Nach dem Ja aus Brüssel steht noch die Zustimmung aus Niedersachsen aus. Doch bei den Menschen am Flussufer gibt es heftigen Widerstand.

Hier, genau hier war es: Dirk Köpcke wird es nie vergessen. Er macht einen Schritt auf die letzte Treppenstufe und steht dann oben auf dem Deich, wo dieser an der Lühe-Mündung in einem weiten Bogen verläuft. Grau ist der Himmel heute, grau die Elbe. Nur schwach zeichnen sich die Konturen von großen Schiffen ab, die auf dem Strom Richtung Hamburg fahren. Links reihen sich die Häuser am Deich wie an den Rand einer überdimensionierten, vollgefüllten Badewanne.

Acht Jahre alt war Köpcke damals, am 3. Januar 1976. Orkanböen bis zur Stärke 13 peitschten das Wasser gegen das Land, es schwappte bereits über die Krone, träufelte hinunter zu seinem Elternhaus. Mit aller Kraft stapelte seine Mutter Sandsäcke dort oben. "Ich habe nur Wasser gesehen, bis zum Horizont, Gischt und richtige Brecher, die anrollten", sagt Köpcke, heute ein promovierter Gartenbauingenieur. Nein, sagt er, wer das erlebt hat, traut den Tausenden Gutachtenseiten zur Elbvertiefung nicht unbedingt. Es sind die vielen "Beobachtungen", die die Leute hier gemacht haben in den vergangenen Jahrzehnten. Zuflüsse verschlicken, die Flut kommt schneller und kräftiger. Das liegt an den Elbvertiefungen, sagen sie. "Es ist eben auch eine emotionale Geschichte hier bei uns", sagt Köpcke.

Und das macht es für die Planer nicht einfacher: 2006 hatte Hamburg die sogenannte Fahrrinnenanpassung beantragt, immer wieder musste nachgebessert werden, um neuen Umweltanforderungen gerecht zu werden.

Im Prinzip geht es bei dieser 9. Vertiefung seit 1818 darum, Kappen am Fahrrinnenuntergrund abzutragen, damit die großen Schiffe mit mehr Tiefgang und damit mit mehr Ladung auf dem Fluss fahren können. Ohne Vertiefung sind Zehntausende Hafenjobs in Gefahr, argumentiert der Senat. Weil die Containerfrachter immer größer werden und nicht mehr Hamburg anlaufen würden, sollten sie unwirtschaftlich auf der Elbe fahren müssen.

Stellenweise werden die Baggerschiffe bis zu einen Meter abtragen, um diesen Giganten die Fahrt zu erleichtern; vor Cuxhaven auch mehr als zwei Meter. Statt vier, fünf Meter tief wie vor 150 Jahren wird die Elbe dann Wassertiefen bis zu gut 17 Metern aufweisen auf dem 130 Kilometer langen Stück von der Mündung bis zum Hafen. Und zwischen Glückstadt und Hamburg soll die Fahrrinne um 20 Meter verbreitert werden - eine Maßnahme, die mancher Nautiker für noch dringender hält, damit die ganz großen Frachter wieder aneinander vorbeifahren können.

Knapp 40 Millionen Kubikmeter Sand und Schlick sollen insgesamt gebaggert werden - man könnte damit die Außen- und Binnenalster locker gut zehnmal komplett verfüllen! 400 Millionen Euro werde die Vertiefung kosten, heißt es. Kritiker sagen, es wird viel mehr. Eines der größten Infrastrukturprojekte der Republik ist es alle Mal.

Vor wenigen Tagen erst hatte die EU-Kommission dem Projekt zugestimmt, weil aus ihrer Sicht genügend ökologischer Ausgleich geschaffen wird. Doch vor dem angepeilten Baustart im Frühjahr muss das Land Niedersachsen im Rahmen des Genehmigungsverfahrens ein formelles Einvernehmen erteilen. Ohne Einvernehmen kein Baustart, den Hamburg den Reedern seit Jahren verspricht. Doch wie ist die Stimmung im Land von Ministerpräsident McAllister, der seinen Wahlkreis selbst an der Elbe hat? Eine Fahrt vom Alten Land bis zur Mündung bei Cuxhaven macht deutlich, dass ein Einvernehmen aus Hannover an der Elbe kaum Zustimmung findet. Und das nicht nur aus emotionalen Gründen.

Darüber wollte Köpcke auch gar nicht reden bei diesem kurzen Ausflug auf den Deich. Für Emotionen ist seine Frau zuständig, 41 Jahre alt und CDU-Vorsitzende im Gemeindeverband Jork. Eine Frau mit lockigen Haaren und freundlichem Lachen. "Wir nutzen alle unsere Kontakte in Hannover, um die Elbvertiefung zu verhindern", sagt sie. Ihre Wähler hier - die wollten das einfach nicht. Nicht noch eine Vertiefung!

