Liebe oder Zwangsheirat? Ein 23-jähriger Asylbewerber und seine Verlobte aus Adendorf kämpfen mit den Behörden um ihre Ehe.

Adendorf. Keser Y. blickt nachdenklich auf ihre rechte Hand. Da funkelt es golden am Ringfinger. Für die 25-Jährige aus Adendorf bei Lüneburg ist das im Augenblick der greifbarste Beweis dafür, dass sie verlobt ist. Verlobt mit dem Mann ihres Herzens. Der Verlobte selbst ist weg. Verhaftet im Standesamt und abgeführt. Der Vorwurf: Es liege eine gültige Abschiebeverfügung vor, außerdem habe er eine Frau zur Ehe zwingen wollen. Nun sitzt Idris S. in der Justizvollzugsanstalt Hannover im Stadtteil Langenhagen und sieht seiner Abschiebung in die Türkei entgegen. Am Mittwoch kommender Woche, so ist es zurzeit geplant, soll er Deutschland an Bord eines Flugzeugs verlassen.

Es ist der 26. Juni, ein Dienstag, als Keser Y. und Idris S. zum Standesamt im Adendorfer Rathaus aufbrechen. Mehr als einen Monat lang haben sie sich um einen Termin bemüht, für 10 Uhr haben sie ihn nun bekommen. Beide wollen ihre Eheschließung anmelden, das ist im Hause bekannt: Seit dem 22. Mai steht Keser Y. mit der Standesbeamtin Sabine von Dreger in Kontakt. Die Angelegenheit erweist sich als äußerst schwierig. Zwar ist die Braut in spe, drittes von zehn Kindern einer türkischstämmigen Familie, deutsche Staatsbürgerin. Der Mann aber, den sie heiraten möchte, ist Kurde. Er muss viele Dokumente erst aus seiner Heimatstadt Mardin anfordern und übersetzen lassen.

Dass der 23-Jährige, ursprünglich im nordrhein-westfälischen Kreis Coesfeld gemeldet, ein abgelehnter Asylbewerber ist und dort seit Langem als ausreisepflichtig gilt, scheint auf dem Standesamt in Adendorf entweder nicht bekannt zu sein oder keine Rolle zu spielen. Am Donnerstag, 21. Juni, bringt Keser Y. die letzten fehlenden Dokumente zum Amt. Inzwischen hat Richard Meier den Fall übernommen. Auch er ist Standesbeamter. Seine originäre Aufgabe ist es indes, die örtliche Ordnungsabteilung zu leiten. "Er hat gesagt, die Papiere seien nun vollständig, und wir würden uns dann am 26. sehen" - so erinnert Keser Y. das Treffen.

Die Verlobten sind früh dran an diesem 26. Juni. Um 9.30 Uhr treten sie über die Schwelle des Rathauses. Was dann passiert, wühlt Keser Y. bis heute auf: "Alle Leute haben uns schon ganz komisch angesehen. Herr Meier hat gesagt, wir sollten noch einen Moment warten. Um 9.45 Uhr hat er uns dann in einen Raum geführt. Die Tür ist aufgegangen. Sechs oder sieben Polizisten in Zivil sind aufgetaucht und haben meinen Partner festgenommen."

Sie ist wütend: "Ich bin echt in eine Falle getappt." Was Richard Meier auf Abendblatt-Anfrage einräumt: "Als die Unterlagen vollständig waren, habe ich Frau Y. mitgeteilt, dass wir die Eheschließung nun anmelden können. Und darüber - ich bin schließlich Beamter - habe ich auch die Polizeiinspektion Lüneburg informiert." Eine routinemäßige Anfrage bei der Ausländerbehörde habe den Hinweis geliefert.

Der Standesbeamte Meier macht klar: Selbst wenn die Ehe angemeldet worden wäre, hätte er bei der sodann folgenden Prüfung die Ehefähigkeit verneint. "Weil es sich hier um eine Zwangs- beziehungsweise Scheinheirat handelt", meint er. Und bezieht sich auf eine Notiz der Ausländerbehörde in der Akte des Bräutigams, wonach dieser im September 2010 in Dormagen eine Frau zwangsweise habe heiraten wollen.

Zwangsheirat - Keser Y., die in Adendorf als Zahnarzthelferin arbeitet, macht dieses Wort wütend. Sie wirkt wie eine sehr emanzipierte Frau. "Ich bin 25, ich kenne die Regeln, ich muss kein Kopftuch tragen. Ich weiß, was ich tue." Das habe sie auch den Beamten der Adendorfer Polizei erklärt, die sie kurz nach der Verhaftung ihres Verlobten aufklären wollten. Aufklären darüber, wie man sich einer Zwangsverheiratung erwehren könne. Weshalb sie den jungen Kurden heiraten wolle, der in Istanbul Jura studiert hatte, bevor er am 27. Juli 2010 nach Deutschland einreiste, sei ganz einfach: "Weil ich ihn liebe." Der 23-Jährige hatte sie vor 15 Monaten auf Hochzeitsfotos seines Cousins entdeckt, der mit einer ihrer Freundinnen verheiratet ist - und nach ihrer Handynummer gefragt.

Inzwischen ist die Ehesache Keser/Idris zu einem juristischen Tauziehen zwischen den Behörden und der Anwaltskanzlei, die den jungen Kurden vertritt, geworden. Norbert Körsgen, Sachbearbeiter in Diensten der Bonner Anwältin Güler Dogan, sieht einen Hoffnungsschimmer für den Mandanten seiner Chefin. Er hat einen Duldungsantrag beim zuständigen Verwaltungsgericht Münster gestellt. Aus einem Schreiben, gestern eingegangen, ergibt sich für ihn: Der Richter habe erkannt, dass die Verlobten eine Ehe miteinander eingehen wollten, der misslungenen Anmeldung am 26. Juni zum Trotz. Körsgen: "Dann greift der sogenannte Eheschließungsfreiheitsgrundsatz, den Artikel 6 des Grundgesetzes umfasst." Niemand dürfe gehindert werden, eine Ehe einzugehen. Eine Duldung bis zur Hochzeit, so Körsgen, wäre die Folge. Danach müsse S. ausreisen, könne aber mit Visum wieder einreisen.