Zehntausende von Steuerzahlern in ungünstigere Lohnsteuerklassen eingruppiert. Beamte müssen Fehler ausbaden

Kiel/Hannover. Dana Wolf hat den Hörer kaum aufgelegt, da klingelt das Telefon auf ihrem Schreibtisch im Finanzamt Pinneberg schon wieder. Und die Anrufer haben fast alle das gleiche Anliegen. Es sind wütende Steuerzahler. Sie ärgern sich über Fehler auf Informationsschreiben über die neuen elektronischen Lohnsteuerkarten für 2012, die das Finanzamt Pinneberg in diesen Tagen verschickt.

Falsche Steuerklasse, falsche Zahl der Kinderfreibeträge, falsches Kirchensteuermerkmal oder falsch eingetragene Pauschbeträge für behinderte Menschen oder Hinterbliebene: In diese vier Kategorien, im Amtsdeutsch Elektronische Lohnsteuerabzugsmerkmale (ELStAM), haben sich Fehler eingeschlichen. Nicht nur in Einzelfällen, nicht nur in Pinneberg, sondern auch in Segeberg, Stormarn und anderen Gebieten rund um Hamburg.

"Wir schätzen den Berichtigungsumfang derzeit auf ein bis zwei Prozent der Fälle", sagt Matthias Günther, Sprecher des Finanzministeriums in Kiel, auf Anfrage. Bei knapp 1,2 Millionen versendeten Mitteilungen bedeutet das: Die Daten von bis zu 24 000 Schleswig-Holsteinern könnten fehlerhaft sein.

Die niedersächsische Finanzverwaltung geht offenbar von einer höheren Fehlerquote aus: Sie liege wohl "im unteren einstelligen Bereich", so Karsten Pilz, Sprecher des Finanzministeriums in Hannover. Konkret seien es geschätzte 100 000 von rund 3,5 Millionen Fällen. Also etwa 2,8 Prozent.

Hinter jedem einzelnen Fall steckt ein Steuerzahler, dem im kommenden Jahr dramatische Einbußen drohen, sofern er einen Fehler in der ihm zugegangenen Mitteilung nicht entdeckt und meldet. "Jeder sollte das Schreiben wirklich ganz genau prüfen", sagt Wolfgang Bröker, Vorsitzender des Steuerberaterverbands im Kreis Stormarn. Sein Eindruck: Am häufigsten sind die Steuerklassen bei Ehepartnern mit deutlich voneinander abweichenden Einkommen falsch übertragen worden. Beide haben eine "IV" stehen, obwohl es eine "III" und eine "V" sein müssten.

Bröker hat für das Abendblatt eine Musterrechnung aufgemacht. Ein Ehepartner ist Alleinverdiener und bekommt von seinem Arbeitgeber 60 000 Euro brutto jährlich in zwölf Monatsgehältern zu 5000 Euro. "Mit Steuerklasse III zahlt er davon 742,16 Euro Lohnsteuer pro Monat, außerdem 40,81 Euro Solidarbeitrag und 103,61 Euro Kirchensteuer", sagt Bröker. "Mit Steuerklasse IV werden ihm 468,50 Euro im Monat mehr abgezogen." Das sind 5622 Euro pro Jahr.

Bei solchen Summen lohnt es sich, die Post vom Finanzamt ganz genau zu lesen, selbst wenn der Arbeitnehmer die zu viel entrichteten Steuern spätestens mit dem Lohnsteuerjahresausgleich 2012 zurückbekäme. "Die Steuerbürger sollten die Mitteilungen über die erstmals gespeicherten ELStAM genau prüfen und bei Abweichungen ihr zuständiges Wohnsitzfinanzamt kontaktieren", sagt der Kieler Ministeriumssprecher Günther. "Hier wird ihnen dann unbürokratisch geholfen."

Das machen viele der Betroffenen auch. Die Empörung landet dann ungefiltert an der Basis, bei Amtsinspektorin Dana Wolf und ihren Kollegen. "So ab acht Uhr klingelt das Telefon eigentlich ununterbrochen", sagt sie. Nicht alle Anrufer seien stocksauer. "Es sind auch ganz entzückende Menschen darunter." Fakt aber ist: Das Datenchaos verursacht den Finanzbeamten jede Menge zusätzliche Arbeit. "Deswegen bleibt im Moment viel liegen", sagt Wolf.

Dass gelegentlich Zentralrechner ausfielen oder die ELStAM-Datenzentrale in Berlin nicht zu erreichen sei, mache die Lage nicht gerade einfacher. "Wir nehmen dann die Änderungen der Anrufer schriftlich auf und arbeiten das ab, sobald die Verbindung wieder funktioniert", sagt Wolf. "Dann müssen die Bürger wenigstens nicht noch mal anrufen." Denn grundsätzlich ließen sich die falschen Angaben schnell und problemlos korrigieren. Das Finanzministerium hat auf seiner Internetseite ein Änderungsformular zum Herunterladen bereitgestellt. Titel: "Antrag in Sonderfällen zur Korrektur von Elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmalen".

Ganz anders wird die Lage in Niedersachsen eingeschätzt. Ministeriumssprecher Pilz appelliert an alle Betroffenen: "Korrigieren Sie diese Fehler in Briefform." Sowohl Telefonanrufe wie Besuche beim Finanzamt würden die Behörden überfordern. "Das Problem kann nicht auf die Schnelle erledigt werden."

Andrea Gasenzer-Offen, stellvertretende Vorsteherin des Pinneberger Finanzamts, kann die Empörung vieler Steuerzahler nachvollziehen. Allerdings treffe deren oftmals kaum gebremster Frust eigentlich die Falschen. Denn die Fehlerquelle liege eben nicht bei den Finanzämtern.