In Schleswig-Holstein sollen die Fanglizenzen vorzeitig bis 2026 verlängert werden. Naturschützer lehnen das Vorhaben ab und beklagen Raubbau.

Husum. In Schleswig-Holstein ist ein neuer Glaubenskrieg um den Nationalpark Wattenmeer entbrannt. Die Muschelfischer, die gute Kontakte bis in die Kieler Regierungszentrale haben, möchten ihren bis 2016 befristeten Fangvertrag zum Jahreswechsel vorzeitig bis 2026 verlängern. "Das Wattenmeer ist ein Wirtschaftsraum", sagt ihr Sprecher Peter Ewaldsen. Die Naturschützer lehnen das Hauruck-Verfahren ab und hoffen auf die Grünen. Sie wollen nach der Landtagswahl in knapp sieben Monaten in Kiel mitregieren und den Fang der Miesmuscheln stoppen. "Das Wattenmeer ist ein Nationalpark und ein Weltnaturerbe", sagt die grüne Umweltpolitikerin und Landtagsabgeordnete Marlies Fritzen.

Unumstritten ist in dem Grundsatzkonflikt, dass es den Muscheln im Watt mies geht. Seit 1989 sind in den Bereichen des Nationalparks, die bei Ebbe trocken fallen, fast 90 Prozent der Muschelbänke verschwunden. Die Fischer importieren wegen des Mangels an heimischem Muschelnachwuchs bereits seit Jahren fingernagelgroße Besatzmuscheln etwa aus dem Ärmelkanal, um sie auf den festgelegten Muschelkulturbänken im Watt "auszusäen". Nach ein bis zwei Jahren sind die Schalentiere daumengroß und damit erntereif. Muschelfischer seien eigentlich gar keine Fischer, erzählt Ewaldsen. "Wir sind Muschelbauern."

Einen ersten Erfolg im Kampf um den Langzeitvertrag konnten die Landwirte des Meeres bereits verbuchen. Sie vereinbarten im Sommer mit dem Land zehn "Eckpunkte" für eine künftige "Miesmuschelkulturwirtschaft". Demnach sollen die acht Kutterbetriebe mit Fanglizenz auch in den nächsten 15 Jahren auf 2000 Hektar im Nationalpark Wattenmeer Miesmuscheln aufziehen dürfen. "Unsere Aquakultur ist ökologisch", versichert Ewaldsen und weist empört jede Mitschuld am Muschelschwund zurück. Verantwortlich seien insbesondere räuberische Kleinkrebse. Sie hätten sich im Watt sprunghaft vermehrt, würden Muschellarven fressen.

Naturschützer bestreiten das nicht, sehen aber weitere Gründe für die Muschelkrise. Der Leiter des WWF-Wattenmeerbüros in Husum, Hans-Ulrich Rösner, verweist auf den Klimawandel und nicht zuletzt auf einen langjährigen "Raubbau" durch die Muschelfischerei. "Die Kutter fischen alles weg." Deshalb gebe es kaum neue Muschelbänke und bereits schwere Folgen für die Vogelwelt. Im Wattenmeer lebten immer weniger Eiderenten und Austernfischer. Beide fressen Muscheln. In einem Nationalpark wie dem Wattenmeer gebühre der Natur der "gesetzliche Vorrang", mahnt Rösner. "Alles andere muss sich daran messen lassen."

Umstritten ist auch ein anderer Eckpunkt der Muschelvereinbarung. Demnach sollen die Fischer noch bis Ende 2016 unbegrenzt Besatzmuscheln importieren dürfen, ab 2017 lediglich noch aus der Nordsee und ab 2022 nur noch aus dem Wattenmeer selbst. Ewaldsen hält das für machbar, weil die Fischer derzeit eig-ene Zuchtanlagen für die Muschelbrut aufbauen. Ob die im Wattenmeer gespannten Langleinen allerdings als Kinderstube für Besatzmuscheln taugen, ist offen. In der Vereinbarung gibt es eine Hintertür für die Fischer. Sie sollen, falls es ab 2022 Nachschubprobleme gibt, eine Importgenehmigung beantragen können.

Die Naturschützer fordern dagegen ein sofortiges Importverbot. "Mit jeder Ladung Besatzmuscheln können gebietsfremde Arten ins Wattenmeer eingeschleppt werden", warnt Rösner. Die Grünen erinnern an die Pazifische Auster. Sie wurde einst im Wattenmeer vor Sylt ausgesetzt, überstand wider Erwarten auch strenge Winter und macht der Miesmuschel seit Jahren mancherorts die Bänke streitig. "Das Risiko mit Importen ist einfach zu hoch", meint Fritzen. Wenn es im Wattenmeer selbst nicht genügend Besatzmuscheln gebe, müsste die Fischerei eben pausieren oder ganz aufgeben.

Angesichts solcher Forderungen geht Ewaldsen an die Decke. Der Muschelimport schade dem Watt nicht, ein Einschleppen fremder Arten werde nur behauptet, "um die Muschelfischerei zu zerstören", schimpft der Vorsitzende der Erzeugergemeinschaft der schleswig-holsteinischen Muschelzüchter. "Die Naturschützer haben nichts zu verlieren, für uns steht die Existenz auf dem Spiel." Im Blick hat Ewaldsen nicht nur die Jobs an Bord der Kutter, sondern auch die Muschelfabrik in Emmelsbüll mit bis zu 80 Arbeitsplätzen. In der Fabrik werden derzeit allerdings vor allem Miesmuscheln aus dem dänischen Limfjord verpackt. Die Ernte aus dem Wattenmeer, die von 40 000 Tonnen im Rekordjahr 1992 auf nicht einmal 2000 Tonnen in der abgelaufenen Saison schrumpfte.

In den nächsten Wochen dürfte der Konflikt zwischen Fischern und Naturschützern noch an Schärfe zunehmen, weil die Muschel-"Eckpunkte" unter einem entscheidenden Vorbehalt stehen: Die Regelungen müssen die strengen EU-Vorgaben für das Wattenmeer als Natura-2000-Gebiet erfüllen. "Die Prüfung soll bis Ende des Jahres abgeschlossen sein", erläutert der Sprecher des zuständigen Kieler Umwelt- und Landwirtschaftsministeriums, Christian Seyfert. Ewaldsen ist zuversichtlich. "Ich gehe davon aus, dass das Ministerium die Eckpunkte irgendwie durchwinkt." Die Muschelfischer hätten schließlich eine starke Lobby in Kiel.

Gemeint ist Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU), der im September in Schlüttsiel zusammen mit Ewaldsen die neue Muschelsaison eröffnete und sich einen Fangstopp nicht vorstellen mag. "Die Muschelfischerei gehört zu Schleswig-Holstein einfach dazu", betont Carstensen.

Die Muschelfischer drücken aufs Tempo. "Wir brauchen langfristig Sicherheit, weil wir bis zu 15 Millionen Euro investieren wollen", erzählt Ewaldsen. Ganz oben auf der Einkaufsliste ständen zwei neue Erntekutter. Auf Nachfrage räumt der Friese allerdings ein, dass auch die Landtagswahl und der mögliche Machtwechsel in Kiel von Schwarz-Gelb zu Rot-Grün eine gewisse Rolle spielt. "Ich will das nicht ganz abstreiten." Für die Grünen formuliert es Fritzen drastischer: "Die Muschelfischer versuchen, ihre Pfründe vor der Wahl zu sichern."