Staatsanwalt hatte Ermittlungen gegen den Rentner, der den 16-jährigen Einbrecher tötete, eingestellt. Jetzt wird der Fall neu aufgerollt.

Sittensen/Stade. Den Schmerz wird es nicht heilen, aber es ist zumindest eine kleine Genugtuung für die Hinterbliebenen von Labinot S. Der Rentner, der den 16-jährigen Räuber vor einem Jahr auf der Flucht erschossen hatte, muss sich möglicherweise doch noch vor Gericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft Stade hat die Ermittlungen gegen den 78-Jährigen wieder aufgenommen. Ende Juli hatte die Behörde diese erst eingestellt und von einer Anklage abgesehen. Doch selbst eine Anklage scheint jetzt nicht mehr ausgeschlossen.

Hintergrund der neuen Entwicklung ist eine Beschwerde, die Rechtsanwalt Hendrik Prahl im Auftrag der Angehörigen von Labinot S. an die Generalstaatsanwaltschaft in Celle gerichtet hatte. "Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens haben sich neue Ermittlungsansätze ergeben, denen wir nunmehr nachgehen", bestätigte Kai Thomas Breas, Sprecher der Staatsanwaltschaft Stade, dem Abendblatt.

Am 13. Dezember 2010 überfielen fünf maskierte Männer den Rentner Ernst Diedrich B. abends auf seinem Anwesen am Rande der Samtgemeinde Sittensen im Landkreis Rotenburg/Wümme. Der Mann galt als wohlhabend, lebte allein und war zum Tatzeitpunkt auf Krücken angewiesen. Die Täter fingen den Mann auf dem Weg zu seinem Hundezwinger ab, schleppten ihn ins Haus. Dort nahmen sie ihm seine Geldbörse ab und öffneten einen Tresor im ersten Stock.

Als plötzlich der Alarm losging, flüchtete die Bande über die Terrasse. Ernst Diedrich B. griff nach einer Pistole - als Jäger besitzt der Rentner mehrere Waffen - und schoss den Räubern hinterher. Er traf den damals 16-jährigen Labinot S., der auf der Terrasse zusammenbrach und verblutete. S. hatte die Geldbörse des Rentners mit knapp 2000 Euro bei sich.

Seine vier Komplizen flüchteten, stellten sich jedoch zwei Tage nach dem Raubüberfall der Polizei und gestanden die Tat. Bei den jungen Männern handelte es sich um einen 22- und einen 23-Jährigen aus Neumünster, einen 22-Jährigen aus Flensburg und einen 24-Jährigen, der in Neumünster geboren wurde, aber in Bayern lebt.

Alle Täter waren wie Labinot S. einschlägig polizeibekannt. Im Juli dieses Jahres verurteilte das Landgericht Stade die jungen Männer wegen räuberischer Erpressung und Körperverletzung zu Haftstrafen zwischen 42 und 51 Monaten. Eine 21-jährige Frau wurde zudem wegen Anstiftung zu einer Strafe von 21 Monaten auf Bewährung verurteilt. Eine Freundin der 21-Jährigen soll ein Verhältnis mit dem Rentner gehabt haben.

Sie selbst sei häufiger in der Villa gewesen. Dort habe sie Fotos gemacht und Kontoauszüge durchgestöbert. Sie soll einen der jungen Männer zu der Tat angestiftet, die Täter zum Haus geführt und eine Handskizze aus dem Inneren angefertigt haben. Außerdem soll sie gesagt haben, dass der Rentner aggressiv sei und als Jäger jederzeit zur Waffe greifen würde, weshalb er von den Räubern gefesselt werden sollte.

Wenige Tage nach dem Urteil stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen den Todesschützen ein. Der Rentner habe in Notwehr gehandelt, weil er sein Eigentum verteidigt habe, hieß es von der Staatsanwaltschaft. Eine Anklage gegen den Rentner wurde deshalb nicht erhoben. Dass das Verfahren "sang- und klanglos eingestellt wird", hätten er und die Angehörigen des Opfers nicht verstanden, sagt Rechtsanwalt Hendrik Prahl. Die Täter seien ersichtlich am Flüchten gewesen, deshalb habe von ihnen keine Gefahr für Eigentum, Vermögen oder Leben gedroht.

"Selbst wenn es vorher eine Bedrohungssituation gewesen wäre, war sie zu diesem Zeitpunkt weg", sagt Prahl. Außerdem sei das Opfer in einer Körperhöhe von etwa 1,20 Meter getroffen worden. Es sei kein Warnschuss abgegeben und auch nicht auf die Beine gezielt worden, sagt Prahl.

Deshalb legte der Rechtsanwalt Beschwerde ein. Diese hat nun dazu geführt, dass die Staatsanwaltschaft wieder ermittelt. "Ich schließe nicht aus, dass die Ermittlungen Veranlassung geben, den komplizierten und schwierigen Sachverhalt einem Gericht zur Entscheidung zuzuführen", sagt Staatsanwalt Breas. Konkret bedeutet das, dass auch eine Anklage gegen den Rentner nicht mehr ausgeschlossen ist. Warum die Staatsanwaltschaft wieder ermittelt, verrät sie aus ermittlungstaktischen Gründen zum jetzigen Zeitpunkt allerdings nicht. Das kann auch Rechtsanwalt Prahl nicht sagen.

Er habe ergänzende Akteneinsicht beantragt, diese aber noch nicht bekommen. Sollte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen erneut einstellen, würde der Rechtsanwalt das Beschwerdeverfahren wieder aufnehmen. Die nächste Stufe wäre ein Antrag auf eine gerichtliche Entscheidung beim Oberlandesgericht Celle. Ergebnisse der erneuten Ermittlungen seien jedoch erst im nächsten Jahr zu erwarten, heißt es von der Staatsanwaltschaft.