Untersuchungsausschuss Asse deckt auf, wie leichtfertig Politiker, Wirtschaft und Bürokratie mit radioaktivem Müll umgingen.

Remlingen/Hannover. Das Sitzungszimmer 1541 des Niedersächsischen Landtags trägt den Namen Speeldeel. Hier treffen sich heute die elf Mitglieder des 21. Parlamentarischen Untersuchungsausschusses, um den Schlussstrich unter drei Jahre Arbeit zu ziehen, 71 Sitzungen mit über 50 Zeugen. Viele Politiker, Ministerialbürokraten und Wissenschaftler haben im Zeugenstand eifrig, aber schlecht wie in der Speeldeel geschauspielert, sich kaum oder gar nicht erinnert, jedoch immer im Brustton der Überzeugung versichert, sie hätten sich nichts bei Planung, Bau, Betrieb und der Stilllegung des maroden Atomendlagers Asse bei Wolfenbüttel vorzuwerfen.

Das sehen, bei allen Unterschieden in Einzelpunkten, die Abgeordneten durch die Bank anders: Die Geschichte des Atommülllagers Asse ist aus ihrer Sicht ein Paradebeispiel dafür, wie sich Politik und Elektrizitätswirtschaft erst fortschrittsgläubig in den frühen 60er-Jahren auf den Irrweg machten und sich Politiker und Bürokraten sowie Experten dann über Jahrzehnte als unfähig erwiesen, eine einmal getroffene Fehlentscheidung einzusehen - geschweige denn zu korrigieren.

Das ausgebeutete und einsturzgefährdete alte Salzbergwerk wurde als Standort bestimmt, weil das Aushöhlen einer neuen Salzkaverne erheblich teurer geworden wäre. Im Nachhinein ist das lächerlich: Damals ging es um Beträge bestenfalls im einstelligen Millionenbereich, heute als Folge der Fehlentscheidung um bis zu vier Milliarden Euro für die Bergung der Abfälle.

Kritische Experten wurden mundtot gemacht, frühe Warnungen des staatlichen niedersächsischen Bergamtes in den Fachausschüssen wegen der riesigen Hohlräume und der Gefahr von Wassereinbrüchen schon in den 60er-Jahren kleingeredet. Parlamente und Öffentlichkeit wurden von Bürokraten und Wissenschaftlern abgespeist mit geschönten Kurzfassungen eigentlich kritischer Berichte - es herrschte Bunkermentalität, Einwände waren unerwünscht. Erklärtes Ziel der Zensur laut Protokoll einer Sitzung 1966: "Abwehren von Angriffen Außenstehender".

Dazu gehörten auch die Menschen im Umfeld der Asse, in Remlingen und vielen anderen kleinen Orten. Ihnen gegenüber wurde das Thema Forschung betont und der Eindruck erweckt, anschließend werde der Atommüll aus dem "Versuchsendlager" wieder geborgen. Im Abschlusspapier des Untersuchungsausschusses von CDU und FDP heißt es dazu: "Unter dem Deckmantel der Forschung erfolgte die Entsorgung von schwach- und mittelaktivem Müll in großen Mengen."

Eile bei der Herrichtung und Inbetriebnahme des Endlagers war auch deshalb angesagt, weil die Politik zuvor die Energiewirtschaft zum Bau von Atommeilern gedrängt hatte und die jetzt im Gegenzug auf Endlagerkapazitäten pochte. Zwischen 1967 und 1978 stieg die Menge der angelieferten Abfälle von Jahr zu Jahr an, die Einlagerung wurde auf mittelaktive Stoffe ausgeweitet. Von 125 787 Fässern wurden allein knapp 50 000 in den beiden letzten Betriebsjahren eilig herangekarrt und von der Gesellschaft für Strahlenforschung (GSF) als Betreiber nach mangelhaften Inhaltskontrollen eilig verscharrt.

Ob nun nur die GSF oder auch das niedersächsische Umweltministerium über viele Jahre Wassereinbrüche und das Auftreten von verseuchten Laugen im Bergwerk verschwiegen, darüber gehen die Meinungen in den Abschlussberichten der einzelnen Fraktionen im Untersuchungsausschuss auseinander.

Dass die verantwortlichen Minister auf Bundes- und Landesebene über Jahrzehnte alles getan haben, um sich das Problem vom Halse zu halten, haben sie unfreiwillig als Zeugen im Ausschuss dokumentiert. Nicht einmal die Grünen im Untersuchungsausschuss bestreiten, dass auch ihr Bundesumweltminister Jürgen Trittin (1998 bis 2005) da keine Ausnahme macht. Am vorsichtigsten gehen mit dieser organisierten Nichtverantwortung wiederum CDU und FDP um, die den Ressortchefs in ihrem Abschlussbericht vorhalten: "Die Politik hielt sich eher fern und ließ sich lediglich durch Vermerke über die Vorgänge informieren." Ein konkretes Fehlverhalten "einzelner Akteure mit strafrechtlichen Konsequenzen lässt sich allerdings nicht feststellen".

Erst der Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) machte nach seinem Amtsantritt 2005 das Problem öffentlich. Die Asse liegt in seinem Wahlkreis, er redete Tacheles und sorgte dafür, dass das lasche Bergrecht durch das ungleich strengere Atomrecht ersetzt wurde. Gabriel: "Die Asse ist das größte Strahlenschutzproblem in Europa."

Dass die Asse niemals ein Atomendlager hätte werden dürfen, darüber sind sich die Parteien im niedersächsischen Landtag einig. Auch gibt es keine zwei Meinungen mehr darüber, dass der Abfall trotz Milliardenkosten und riesiger technischer Probleme mangels der im Atomgesetz bindend vorgeschriebenen Langzeitsicherheit wieder aus dem alten Bergwerk herausgeholt werden muss.

Dass es dennoch keinen gemeinsamen Abschlussbericht gibt, sondern das Mehrheitsvotum von CDU und FDP sowie getrennte Berichte der drei Oppositionsfraktionen, hat entscheidend mit einer Anschlussfrage zu tun: Was bedeutet das Desaster in der Asse für das geplante Endlager Gorleben, bekanntlich ebenfalls ein Salzstock? Für SPD, Grüne und Linke ist Gorleben wegen der Erfahrungen in der Asse ungeeignet. Und daran ändere auch die Tatsache nichts, dass die Atomstromkonzerne hier schon 1,6 Milliarden Euro für Stollen und Schächte, bereits zugeschnitten auf die Endlagerung, verbaut haben. CDU und FDP aber verweigern sich strikt jedem Versuch, von der Asse auf Gorleben zu schließen.