Beleidigung mit heimlich angefertigten Fotos. Ein Fünftel der Jugendlichen fühlt nach Attacke Verzweiflung

Hannover. Es trifft Jugendliche häufiger als Erwachsene, und das Problem nimmt dramatisch zu: "Cyber-Mobbing" nennen die Fachleute es, wenn im Internet oder per Handy Menschen beleidigt und bedroht werden, wenn unerlaubt Bilder von Fremden ins Netz gestellt werden. "So etwas ist keine harmlose Neckerei, sondern reicht hin bis zur psychischen Gewalt", sagt der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU).

Die polizeiliche Kriminalstatistik, so Schünemann gestern in Hannover am Aktionstag gegen Cyber-Mobbing, spiegelt diese Entwicklung wider. Im Jahr 2005 wurden 37 Fälle von Beleidigung im Internet in Niedersachsen registriert, im Jahr 2010 waren es bereits 1321. Und da reicht die Palette von einfach nur beleidigenden Bezeichnungen bis hin zu heimlich angefertigten Fotos von Menschen in der Umkleidekabine oder unter der Dusche.

Die Täter bleiben meistens anonym, obwohl nach Einschätzung von Schünemann bei solchen Taten im Umfeld von Kindern und Jugendlichen sich Täter und Opfer meist auch in der "realen Welt kennen". Fälle, in die Fremde involviert sind, seien wenig verbreitet.

Schünemann verwies auf eine Studie der Landeszentrale für Medien Rheinland-Pfalz. Danach stellt für 25 Prozent der jungen Menschen inzwischen Cyber-Mobbing ein Problem dar. 15 Prozent berichteten sogar, dass von ihnen schon einmal peinliche Bilder ins Internet gestellt worden sind.

Dazu passt eine neue Studie des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnologie (BSI). Danach sagen zwölf Prozent der Menschen, die in mindestens einem sozialen Netzwerk aktiv sind, dass sie bereits Opfer von Mobbing und sexueller Belästigung geworden sind. Dabei handelt es sich überwiegend um weibliche Nutzer zwischen 14 und 39 Jahren.

Ebenfalls gestern veröffentlichte die Techniker Krankenkasse in Hannover eine Studie, der zufolge Cyber-Mobbing in Norddeutschland besonders ausgeprägt ist. Hier haben laut Krankenkasse bereits 38 Prozent der Jugendlichen im Internet schlechte Erfahrungen gemacht. Sabine Voermans, Leiterin der Landesvertretung der Kasse in Hannover, sieht durch die Untersuchung bewiesen, dass Cyber-Mobbing kein Randphänomen mehr ist. Knapp ein Fünftel der Jugendlichen fühlten nach einer Attacke Verzweiflung und Hilflosigkeit. Folgen seien unter anderem Schlafstörungen, Bauch- und Kopfschmerzen: "Was früher als Schulhofstreitigkeit meist schnell vorbei war, wird heute in Form von Cyber-Mobbing im Internet auf ewig archiviert und kann die Betroffenen noch lange verfolgen", sagt Sabine Voermans.

Damit junge Surfer wissen, welche Daten sie von sich preisgeben können und welche nicht, müsse insbesondere ihre Medienkompetenz geschult werden: "So lässt sich die Angriffsfläche für Cyber-Mobbing verkleinern." Aus den Daten der Umfrage gehe hervor, dass sich nur ein Drittel der Eltern in Norddeutschland darum kümmert, auf welchen Seiten ihre Kinder im Internet unterwegs seien.

Auf dem Weg über die Schulen versucht jetzt der niedersächsische Innenminister Schünemann, den Jugendlichen das Problem aufzuzeigen: "Wir wollen die jungen Menschen sensibel machen für die Gefahren durch den Missbrauch im Zusammenhang mit Internetforen und Chats." Dabei geht es erklärtermaßen nicht nur um potenzielle Opfer, sondern auch darum, dass niemand durch unbedachtes Handeln selbst eine Straftat begeht. Ein von der Polizeidirektion gedrehter Imagefilm zeigt am Beispiel eines Mädchens, wie rasch es zu Häme und sozialer Ausgrenzung kommen kann. Mit dabei im Film ist auch der Fußballprofi Konstantin Rausch vom Bundesligaklub Hannover 96, der Mut machen will, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Die Polizei bietet neben dem Film Informationsveranstaltungen und Infomaterial an. Ziel ist es, Medienkompetenz für den richtigen Umgang mit dem Internet zu vermitteln.

Die Studie aus Rheinland-Pfalz weist immerhin aus, dass viele Jugendliche schon daraus gelernt haben: "Die Bereitschaft, persönliche Daten im Internet zu verbreiten, ist gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen." Zwei Drittel der Befragten nutzten inzwischen sogenannte Privacy-Optionen, die den Personenkreis eingrenzen, der Zugang zu Daten und Fotos bekommt.

Um 13 Prozentpunkte auf jetzt mehr als 80 Prozent ist in den Jahren seit 2005 die Aufklärungsquote bei "Beleidigung mit dem Tatmittel Internet" gestiegen. Minister Schünemann freut das: "Die durch viele Täterinnen und Täter angenommene Anonymität im Netz ist trügerisch."