Die fast 450 Jahre alte Bühne in Schwerin fordert einen Rettungsschirm. 320 Mitarbeiter müssen um ihre Dezember-Gehälter bangen.

Schwerin. Dem Mecklenburgischen Staatstheater in Schwerin droht eine unheilvolle Premiere. Erstmals könnte in der Bundesrepublik eine Staatstheater-GmbH in die Insolvenz geschickt werden, befürchtet die Deutsche Orchestervereinigung. "Ich neige nicht zu Alarmismus", beteuert der Geschäftsführer der Orchester-Gewerkschaft, Gerald Mertens, in Berlin. Aber dass eine öffentlich finanzierte Theater-GmbH in Insolvenz geht, das habe es noch nicht gegeben.

In Berlin sei zwar 1993 das Schiller-Theater geschlossen worden, doch seien die Beschäftigten Staatsbedienstete gewesen und "aufgefangen" worden. Das sei bei einer GmbH nicht der Fall. Es könnte noch schlimmer kommen, denn überall, vor allem in den neuen Ländern, sei die Finanzsituation von Theatern ähnlich schwierig wie in Schwerin.

Die Arbeitgeberseite, der Deutsche Bühnenverein, fordert für das Schweriner Theater einen "Rettungsschirm", um die Zahlungsunfähigkeit abzuwenden. Trete diese erst mal ein, sei Geschäftsführer Joachim Kümmritz verpflichtet, innerhalb von drei Wochen den Insolvenzantrag zu stellen, sagte der Geschäftsführer für den Norden, Joachim Benclowitz, in Hamburg.

Morgen tagt der Aufsichtsrat der Staatstheater-GmbH. Wichtigster Tagesordnungspunkt ist die wirtschaftliche Situation des Hauses. Möglicherweise wird das größte Theater des Landes seinen 320 Beschäftigten die Dezember-Gehälter nicht mehr zahlen können. Der Aufsichtsrat könnte sich bereits jetzt für eine Insolvenz entscheiden. Benclowitz zufolge gibt die Politik dann aber "das Heft aus der Hand". Der Insolvenzverwalter entscheide allein nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten.

Dem Mecklenburgischen Staatstheater mit einem Jahresetat von 22 Millionen Euro fehlt nach Angaben einer Sprecherin rund eine Million. Das Land gebe 9,6 Millionen, die Stadt 6,6 Millionen. Die Eigeneinnahmen seien mit 4,8 Millionen Euro im bundesweiten Vergleich überdurchschnittlich hoch. Als Grund für den Finanznotstand gelten vor allem die Personalkosten, die 80 bis 85 Prozent des Theateretats ausmachen und entsprechend den Tarifverträgen steigen. Der Landeszuschuss für alle sechs Theater im Land ist seit 1994 bei 35,8 Millionen Euro jährlich eingefroren. Das sei in keinem anderen Bundesland der Fall, sagte Mertens. "Zumindest ein Inflationsausgleich müsste drin sein."

Schwerins Oberbürgermeisterin Angelika Gramkow (Linke) hatte schon Anfang Oktober zur 125-Jahr-Feier des Theaterhauses einen deutlichen Hilferuf an das Land gesandt: "Ohne Hilfe des Landes schaffen wir es nicht." Die Stadt ist alleinige Gesellschafterin der Theater-GmbH.

Seit Monaten wird spekuliert, ob die Landesregierung einen Rettungsschirm für das Staatstheater aufspannt oder nicht. Bereits im Februar hatte das Haus einen Extrazuschuss aus der Landeskasse von 826 000 Euro erhalten, 480 000 Euro davon als Betriebskostenzuschuss.

Der neue Bildungsminister Mathias Brodkorb (SPD) zitiert aus dem Koalitionsvertrag der neuen SPD/CDU-Landesregierung. Demnach sollen die Landeszuschüsse für die Theater nicht steigen. Die weitere Förderung aus Mitteln des Finanzausgleichsgesetzes solle ab 2013 an "Strukturentscheidungen" geknüpft werden. Vor diesem Hintergrund seien der Landeshauptstadt am Montag Wege aufgezeigt worden, wie die aktuelle Spielzeit finanziell gesichert werden kann und "dass gleichzeitig notwendige strukturelle Veränderungen angegangen werden müssen", sagte Brodkorb. Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) wurde noch deutlicher: "Wer sich zu Umstrukturierungen ausdrücklich bereit erklärt, kann auch mit Soforthilfen rechnen, wenn das unumgänglich ist."

Dem Bühnenverein zufolge könnten Schwerin und Rostock darüber nachdenken, ihre höher bezahlten A-Orchester in B-Orchester umzustufen, was sie zahlenmäßig mit 66 beziehungsweise 72 Musikern auch nur seien. Damit wäre schon eine erhebliche Summe gespart, da auch die Chöre an die Tarife der Orchester gebunden sind. Auch die Zusammenlegung beider Orchester ist im Gespräch. Das lehnt die Orchestervereinigung ab. Künstlerische Potenz würde auf die Landstraße gelegt, gibt Mertens zu bedenken. Die Struktur mit vier Orchestern hält er für vernünftig. Der Bühnenverein vergleicht: Schleswig-Holstein hat bei größerer Wirtschaftskraft drei B-Orchester.

Mertens regt an, nach neuen Modellen zu suchen. Das Land könnte für jeden Euro Drittmittel, die ein Theater einwirbt, einen Euro drauflegen.

Das Mecklenburgische Staatstheater schaut auf eine fast 450-jährige Geschichte zurück. Jetzt entscheidet sich, wie es weitergeht.