Ihrem Mann geht es noch um etwas anderes. Dirk Köpcke arbeitet für die Landwirtschaftskammer im Obstbauzentrum Jork. Obstbau ist hier zwischen Hamburg und Stade das wirtschaftliche Rückgrat. 900 Betriebe gehören zur Branche, es ist das zweitgrößte Obstbaugebiet Europas.

Großer Standortvorteil ist das Wasser der Elbe und ihrer Zuflüsse. Zum Bewässern und vor allem zum Frostschutz nutzen es die Obstbauern. Doch eine Vertiefung könnte den Salzgehalt verschieben, befürchten sie. Die Mischzone zwischen salzhaltigem und reinem Süßwasser, die Brackwasserzone, sei in den vergangenen Jahrzehnten bereits die Elbe hochgewandert, sagt Köpcke. Ab einem Gramm pro Liter ist Schluss, dann drohen Schäden an der Frucht, der Frostschutz würde nicht mehr funktionieren. Ein Wert, der weiter Richtung Cuxhaven in Kehdingen schon erreicht sei. Zwar sagen die Gutachter, diese Grenze würde sich nur um 1000 Meter verschieben. Doch die Leute haben Zweifel, sagt Köpcke. Zumal es auch andere Studien gebe. Der Obstbau müsse gesichert sein, fordert auch die Landesregierung in Hannover.

Doch wie soll das gehen? Riesige Rückhaltebecken müssten gebaut werden, um Wasser zu speichern für Tage mit zu viel Salz im Fluss, sagt Köpcke. "Und zwar bevor die Baggerschiffe kommen." Zahlen von 100 Millionen Euro und mehr sind dazu im Gespräch. Teile des Alten Landes würden komplett umgekrempelt. "Wir bekommen dann", sagt Köpcke, "hier so etwas wie eine Altländer Seenplatte." Allerdings wäre die Umsetzung bis zum Frühjahr so realistisch wie ein Bürgerbegehren in Nordkorea. Viele Genehmigungsverfahren, lange Planungszeiten wären auch dazu nötig.

Hinter Stade ist es an der Elbe weitgehend vorbei mit dem Obstanbau im großen Stil. Immer wieder machen Schilder am Straßenrand deutlich, was die Menschen auch hier denken: "Keine Elbvertiefung", steht darauf. Oder: "Wir wehren uns".

Irgendwann ist Otterndorf erreicht, ein pittoreskes Städtchen am Mündungstrichter. Große Wattflächen vor Deich und Strand hat die Strömung in den vergangenen Jahren weggespült. Der Deich, so sagen die Leute, liegt schutzlos gegen die Stürme, die von der Nordsee kommen. Alles bleibt sicher, heißt es in den Gutachten. Doch die Otterndorfer sahen etwas anderes. Tor-Konstruktionen zu Bewässerungssielen verschlissen vorzeitig, die Zufahrt zum kleinen Hafen verschlickte.

Wer am Deich entlang von Otterndorf Richtung Altenbruch bei Cuxhaven fährt, gelangt bald an eine Baustelle im endlosen Wiesennichts dieser flachen, nassen Landschaft. Lange Steindämme, 19 Stück, werden dort im sogenannten Altenbrucher Bogen ins Wasser gebaut. Sie sollen den Deich vor der Strömung und heranrollenden Fluten schützen. "Das war gut für die Region", sagt Otterndorfs Samtgemeindebürgermeister Harald Zahrte. Aber eigentlich war der Bau ein Versprechen nach der letzten Vertiefung von 1999 - das nie eingelöst wurde. "Eine Akzeptanz für die Elbvertiefung - die wird es hier trotzdem nicht geben", sagt er. Denn was sei, wenn die Berechnungen nicht mehr stimmten, wenn sich der mächtige Strom anders verhält, als es die Wasserbauingenieure wollen?

Es ist wohl tatsächlich eine emotionale Frage, die bei diesem Projekt eine so große Rolle spielt. Auf beiden Seiten: Wenn jemand wie Hamburgs Wirtschaftssenator Frank Horch durch die Hamburger Handelskammer geht, sieht er stets die riesigen Modelle von Konvoi-Schiffen aus dem 17. Jahrhundert, die Hamburg zum Schutz seiner Frachtflotte gebaut hatte. Im 15. Jahrhundert schon ließ der Hamburger Senat bereits den Fluss zum Wohle des Hafens regulieren, 1844 kaufte er den ersten Dampfbagger zur Vertiefung. Geht es dem Hafen gut, geht es der Stadt gut - seit Jahrhunderten war es stets die richtige Entscheidung für die prosperierende Hansestadt. Und da soll man der Erste sein, der damit bricht? Der sagt, es geht nicht mehr anders, wir können mit dem Wachstum der Schiffe nicht mehr mithalten? Wohl kaum.

