Friedliche, einfallsreiche Proteste und tumbe Gewalt. Der vorerst letzte Castor-Transport dauert so lange wie keiner zuvor

Gorleben. Rauchen geht noch, eine Hand ist ja frei. Also zieht Hanna Schwarz eine Zigarette hervor, pafft und winkt. Seit dem frühen Sonntagmorgen liegt die 22-Jährige nun schon auf dem kalten Bahndamm in Hitzacker. Ihr rechter Arm in einer gelben Pyramide fixiert, der Rest des Körpers unter einem Knäuel Decken. Über sie hinweg pfeift stürmischer Westwind. Doch das Mitglied der Bäuerlichen Notgemeinschaft sagt: "Ich bin gut vorbereitet." Sie trägt einen Pullover mit der Aufschrift "Trainstopping".

Hanna Schwarz und ihre drei in der Pyramide verankerten Mitstreiter haben die elf mit Atommüll beladenen Castoren nicht aufhalten können. Grüne Zipfelmützen hin oder her. Denn man kennt das ja schon. Heute oder morgen fahren die Dinger wieder ins Zwischenlager Gorleben. Protest hin oder her. Aber Protest ist erlaubt. Also 7.20 Uhr rauf auf die Schiene, rein in die Pyramide und warten, was der Polizei zu der findigen Konstruktion einfällt.

Es gibt sie also doch noch, die charmant-skurrilen Szenen bei diesem nunmehr 13. Atommülltransport. Es ist der 1. Advent, in Dannenberg haben sie den Weihnachtsbaum schon aufgestellt und in Hitzacker verteilt eine Weihnachtsfrau Schutzengel, während sich Bauern und Polizisten den ganzen Tag über wie bei einer Partie Schach gegenüberstehen. Wartend auf den nächsten Zug an der Gleispyramide.

Doch was bleibt sonst von diesem verlängerten Protestwochenende? Zumal vorher klar war, dass sich die Menschen im Wendland nicht damit abfinden werden, dass der Salzstock unter ihren Häusern weiter erkundet wird. Es sind vor allem düstere Momente, eintönige Parolen und gewalttätige Ausschreitungen. Klar, den Familienausflug mit Sack und Pack zur Anti-Atom-Demo gibt es noch, aber zunehmend verheddert sich der Widerstand in kleinteiliger Absurdität.

Zum Beispiel hier: Im tiefen Mutterboden der niedersächsischen Provinz stehen von Protestlern informierte Journalisten. Ihnen entgegen strebt eine Gruppe in weißen Maleranzügen, die über umgepflügte Kohl- und Maisfelder trabt. Bis am Gut Horn, einem Gehöft unweit der Stadt Dahlenburg, eine Hundertschaft der Polizei auftaucht und die Protestgruppe zum Laufen bringt. Schotterer nennen sich diese Aktivisten, die an die Schienen wollen, um das Gleisbett zu zerpflücken, damit der Castor-Transport nicht darüberfahren kann. Für die Polizei ist das ein Straftatbestand. Für Hanna Spiegel, Sprecherin der Kampagne "Castor? Schottern!" ist es "nicht legal, aber legitim".

Auf ihrer Flucht vor der Staatsgewalt versinken 80, vielleicht 100 Leute knöcheltief im Morast, etliche Polizisten ebenso. Dann ein Wassergraben. Alle durch. Alle nass. Am Ende schaffen es 50 Schotterer an die Gleise, reißen an einer vermoosten Stelle lächerlich wenig Steine heraus, bevor sie von abgekämpften Beamten unsanft, aber keineswegs brutal des Bahndamms verwiesen werden. Später wird dem umzingelten Grüppchen erklärt, warum jetzt alle in Gewahrsam genommen werden. Noch später werden Bilder dieses inszenierten Acker-Intermezzos erscheinen, die dramatischer aussehen, als es war. Ja, man lernt eine Menge in diesen Tagen. Nicht nur über Atommüll. Etwa, dass es regelrechte Medienvorführungen gibt, dass Atomkraftgegner und Polizei ihre Sicht der Dinge haben, wie man sich aus einer Blockade tragen lässt, oder wo Gut Horn liegt. Und: dass man mit den Kategorien Gut und Böse hier nicht weiterkommt. Auf beiden Seiten sind übermotivierte Vertreter angereist. Auf Protestlerseite vor allem im selbst ernannten "Widerstandsnest" Metzingen und in Waldgebieten, in denen regelrechte Schlachten stattfinden und präparierte Wurfgeschosse gegen Polizisten gefunden wurden, die nichts mit Anti-Atom-Bewegung zu tun haben, aber viel mit gezielter Körperverletzung. Bei der Polizei sind immer wieder unnötige Schlagstock- oder Pfeffersprayeinsätze sowie stundenlange Gewahrsamnahmen unter freiem Himmel zu beobachten. Auf jede Protestform werde angemessen reagiert, heißt es bei der Polizei. "Aggressiv" und "unverhältnismäßig", kritisieren die Atomkraftgegner. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen. Mehr als 200 Verletzte gab es bislang, etwa 160 Demonstranten und 51 Polizisten. Mehrere von ihnen, so die Einsatzleitung, seien dienstunfähig. Zudem seien 16 Polizeiwagen beschädigt worden. Worum ging es noch mal? Ach ja, um die Sache mit dem Endlager. Doch auch wenn dieser Castor-Transport von Gewaltbildern dominiert wurde - bei Mahnwachen, lustigen Spontanaktionen und friedlichen Sitzblockaden in Harlingen oder Gorleben protestiert die große Masse, der es um Widerstand gegen den Atommüll geht. Vereint zu besichtigen am Sonnabend bei der Großkundgebung - mit etwa 15 000 Menschen und 452 Traktoren die zweitgrößte ihrer Geschichte.

Die Polizei-Techniker schafften es übrigens nicht, die vier Bauern von ihrer Pyramide zu lösen. Sie befreiten sich nach 15 Stunden gestern Abend um 22.20 Uhr freiwillig. Vielleicht sollte man deshalb Hanna Schwarz, die "Wendland-Pharaonin", als eines der Gesichter des friedlichen Protests in Erinnerung behalten.

36 Millionen Euro soll der Transport kosten, 19 000 Beamten sichern ihn - es ist der vorerst letzte dieser Art nach Gorleben. Keiner zuvor hat so lange gedauert.