Störanfällig und zu klein: Schiffshebewerk Scharnebeck behindert die Binnenschifffahrt ins Hinterland der Hansestadt. Kein neues in Sicht.

Scharnebeck. Wann werden seine Schiffe wohl in Hamburg sein? Und wann von dort zurückkehren? So ganz genau kann Wolfgang Duffner das nie vorhersagen. "Es ist unkalkulierbar", sagt der Geschäftsführer der Niedersächsischen Verfrachtungsgesellschaft (NVG) in Hannover. "Wir wissen schließlich nie, wie lange sie bei Scharnebeck warten müssen."

Genau dort, im Landkreis Lüneburg, am Elbe-Seitenkanal bei Kilometer neun, liegt das Tor vor dem Tor zur Welt: ein Schiffshebewerk. Bei seiner Eröffnung 1975 das größte seiner Art weltweit, ist es mittlerweile zu einem Nadelöhr im Binnenverkehr zwischen dem Hamburger Hafen und dem Hinterland in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt geworden. Zu oft geschlossen sei die Anlage, und abgesehen davon auch zu klein, um heutigen Ansprüchen zu genügen, kritisieren Reeder, Hafenwirtschaft und auch viele Politiker einhellig. Doch ist der Bau einer neuen, leistungsfähigen Schleuse in weite Ferne gerückt, seit Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) dem schätzungsweise 240 Millionen Euro teuren Projekt im Frühjahr eine Absage erteilt hat. Weil die Leistungsfähigkeit des bestehenden Hebewerks, so Ramsauer, ausreichend sei.

Das sehen Reeder wie Wolfgang Duffner anders. Allein in der vergangenen Woche war die Anlage, in der Wasserfahrzeuge in zwei sogenannten Trögen um bis zu 38 Meter von Elb- auf Kanalniveau angehoben beziehungsweise in umgekehrter Richtung abgesenkt werden, wegen unvorhersehbarer Reparaturarbeiten drei Tage außer Betrieb. Unabhängig von solchen Störungen ist aufgrund von Wartungsarbeiten noch bis in den Oktober hinein ohnehin nur einer der beiden Tröge im Einsatz.

"Jeder Tag Wartezeit kostet zwischen 1000 und 2000 Euro pro Schiff", sagt NVG-Chef Duffner. Stillstand bei Scharnebeck habe die Reederei im Laufe der vergangenen zwei Jahre 200 000 bis 300 000 Euro gekostet, schätzt er.

So groß der Schaden schon für ein einzelnes Unternehmen ist - für eine ganze Branche könnte er ungleich größer sein. Jens Hohls, Geschäftsführer des Hafen Braunschweig, sagt: "Wenn ein Schiff zu spät in Hamburg ankommt, guckt sich ein Kunde das einmal an, vielleicht auch zweimal. Beim dritten Mal wählt er wieder den Lastwagen als Transportmittel." Fünfmal pro Woche verkehren Containerschiffe zwischen Braunschweig und Hamburg. "Aber wir wissen nie, wann sie dort ankommen", sagt Hohls. Dabei sei das Binnenschiff "der Verkehrsträger mit den größten Kapazitätsreserven". Hohls: "Straße und Bahn sind ja schon ziemlich ausgelastet."

Ähnlich äußert sich Bengt van Beuningen von der Hafen Hamburg Marketing. "Das Binnenschiff muss in der Lage sein, fahrplanmäßig zu verkehren", sagt er. Nur dann könne es konkurrenzfähig mit Lkw und Bahn sein. Beim Containerumschlag vom und ins Hinterland spielt der Wasserweg im Hamburger Hafen noch eine sehr untergeordnete Rolle: Von rund 5,7 Millionen Einheiten seien etwa 100 000 über die Elbe ins Binnenland gelangt oder von dort gekommen, so van Beuningen. Das sind weniger als zwei Prozent. Zum Vergleich: Auf dem Straßenweg seien es 3,5 und auf der Schiene 2,1 Millionen Container gewesen. In Tonnen Ladung bemessen sieht es etwas besser aus: Etwa zehn Prozent der 2011 im Hamburger Hafen umgeschlagenen 99 Tonnen vom und ins Hinterland haben die Hansestadt per Schiff erreicht oder verlassen.

Auch die Beschaffenheit des Hebewerks in Scharnebeck hemmt offenbar eine Verlagerung der Güterströme aufs Wasser: Es ist mit seinen je 100 Meter langen Trögen zu klein für Binnenschiffe der heutigen Generation. Jörg Rusche, Geschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Binnenschifffahrt (BDB), sagt: "Überall können wir mit 110, zum Teil sogar mit 135 Meter langen Schiffen fahren. Nur auf dem Elbe-Seitenkanal nicht." Da werde Potenzial vernichtet.

Auch die niedersächsische Landesregierung plädiert für einen Ausbau. Wirtschaftsminister Jörg Bode (FDP): "Das Schiffshebewerk Scharnebeck hat für das Land vorrangige Bedeutung." Ihm komme eine Schlüsselposition zu, wenn es um die Frage der zukünftigen Leistungsfähigkeit der Binnenwasserstraßen gehe. "Wenn wir die prognostizierten Zuwächse im Güterverkehr bewältigen wollen, brauchen wir auch die Wasserstraßen. Deshalb ist es aus meiner Sicht unerlässlich, Scharnebeck für die Schiffsklassen der Zukunft fit zu machen."