Sie kämpfen um die Macht in Niedersachsen. Die beiden sind sich dabei viel ähnlicher, als es auf den ersten Blick scheint.

Hannover. Königlich-britischen Besuch zu empfangen und sich als Halbschotte ein bisschen zu sonnen im royalen Glanz, das hat sich der niedersächsische Ministerpräsident David McAllister seit Amtsantritt im Sommer 2010 sehnlichst gewünscht. Nur zwei Tage vor der Landtagswahl am Sonntag war es am Freitag bei der Einweihung des neuen Schlosses Herrenhausen endlich so weit - aber ein geteiltes Vergnügen. Auch der hannoversche Oberbürgermeister und SPD-Spitzenkandidat Stephan Weil nämlich bemühte sich protokollgemäß vor den Fernsehkameras um die Prinzessinnen Beatrice (24) und Eugenie (22).

Seit sie rechnen gelernt haben, wissen die beiden jungen Damen, wo sie hingehören: Als Enkelinnen von Königin Elizabeth II. stehen sie auf Platz fünf und sechs der Thronfolge. Die Bürger McAllister und Weil dagegen werden erst am Sonntag nach 18 Uhr erfahren, wo für die nächsten fünf Jahre ihr Platz im Landtag ist und im politischen Ranking der Bundesrepublik: Ganz vorn neben dem Rednerpult und damit leicht erhöht auf Platz eins der Regierungsbank - oder eine Etage tiefer in Reihe eins als Oppositionsführer.

Im Schloss Herrenhausen haben die beiden Kandidaten ihre Rolle an der Seite der vor allem wegen ihrer extravaganten Hüte bekannten Prinzessinnen brav gespielt, aber sich vermutlich beim letzten Zusammentreffen vor der Entscheidung heimlich gefragt, wer von ihnen beiden denn nun am Sonntagabend den schweren Gang geht und dem anderen gratulieren wird. Klar ist: Der Verlierer wird sich nicht drücken, aber grämen. Beide Kandidaten nehmen den Wettkampf betont sportlich, beide haben auch ein ausgeprägtes Selbstwertgefühl. Und verschmäht zu werden von den Wählern, das wird einer von den beiden an diesem Abend neu lernen müssen. Bislang nämlich kannten beide nur eine Richtung: nach oben.

Der 42-jährige Jurist McAllister hat zwar nach hartem Kampf schon mal die Ehre des Schützenkönigs von Bad Bederkesa errungen, in der Politik aber ging es immer im Schlepptau seines langjährigen Mentors Christian Wulff. Und der Jurist Weil wurde Oberbürgermeister von Hannover ganz ohne Kampf: Die Stadt gilt als praktisch uneinnehmbare rot-grüne Festung. Ihm ebnete Herbert Schmalstieg den Weg - der mehr als 25 Jahre im Rathaus residierte.

Am Sonntagabend aber kann es nur einen geben, der jubelt und klar ist eigentlich nur, dass es verdammt knapp wird. Es soll Sonntag knackig kalt werden und schneien, darauf haben die Kandidaten keinen Einfluss. Aber es gab in der Schlussphase des Wahlkampfes Abwägungen und einsame Entscheidungen, deren Ergebnis die Landtagswahl beeinflussen können. Der Amtsinhaber McAllister hat sich am Ende entschieden, dem schwächelnden Koalitionspartner mit diskreten Leihstimmen über die Fünf-Prozent-Hürde zu helfen. Herausforderer Weil hat sich fast schon verbissen geweigert, eine Koalition mit oder eine Tolerierung durch die Linke auszuschließen. Bei einem toten Rennen wie vor fünf Jahren in Hessen will er nicht wie die damalige SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti daran scheitern, dass er nach der Wahl anders handelt als er es vor der Wahl angekündigt hat. Beide Entscheidungen waren, mitten im bitter kurzen Winterwahlkampf, ein Spiel mit dem Feuer.

Es gibt noch mehr schwierige Gemeinsamkeiten: Beide Kandidaten haben gelitten unter Dritten. McAllister geht seit nun einem Jahr sehr mühsam auf Distanz zum unter Korruptionsverdacht stehenden Christian Wulff. Und auch Weil bleibt nur die Rolle eines still leidenden Statisten, seit der frischgebackene SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück von Fettnäpfchen zu Fettnäpfchen eilt und folgerichtig auch die Umfragewerte für die SPD in Niedersachsen bröckeln. Wer von den beiden Kandidaten auch immer am Ende einen Sündenbock braucht, der muss nicht lange suchen.

