Niedersachsens Ministerpräsident muss einen Monat vor der Wahl zittern. SPD und Grüne liegen vor CDU und FDP

Hannover. Der niedersächsische Ministerpräsident und CDU-Landesvorsitzende David McAllister hat der politischen Konkurrenz ein kleines, aber feines Weihnachtsgeschenk gemacht. Ohne Not erklärte er am Mittwoch der Deutschen Presseagentur, er werde im Falle einer Wahlniederlage entgegen der Gerüchtelage nicht nach Berlin wechseln, sondern in Niedersachsen bleiben. Solch eine Ankündigung ist eine politische Todsünde für einen amtierenden Regierungschef, der potenzielle Wähler nicht damit verschrecken darf, dass er offenkundig die Niederlage bereits ins Kalkül zieht.

Auf den Tag genau einen Monat vor der Landtagswahl am 20. Januar 2013 ist die Nervosität bei allen Akteuren groß. SPD und Grüne liegen vor der CDU, während Piraten, FDP und Linke nach allen Umfragen der vergangenen Monate an der Fünfprozenthürde scheitern. Aber da sind, gerade bei den kleinen Parteien, noch Veränderungen möglich, die SPD und Grüne am Wahlabend unsanft aus ihren Träumen reißen könnten.

Bei der Landtagswahl vor fünf Jahren lag das bürgerliche Lager aus CDU und FDP so eindeutig vorn, dass im Wahlkampf erst gar keine Spannung aufkam. Jetzt aber ist allen Akteuren anzumerken, wie die Nervosität steigt. Was im wirklichen Leben der Pulsschlag ist, ist jetzt in der Politik die immer kürzere zeitliche Abfolge, mit der Pressemitteilungen und Pressemitteilungen als Reaktionen auf Pressemitteilungen in den Redaktionen landen - etwa einstündige Weihnachtsmarktbesuche des Ministerpräsidenten in Lüneburg und Braunschweig inklusive dem Hinweis: "Foto und TV geeignet".

Mangels des einen wahlkampfbestimmenden Themas arbeiten sich die Parteizentralen immer häufiger an Kleinigkeiten ab. Die Linke mäkelt, der Ministerpräsident bringe als Ministerpräsident briefliche Wahlwerbung an Senioren und das sei nicht statthaft. Die SPD moniert, die CDU lege jetzt Wahlkampfwerbung schon Kirchenzeitungen bei und mache mit einem eigenen Spendenaufruf den kirchlichen Hilfswerken ausgerechnet in der Weihnachtszeit Konkurrenz. Die CDU wiederum findet es empörend, dass der SPD-Herausforderer und Spitzenkandidat Stephan Weil Anfang Januar im neuen noch gar nicht fertiggestellten Schloss Herrenhausen einen großen Empfang gibt - in seiner Eigenschaft als Oberbürgermeister.

Die CDU-Landtagsabgeordnete Gisela Konrath kennt kaum einer, aber jetzt macht sie von sich reden mit dem Vorwurf, der Oberbürgermeister Weil schaue dem Anstieg der Zwangsprostitution in Hannover "tatenlos zu".

Und weil sich alle Beteiligten nach Weihnachten wegen des extrem kurzen Wahlkampfes besonders ins Zeug legen werden, ist auch damit zu rechnen, dass das so weitergeht. Die CDU wird erneut das Aus für die Gymnasien als Gespenst an die Wand malen, falls SPD und Grüne an die Macht kommen. Und die SPD wird mindestens noch zwei Versuche unternehmen, von der Korruptionsaffäre um den ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff den Bogen schlagen zu dessen Nachfolger im Amt des Ministerpräsidenten von Niedersachsen, eben David McAllister.

Der wiederum meidet seit Wulffs Rücktritt jedes öffentliche Treffen mit seinem früheren langjährigen Förderer, und sein Umfeld streut gerne, dessen Hang zu Glamour und Geldadel sei McAllister immer peinlich gewesen.

Aus der Sicht der Wähler geht es um die Zusammensetzung eines Landtages und die Machtverteilung für fünf Jahre. Aus der Sicht der Parteien und der handelnden Personen geht es darum, ob Lebensentwürfe aufgehen. Die Grünen haben nur zwischen 1990 und 1994 mitregieren dürfen, keiner der heute agierenden Politiker der Landespartei war damals schon dabei. Nach 18 Jahren Opposition jetzt noch einmal auf diese harten Bänke verwiesen zu werden am 20. Januar, das würde richtig wehtun. Für Stefan Wenzel etwa, Grünen-Fraktionschef im Landtag und denkbarer nächster Umweltminister, geht es jetzt um alles oder nichts. Dies ist der Lautstärke wie dem gereizten Ton seiner Reden im Landtag in den vergangenen Monaten auch anzumerken gewesen.

Besonders tief fallen die Parteien und Personen, die die Rückkehr in den Landtag gar nicht schaffen: Keine Abgeordnetendiäten, stattdessen die Aussicht auf fünf Jahre außerparlamentarischer Opposition bei chronischem Geldmangel in der Parteikasse. Die Wahlkampfkostenerstattung hängt an der Stimmenzahl, zudem gibt es auch keine Unterstützung mehr bei der Parteiarbeit aus den Fraktionen.

Und bei der großen Regierungspartei CDU wird im Fall einer Wahlniederlage das Angebot an Spitzenjobs sehr übersichtlich: Gebraucht und gut bezahlt werden ein Oppositionsführer und voraussichtlich auch der Landtagspräsident. Im Umkehrschluss wird hinter den Kulissen schon eifrig spekuliert, ob die Grünen bei einem guten Ergebnis vielleicht sogar drei Ministerposten für sich reklamieren könnten. Nach zehn Jahren Opposition gibt es auch viele Sozialdemokraten, deren Karriereplanung ganz darauf ausgerichtet ist, den Sprung ins Kabinett zu schaffen.

Angesicht der ungewissen Zukunftsaussichten werden es wohl für viele Politiker in Niedersachsen unruhige Weihnachtstage. Und unmittelbar danach und nach der nächsten Umfrage wird die CDU noch eine schwierige Entscheidung treffen müssen: Hilft sie der schwächelnden FDP mit Leihstimmen über die Fünfprozenthürde? Das macht nur Sinn, wenn in der Addition die beiden Parteien dann mit SPD und Grünen auf gleicher Höhe liegen. Noch eine Überlegung kommt hinzu: Wenn die CDU schon in die Opposition muss, dann wäre es für den absehbaren Fraktionsvorsitzenden McAllister hilfreich, in dieser Rolle im bürgerlichen Lager ein Alleinstellungsmerkmal zu haben - also die FDP draußen zu halten.