Warum tropische Falter aus Buchholz in der Nordheide gekühlt, eingesammelt und in Kisten zum Sterben in die Niederlande gebracht werden.

Buchholz/Emmen. Jedes Jahr im November, wenn die Tage kürzer werden und die Nächte kälter, dreht Hildegard Hain die Heizung in ihrem Schmetterlingspark herunter und wartet. Die Temperatur muss von sattwarmen 28 Grad auf mindestens 18 Grad sinken, damit Bananenfalter und Schwalbenschwanz in Kältestarre verfallen und nicht mehr umherflattern. In der Dämmerung streift sie dann mit ihrem Mann Peter durch das dichte Grün des Gewächshauses.

Falter um Falter sammeln die beiden vorsichtig ein, manchmal mit der bloßen Hand, manchmal mit einem Kescher, wenn sich die Tiere in zu luftiger Höhe niedergelassen haben. Ihre Ausbeute stecken die Hains in präparierte Styropor- und Gazekisten. Die Schmetterlinge sollen sich nicht verletzen, wenn sie die letzte große Reise ihres Lebens antreten. Die Reise zum Schmetterlingsgarten im Zoo der niederländischen Stadt Emmen.

Es ist eine Reise, von der ein ganz besonderer Zauber ausgeht. In Emmen wird der Großteil der knapp 200 eingesammelten, ausschließlich tropischen Falter nur noch wenige Wochen leben. Warum also nehmen es Hildegard und Peter Hain auf sich, die Tiere in ihrem Park in Buchholz in der Nordheide mühselig zu fangen und mit dem Auto 250 Kilometer weit in die Niederlande zu transportieren, nur damit sie dort nach kurzer Zeit sterben? Die Frage lässt sich am besten mit einer Gegenfrage beantworten. Sollen sie die Schmetterlinge einfach erfrieren lassen, wenn sie Ende Oktober ihr Haus schließen? Undenkbar für das Ehepaar, das 1989 die Liebe zu den filigranen Schmuckstücken zu seinem Beruf machte und den Alaris-Schmetterlingspark eröffnete. Zwei weitere Häuser folgten im Laufe der Jahre in Uslar im Solling und Sassnitz auf Rügen. Nein, die Hains wollen, dass ihre Schützlinge ihren Lebensabend in Würde verbringen.

Nicht zu fest und nicht zu schlaff darf man die Tiere anfassen

Doch bevor das geht, steht zunächst das große Sammeln an. "Da, unter dem Blatt steckt einer." Peter Hain eilt mit dem Kescher zu der Stelle, wo er gerade die Weiße Baumnymphe gesehen hat. Der Falter ist einer der Ersten an diesem düsteren Novembernachmittag, der in die Styroporkiste wandert. Nicht zu fest und nicht zu schlaff dürfe man die Tiere anfassen, erklärt er. "Mit der Zeit bekommt man ein Gefühl dafür." Wichtig sei, dass man immer Vorder- und Hinterflügel erwische, sonst zappele der Schmetterling in der Hand und verletze sich. Etwa 300 Tiere sind zu dieser Jahreszeit noch im Park übrig.

18,4 Grad. Das Thermometer in Buchholz zeigt aus Schmetterlingssicht nahezu arktische Temperaturen an. Irgendwie scheint das mit der Kältestarre dennoch nicht bei allen Tieren zu klappen. Manche flattern unbeirrt über die tropischen Pflanzen hinweg, langsam zwar, aber stetig in Bewegung.