Beide Männer können Wahlkampf im direkten Kontakt mit den umworbenen Bürgern. Was allerdings Weil abgeht, das Gespür für die großen Säle, ist für McAllister erkennbar die Kür. Und er hat Mut bewiesen, indem er der Landespartei einen ganz auf seine Person zugeschnittenen Wahlkampf verordnete - mit gewollten Ansätzen von britischem Humor. "I`M A MAC" als kleiner Aufkleber für die Heckscheibe im Auto bis hin zum großen Schild vor der heimischen Haustür und Chips, die "Wahlmampf" heißen, das unterscheidet sich deutlich und absichtlich von den staatstragenden Wahlkämpfen seines Vorgängers Wulff. Im Wahlkampfspot, ausgestrahlt im NDR-Fernsehen, loben die Interviewten wenig überraschend den Regierungschef McAllister als kompetent, mutig, vorausschauend. Und wenn man denkt, es ist alles üblich-langweilig, kommt ein Gag. Eine junge Frau nennt McAllister gutaussehend und setzt dann grinsend hinzu: "Für sein Alter".

Die Masse der CDU-Plakate zeigt McAllister allein, Stephan Weil dagegen lässt sich ins Bild setzen neben Arbeitnehmern, Kindern, Studenten. Sein Schattenkabinett hat er aus der zweiten Reihe der Politik rekrutieren müssen und versucht, jetzt aus der Not eine Tugend zu machen. Er setzt sich gezielt ab vom etablierten Politikbetrieb, indem er die eigene Rolle als Oberbürgermeister als Politik ganz nahe an den Menschen beschreibt - eben anders.

Eine von vielen kleinen Gemeinsamkeiten der Kandidaten auf den zweiten Blick: Sie fremdeln ähnlich stark mit den Fernsehkameras, aufs einzige TV-Duell haben sie sich in langen Trainingseinheiten mit vorformulierten Antworten auch auf Fangfragen intensivst vorbereitet - Überraschungen waren dementsprechend ausgeschlossen, das langweilige Unentschieden entsprach damit beiden Charakteren: Risiken mögen sie nicht.

So eifrig sie in den vergangenen Wochen gelächelt und den netten Mann von nebenan gegeben haben, so konsequent betreiben sie die eigenen Karrierepläne. McAllister traut keinem außer McAllister und hat der Landespolitik vor Jahresfrist so etwas wie einen Baustopp verordnet in dem Bestreben, keine Fehler zu machen. Sogar die Energiewende muss warten, McAllister zieht lieber übers Land und preist Niedersachsen als Aufsteigerland. Weil wiederum hat sich so lange im Rathaus zu Hannover bedeckt gehalten, wie die Umfragen in Niedersachsen schlecht waren für die SPD. Als sich das im Herbst 2011 nachhaltig änderte, meldete er sein Interesse an, schlug den einzigen Gegenkandidaten Olaf Lies in einer Urwahl, nahm dem Unterlegenen dann auch noch den Landesvorsitz ab. Und während McAllister sein Heil sucht als absoluter Gefolgsmann der Bundesvorsitzenden und Kanzlerin Angela Merkel, geht Weil den umgekehrten Weg: Im Fall eines möglichen Endlagers Gorleben für hoch radioaktiven Müll profiliert er sich ausdrücklich gegen den Bundesvorsitzenden Sigmar Gabriel.

Was dem einen der Schützenverein in Bad Bederkesa ist dem anderen ein Abend mit Freunden in einer der Hannover-typischen Bratkartoffel-Kneipen. Beide sind bekennende Provinzler, meiden nicht erst seit den Negativschlagzeilen um den Ex-Bundespräsidenten Wulff die VIP-Lounges und Glamour-Empfänge mit dem niedersächsischen Geldadel. Beide verzichten weitgehend auch auf die Vermarktung des Privatlebens für den politischen Erfolg. Wenn das Wahlergebnis auf eine große Koalition herauslaufen sollte, dann gäbe es im Umgang der beiden Spitzenleute keine unüberbrückbaren persönlichen Gegensätze, aber ein Problem: Unter der freundlichen Schale sind beide Alphatiere, die sich in Staatskanzlei respektive Rathaus schnell und nachhaltig daran gewöhnt haben, nicht Erster unter Gleichen, sondern vor allem Erster zu sein.

Stephan Weil hat sich darauf festgelegt, im Falle einer Niederlage dennoch als Oppositionsführer in den Landtag zu wechseln. David McAllister dagegen hat diese Frage absichtsvoll unbeantwortet gelassen, nachdem er jetzt doch zweieinhalb Jahre die eine alles entscheidende Stufe höher auf der Regierungsbank gesessen hat.

Von den beiden Prinzessinnen aus England haben beide Kandidaten am Freitag Anschauungsunterricht bekommen darin, wie man geduldig ein Programm absolviert, das nicht von eigenen Interessen geleitet, sondern von der Etikette diktiert wird. Am Sonntagabend wird einer von den beiden zeigen müssen, ob er die Lektion gelernt hat.