Wie zerrissen die Menschen der Region in dieser Frage sind, lässt sich aber wohl am besten erfahren, wenn man die Lotsen begleitet, wie sie die großen, 350 Meter langen Containerfrachter durch die engen Flussschlaufen zirkeln und dabei die Kraft der mächtigen Stromes nutzen - und gleichzeitig großen Respekt davor haben. Nachts, wenn die Lichter funkeln, die Maschine in die geschäftige Stille auf der Kommandobrücke wummert und Zeit für Gespräche ist: "Der Hafen braucht die Fahrrinnenanpassung, das ist unsere Lebensader", sagen dann die Lotsen, die in Hamburg wohnen. "Die Elbe verträgt das nicht mehr", sagen Kollegen, die selbst im tieferen Teil an der Elbe in Niedersachsen wohnen - wo Strömung und Fahrrinne näher am Land verlaufen als in Schleswig-Holstein, wo es kaum Protest gegen das Projekt gibt.

Doch könnte Niedersachsen wirklich sein Einvernehmen verweigern? Bisher hat es bei größeren Wasserbauprojekten erst einmal einen solchen Fall gegeben: 2002 wollte der Bund den Teltow-Kanal in Berlin ausbauen. Doch Berlin versagte das Einvernehmen - und wurde dann per Gericht gezwungen, es doch zu machen. Nicht politisches Ermessen zählt, sondern fachliches Begründen. Seit dem positiven Votum aus Brüssel dürfte Niedersachsen letztlich kaum um ein Einvernehmen herumkommen, hofft man daher in der Hamburger Wirtschaftsbehörde.

Auch Thiemo Röhler sieht da wenig Möglichkeiten. Der alerte 32 Jahre alte CDU-Politiker aus Cuxhaven ist Chef seiner Fraktion im Stadtrat. Nachfolger von Enak Ferlemann, der jetzt in Berlin als Staatssekretär just für die Elbvertiefung zuständig ist - und wie Röhler vorher dagegen agiert hatte. Man muss da aber unterscheiden zwischen der politischen und der fachlichen Position, sagt Röhler.

Aber mit dem Einvernehmen sei das Projekt noch lange nicht durch. Nicht nur die Umweltverbände drohen mit Klagen, "ich gehe davon aus, dass auch die Stadt Cuxhaven diesen Schritt unternehmen wird", sagt Röhler. Seine CDU hat zwar keine Mehrheit mehr, die Ablehnung teilen aber alle Fraktionen. "Mich hat hier noch nie ein Bürger angesprochen, der sagte, Herr Röhler wir brauchen das", sagt Röhler.

Warum es diese Ablehnung in Cuxhaven gibt, das doch selbst Hafenstadt ist - das will Röhler an der Alten Liebe zeigen. Die berühmte hölzerne Aussichtsterrasse steht mit ihrem Pfählen bereits im Wasser. Ganz dicht führt hier die Fahrrinne mit ihrer starken Strömung vorbei, das graugrüne Wasser gurgelt unter den Fußbodenplanken. Eine kleine weiße Ente versucht gegen den Strom zu paddeln, wird immer wieder weggetrieben.

Die Kaianlagen der Stadt liegen hier direkt am Strom. Mit der Offshore-Industrie und als Standort für ihre Versorgerschiffe will Cuxhaven eine neue wirtschaftliche Zukunft aufbauen. Aber auch Fischfang und Tourismus prägen die Stadt. "Und das alles wird bedroht", sagt Röhler. Die Strömung sei stärker geworden in den vergangenen Jahren, seit einiger Zeit treten große Schlickzonen im bei Urlaubern beliebten Sandwatt auf. Sollte die Strömung weiter zunehmen, ließe sich der Hafen kaum noch nutzen, sagt Röhler. "Für Hamburg mag das Projekt wichtig sein - das darf aber nicht auf unsere Kosten gehen."

So weit die wirtschaftliche Seite. Aber auch in Cuxhaven gibt es die Angst vor der großen Sturmflut. "Wenn bei Altenbruch der Deich bricht, laufen wir hier auch voll", sagt Röhler. Gutachten, Versprechungen würden die Menschen da kaum beruhigen. Zumal sie auch 1999 beruhigt worden waren - und die versprochene Deichsicherung auf sich warten ließ. Wie gewaltig der Strom sein kann, wenn ihn der Sturm auf das Land peitscht - das haben eben viele hier schon oft erlebt. Auch Thiemo Röhler, der in Altenbruch aufgewachsen ist, wo die Elbmündung diesen gefährlichen Bogen macht. Als kleiner Junge schon hat ihn sein Vater mitgenommen, um das Schauspiel einer entfesselten Natur zu zeigen.

Das, sagt Röhler, vergisst man nicht.