt bis heute das Schnitzwerk des Heckspiegels der "Ulpiano" von den Ereignissen am Heiligabend 1870. Zu sehen sind zwei Frauenfiguren mit einem Wappen in ihrer Mitte.

Auch im Pellwormer Strandungsprotokoll fand der Schiffbruch seinen Niederschlag. "Vor 1870, den 24ten Dezember strandete hier eine ganz neue Spanische eiserne Barke. Die Mannschaft bargen wir den 26ten mit großer Mühe wegen des Eises und war dieselbe hier reichlich 10 Wochen. Die Mannschaft war 12 Mann und hatte das Schiff noch keine Ladung eingehabt. Kostgeld für die Mannschaft 1250 ii, Bergelohn 1000 M." Die "Ulpiano" war ein gutes Geschäft, meint Martin Segschneider, Dezernatsleiter im Archäologischen Landesamt in Schleswig. "Die Aufbauten waren aus Holz, das konnten die Süderooger zum Feuermachen oder für andere Sachen nutzen. Und der Bergelohn war für die Inselbewohner in der Nordsee immer ein willkommenes Zubrot. Aber eben auch ein höchst ungewisses." Aber 1870 war ein gutes Jahr. Am 13. November strandete die englische Brigg "Londonderry". Sie hatte Ballast geladen. Die Mannschaft wurde geborgen. Bergelohn: 30 Pfund Sterling. Zwei Tage später der nächste Fall: Am 15. November lief das Hamburger Vollschiff "Oernern" auf Grund. Es hatte Manufakturwaren an Bord. 13 Seeleute ertranken, neun konnten gerettet werden. 7500 Mark wurden an die Inselbewohner ausgezahlt.

Dann kam Weihnachten - und die "Ulpiano". Auf den Inseln wurde noch lange von ihr gesprochen. Die Galionsfigur der "Ulpiano" hängt im Föhrer Friesenmuseum - schon seit der Eröffnung im Jahr 1907. Wie ist sie dahingekommen? Karsten Hansen weiß nur, dass es ein Arzt war, der die Figur dem Museum geschenkt hat. Aber der Weg vom Wrack zum Arzt - der ist unklar. Aber Hansen gibt die Hoffnung nicht auf. Er hört immer mal wieder etwas Neues. "Auf dem Festland soll es jemanden geben, der die Deckenlampe aus der Kapitänskajüte hat", sagt er. Und dann hat es nach all den Medienberichten über den Wrackfund auf Süderoogsand auch noch einen Anruf gegeben. Martin Segschneider berichtet: "Bei mir hat sich jemand gemeldet, dessen Urgroßvater Ulpiano geheißen hat und in Spanien, in Bilbao, Reeder gewesen ist." Teile der Familie leben mittlerweile in Schleswig-Holstein. Sie glauben, dass der Urgroßvater einem seiner Schiffe seinen Vornamen gegeben haben könnte. "Die wollen jetzt im Familienkreis nachforschen, ob es noch Unterlagen gibt." Segschneider findet, dass Bilbao als Heimathafen der "Ulpiano" eine gewisse Logik hätte. "Von dort aus wurde viel nach England gesegelt." Auch bei Karsten Hansen haben sich die Nachfahren gemeldet. Er hat ihnen ein Foto der Schnitzereien am Heckspiegel geschickt. "Vielleicht ist das Wappen ja ihr Familienwappen", sagt er.

Gut 142 Jahre nach dem Schiffbruch gibt es also einen Durchbruch, eine Wissenserweiterung. Die "Ulpiano" bekommt vielleicht bald einen Heimathafen. Und das Land, an dessen Küste die zwölf Seemänner mit dem Tod gekämpft haben, könnte für die Nachfahren des Reeders zu einer neuen Heimat geworden sein.

Aber was ist mit der Zukunft? Was geschieht mit dem Wrack, das jetzt, einem Kunstwerk gleich, aus dem Sand des Wattenmeers wächst? "Es wird unterspült werden", sagt Martin Segschneider. "Bald wird es wieder ganz unter Wasser liegen." Er findet das nicht schlimm. "Es gehört dort hin." Das Wrack hat ihn beeindruckt. Es sei "ästhetisch", sagt er. Im April oder Mai will er noch einmal zur "Ulpiano" fahren, um sie zu vermessen, sagt er. Es klingt nach ganz viel Vorfreude.