Während einer Dienstfahrt spricht Niedersachsens Wissenschafts- und Kulturministerin Johanna Wanka über ihre Zeit in der DDR.

Hannover. 10.000 Kilometer im Monat kommen locker zusammen im Audi A 8. Dutzende von Hochschulen gibt es in Niedersachsen, die besucht werden müssen, und bis runter in die Dörfer möchten die Bürger, das die Ministerin für Wissenschaft und Kultur ihre Ausstellung eröffnet. Johanna Wanka nimmt es gelassen.

Die zierliche 61-Jährige hat reichlich Platz im Fonds des Wagens, obwohl sie sich in Absprache mit ihrem Fahrer entschieden hat, nicht die Langfassung der Limousine zu wählen. Das so gesparte Geld haben sie in ein Sicherheitspaket gesteckt, das vor jedem Abweichen von der Fahrbahn warnt und im Fall eines drohenden Aufpralls von hinten die Sicherheitsgurte strafft.

Früher hat Johanna Wanka ganz andere Abwägungen treffen müssen, und diese ohne elektronische Frühwarnsysteme. Sie ist in der DDR aufgewachsen, ihre Berufung zur niedersächsischen Ministerin für Wissenschaft und Kultur im Jahr 2010 - zwei Jahrzehnte nach der Vereinigung - war so etwas wie eine Sensation. Die Mathematikprofessorin ist neben der Physikerin und Kanzlerin Angela Merkel binnen 20 Jahren die einzige Politikerin aus dem Osten Deutschlands, die im Westen Karriere gemacht hat.

Der Fahrer fädelt in Hannover auf der Autobahn 2 Richtung Ruhrgebiet ein. Wanka erzählt, wie damals in der DDR die Religion oder genauer gesagt die religiöse Mutter aus Ostpreußen den richtigen Weg vorgab. Tochter Johanna durfte nicht zu den Jungen Pionieren und hat sich schon ein bisschen als Außenseiterin gesehen, deshalb Tränen verdrückt. Aber bei dem feierlichen Fahnenappell, als sie mit 14 Jahren Mitglied der Freien Deutschen Jugend (FDJ) wurde, war sie wütend auf den Staat. Sie, die beste Schülerin ("alles Einsen außer im Sport"), durfte nur auf die Erweitere Oberschule, nachdem sie der FDJ beigetreten war. "Da habe ich geheult vor Wut."

Von 2000 bis 2009 war Wanka Wissenschaftsministerin in Brandenburg, dann Oppositionsführerin im Landtag in Potsdam. 2010 ist sie dann dem Ruf des niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff gefolgt, der damals seine eher langweilige Ministerriege mit der Frau aus dem Osten und mit der türkischstämmigen Muslima Aygül Özkan aus Hamburg als Sozialministerin aufpeppte. Wanka hatte den besseren Start: Kein Wunder, neun Jahre im gleichen Ressort nur ein Bundesland weiter und, wie Mitarbeiter erzählen, einem untrüglichen Sinn für Gefahren - vielleicht doch DDR-Training.

Wanka schildert ihre eigene Art, sich durch gesellschaftlichen Druck nicht erpressen zu lassen. Nach dem Abitur war da noch einmal eine schwierige Weichenstellung: "Eigentlich hätte ich noch lieber Germanistik statt Physik studiert, aber ich habe die Naturwissenschaften gewählt." Weil in den Geisteswissenschaften die Staatspartei SED allgegenwärtig war, den Naturwissenschaften jedoch ein Rest an Selbstständigkeit blieb.

Der Fahrer, neben ihm der Pressesprecher, hinten die Ministerin, da ist spürbar ein Team unterwegs, dass sich manchmal mit einem Blick verständigen kann, wenn der mitfahrende Journalist eine Frage stellt. Da ist eine Nähe, die aus Wankas Sicht schon in der DDR überlebenswichtig war: "Nur im Freundeskreis waren offene Diskussionen möglich, man hat aufgepasst, mit wem man was bereden konnte." Und als besonders bitter hat sie vor allem eines empfunden: "Wir mussten den Kindern beibringen, dass sie in der Schule nicht alles sagen durften, was zu Hause besprochen wurde." Und dann war da Jahre später der Sohn, der partout nicht zur Volksarmee wollte, deshalb auch nicht hätte studieren können: "Dieser Konflikt hat mir zahllose schlaflose Nächte beschert." Letztlich hat dann die Wende das Problem gelöst.

Sie würde, Marketing gehört zum politischen Handwerk, schrecklich gerne mehr von der reichen niedersächsischen Wissenschaftslandschaft erzählen und den tollen Museen, aber dann lässt sie sich doch ein auf die Frage, was denn die Menschen im Osten von denen im Westen unterscheidet. "Die große Sorge in den alten Bundesländern bei jedweder Veränderung, nehmen Sie etwa das Drama um das Abitur nach zwölf Jahren." Und dann erinnert sie sich an die Gründung des Neuen Forums im Frühjahr 1989: "Wir haben damals die Freude am Gestalten entdeckt, das war eine irre Zeit, das gehört zu meinen schönsten Jahren." Trotz der Angst um die Kinder und vor der Stasi. "Veränderung ist doch nichts Negatives, das haben wir im Osten umfassend gelernt, gestalten macht unglaublich Spaß." Warum sie neben Merkel unverändert der einzige Export von Ost nach West ist? Sie weiß es nicht, versteht es auch nicht: "Nach 1989 haben ganz unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Biografien aus unterschiedlichen Berufen im Osten Politik gestaltet, das ist ein großes Reservoir."

Dank Navi bringt sie der Chauffeur auf dem unübersichtlichen Unigelände direkt vor der Tür. "Wie, Sie wollen gar nicht mit reinkommen? Das ist doch eine spannende Veranstaltung", sagt die Ministerin. Auf dem Rückweg mit der Bahn bleibt Gelegenheit, zwei ihrer Sätze in den Notizen dick anzustreichen. "Niemand aus dem Westen kann sich vorstellen, wie es war, da zu leben", lautet der eine. Und: "Ich habe damals Bundestagsdebatten gehört und als demokratischen Idealzustand genossen, inklusive der Frage, wer recht hat."