Der CDU-Beobachter und Politikwissenschaftler Gerd Langguth über die Affäre Christian von Boetticher und immer härtere Machtkämpfe.

Berlin. Christian von Boetticher wollte als Spitzenkandidat der CDU in den schleswig-holsteinischen Landtagswahlkampf ziehen - doch er stürzte über eine Affäre mit einem minderjährigen Mädchen. Es war nicht nur die von vielen Beobachtern beklagte moralische Verfehlung selbst, die ihn den ersten Platz auf der Parteiliste und seine Ämter als Partei- und Fraktionschef kostete. Von Boetticher hatte Feinde innerhalb der Partei, die von seinem Rückzug profitieren wollten. Das ergaben Recherchen des Abendblatts, das gestern die Rolle der CDU in der Affäre beleuchtet hatte. Gerd Langguth ist ein langjähriger Beobachter der CDU, Biograf von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Politikwissenschaftler an der Uni Bonn. Das Abendblatt sprach mit ihm über den seiner Ansicht nach immer härter werdenden Politikbetrieb.

Hamburger Abendblatt: Herr Langguth, Schleswig-Holstein ist in diesem Jahr um eine politische Skandalgeschichte reicher geworden. Christian von Boetticher hat sich bei seiner Affäre mit einer Minderjährigen lange auf Parteifreunde gestützt, die er offenbar für echte Freunde gehalten hat. War das ein Fehler?

Gerd Langguth: Schleswig-Holstein ist nicht nur um eine Skandalgeschichte reicher, sondern um ein politisches Talent ärmer geworden. Christian von Boetticher hat aber die Lage offensichtlich unterschätzt. Grundsätzlich gilt: Angesichts des großen Misstrauens, das oft zwischen Parteifreunden herrscht, wäre es naiv, das Wort "Parteifreund" mit dem Wort "Freund" gleichzusetzen. Die meisten Politiker wissen, dass man das nicht tun darf, was er gemacht hat. Da gelten für Politiker harte Maßstäbe.

"Freund, Feind, Parteifreund" heißt es gern. Gilt das besonders für die CDU?

Langguth: Das gilt für alle Parteien. Für Christian von Boetticher gilt, dass er die Situation wohl etwas falsch eingeschätzt hat und von manchen vermeintlichen Freunden enttäuscht wurde. Aber umgekehrt hat er auch einige seiner Freunde enttäuscht.

Wer hat den Spitzenkandidaten Boetticher letztendlich gestürzt: er sich selbst oder die CDU ihn?

Langguth: Beides trifft zu. Fest steht aber, dass es Boetticher war, der den Anlass geliefert hat, dass die Partei ihn fallen lassen konnte oder sogar musste. Ein Verhältnis mit einer Minderjährigen zu haben ist für jeden Politiker aus jeder Partei eine pikante Angelegenheit. Wäre dies nicht geschehen, wäre er heute noch Spitzenkandidat. Auch wenn Boetticher nicht unumstritten war, ist darüber hinaus ja keine andere Verfehlung bekannt.

Haben Neid und Misstrauen innerhalb einer Partei schon immer eine so große Rolle gespielt wie heute?

Langguth: Misstrauen und Machtkämpfe haben in den Parteien zugenommen. Ein Amt in der Politik zu haben und es zu verteidigen bedeutet für viele auch einen sozialen Aufstieg. Wenn es hart auf hart kommt, werden dann auch die Ellenbogen ausgefahren.

Müssen Politiker heute also ein dickeres Fell haben?

Langguth: Ja, denn es hängt viel an ihrem Amt. In ihrer Anfangszeit war die CDU vor allem eine Honoratiorenpartei. Da saßen viele Leute im Bundestag, die nicht vom Amt lebten, sondern für das Amt, weil sie finanziell unabhängig waren. Heute sind viele Mandatsträger auf ihre Diäten angewiesen. So ist ein Politiker heute deutlich abhängiger von seiner Partei, als es früher der Fall war.

Geht es in der schleswig-holsteinischen CDU rauer zu als in anderen Landesverbänden? Immerhin ist man seit der Lüge von Uwe Barschel auf der Hut ...

Langguth: Natürlich ist die CDU im Norden dadurch belastet, dass sie Uwe Barschel in ihren Reihen hatte. Aber im Falle von Christian von Boetticher lag eine sexuelle Affäre mit einer Minderjährigen vor, und das hätte auch in einem Landesverband der CDU im Süden Deutschlands sicher zu einem Rücktritt geführt. Die CDU in Kiel ist nicht puritanischer als die in Baden-Württemberg oder die CSU in Bayern.

Auf der anderen Seite hat sich etwa Roland Koch zu seiner Zeit als hessischer Ministerpräsident trotz mehrerer Skandale wacker im Amt gehalten.

Langguth: Stimmt. Christian von Boetticher hatte innerparteilich nicht die Stellung, die Roland Koch in Hessen hatte. Koch war deutlich mehr Fleisch vom Fleisch seiner CDU und seit Jahrzehnten politisch aktiv. Aber es kommt eben auch immer auf die Art des Skandals an. Boettichers Verfehlung war moralischer Natur, und es ist sehr schwer, darauf zu adäquat zu reagieren.

Stürzen Politiker heute schneller über Verfehlungen als noch in den 70er- und 80er-Jahren, als das Internet noch keine Rolle spielte?

Langguth: Politiker stürzen heute schneller. Die mediale Situation begünstigt das. Das sieht man derzeit auch am Fall von Bundespräsident Christian Wulff, dessen Verfehlungen um seinen Privatkredit für größte Irritationen sorgen. Einer seiner Vorgänger, Johannes Rau, hat sich fröhlich etwa mit der Flugbereitschaft einer Landesbank chauffieren lassen - einen solchen Wirbel gab es damals nicht, und er wurde trotzdem ein guter Präsident.

Geht die Nord-CDU durch die Affäre beschädigt in die Landtagswahl 2012?

Langguth: Die Angelegenheit wurde schnell erledigt, und es gibt einen neuen und handlungsfähigen Landesvorsitzenden. Es ist aber deutlich geworden, dass es auch in der schleswig-holsteinischen Wählerschaft der CDU manchen Unmut über die Affäre gab.