"Komplett leer wird die Halle sowieso nicht", ist sich Peter Hain sicher. Einige Schmetterlinge - die meisten werden zwei oder drei Wochen alt - werden vielleicht sowieso nur noch wenige Stunden leben. Andere wiederum zeigen sich plötzlich von ihrer robusten Seite und trotzen monatelang Temperaturen von etwa zehn Grad. Der Bananenfalter beispielsweise sei so ein Kandidat, sagt Hildegard Hain. Ganz ausschalten werden die Hains die Heizung in der kalten Jahreszeit nicht, die tropischen Pflanzen würden bis zur Wiedereröffnung Ende März nicht überleben. Eine Kostenersparnis bringt es dennoch, wenn nicht konstant 28 Grad erreicht werden müssen. "Wir zahlen jährlich im Schnitt 20 000 Euro für Gas", sagt Peter Hain. Hätten sie auch im Winter geöffnet, würden die Gewinne des weniger heizintensiven Sommers sofort verpuffen. Diese Überlegungen spielen ebenfalls eine Rolle, wenn sie die Schmetterlinge im November nach Emmen bringen - abgesehen von den guten Kontakten zu den niederländischen Experten in Sachen Schmetterlingshaltung, die sie mit dem jährlichen Geschenk wieder auffrischen.

Nach fast drei Stunden beschließen die Hains, es für dieses Jahr gut sein zu lassen. In fünf Kisten liegen die Falter, die Aufregung in der vorübergehenden Gefangenschaft ist anfangs groß. Erst als Hildegard Hain eine alte Jacke über den Deckel legt, kehrt Ruhe ein. Die Dunkelheit signalisiert: Jetzt ist Schlafenszeit. Über Nacht werden sie die Tiere mit nach Hause nehmen, damit es morgen nach Emmen gehen kann. Wehmütig blickt Hildegard Hain in die nahezu falterlose Halle. "Ein komisches Gefühl, wenn sie alle weg sind."

Nächster Tag, 8.30 Uhr. Kersten Liebold hat seinen Kofferraum mit der flatterigen Fracht befüllt. Über Nacht ist er von Wittenberg nach Tangendorf, dem Wohnort der Hains nahe der Autobahnabfahrt Thieshope, gefahren. Der ausgebildete Opernsänger und Schauspieler betreibt in der Lutherstadt ebenfalls einen Schmetterlingspark und kooperiert seit Jahren mit dem Ehepaar. Auch er hat am Vortag seine Halle so gut wie leer geräumt.

Weil Hildegard und Peter Hain dringend zu ihrem Park in Uslar müssen, übernimmt Liebold diesmal alleine die Fahrt in die Niederlande. Acht Kisten sind insgesamt zusammengekommen, gefüllt mit gut 400 Glasflüglern, Passionsfaltern oder Falschen Monarchen. Vor allem die Gazekiste lässt die Sonne ins Innere hindurchscheinen, die Tiere stehen unter Strom. Ein beständiges Rascheln und Flattern begleitet die Fahrt über Bremen und Cloppenburg zur niederländischen Grenze. Erst beim Auspacken auf dem Parkplatz des Emmener Zoos ist im wahrsten Sinne des Wortes wieder Ruhe im Karton. Die plötzliche Kälte und der starke Wind versetzen die Falter in die bekannte Starre.

Drinnen, im tropischen Klima des Schmetterlingsgartens, empfangen die Tierpflegerinnen Marisca Kuyper und Hennie Boer den Besuch aus Deutschland mit Begeisterung. "Wunderbar, so viele Falter für uns!", ruft Marisca Kuyper glücklich und stellt mit ihrer Kollegin die Kartons so hin, dass die Zuschauer das erwartete Freilassungsspektakel gut verfolgen können. Das bleibt aber aus, denn aufgrund der Temperaturschwankungen und der Dunkelheit im Inneren der Kisten sind die Tiere noch wie betäubt. Mit dem Finger komplimentieren die beiden Frauen und Kersten Liebold die Schmetterlinge einzeln hinaus. "Oh, sind die schön", kommt es andächtig von den Besuchern. Die farbenprächtigen Exemplare verfehlen ihre Wirkung nicht.

"Es ist sehr gut, dass er so viele Hellrote dabei hat", sagt Wijbren Landman, Biologe des Zoos. Die Passionsfalter in Emmen sind mit der Zeit recht dunkel geworden, jetzt können sie sich wunderbar mit den helleren Artgenossen durchmischen und insgesamt wieder heller werden. Für Marisca Kuyper ist die Sache glasklar: "Dass die Hains und Herr Liebold die Schmetterlinge jedes Jahr zu uns bringen, ist für die Tiere, für sie und für uns gut."