Immer wieder kommen Taucher im Kreidesee im Landkreis Cuxhaven ums Leben. Bereits 14 Todesfälle sind zu verzeichnen seit 1995.

Hemmoor. Da hinten war's, am Eingang fünf. Holger Schmoldt zeigt über das kristallklare Wasser hinweg auf die andere Uferseite. Der Leiter der Tauchbasis am Kreidesee in Hemmoor (Landkreis Cuxhaven) spricht mit leiser Stimme, wenn er von dem Unfall erzählt, bei dem vor wenigen Tagen zwei Taucher ums Leben kamen. "Dort sind sie mit vier anderen ins Wasser gestiegen." Doch nur vier von ihnen gelangten wieder an die Oberfläche.

Die zwei Männer, erfahrene Taucher alle beide, der eine 54 und der andere 59 Jahre, tauchten nicht wieder auf. Sie starben, so die Vermutung, unter anderem deshalb, weil sie zu tief in den See vordringen wollten und ihr Lungenautomat falsch angebracht war. Die offizielle Mitteilung der Polizei Cuxhaven lautet: Fremdverschulden kann ausgeschlossen werden, die Untersuchungen dauern noch an.

Geheimnisvoll, faszinierend und einzigartig - mit diesen Eigenschaften hat es der Kreidesee geschafft, weit über die Hemmoorer Region hinaus zum Sehnsuchtsort vieler Taucher zu werden. Rund 30 000 Anmeldungen nimmt Holger Schmoldt jährlich entgegen. Die Taucher kommen aus ganz Deutschland, den Niederlanden oder Dänemark. Sogar weltweit gehört der See mit zu den ersten Adressen für Liebhaber spektakulärer Unterwasserwelten.

+++ Zwei niederländische Taucher sterben bei Cuxhaven +++

Es ist das seltene Zusammenspiel aus Natur und versunkener Technik, das den Kreidesee so berühmt macht. Von 1862 bis 1976 wurde auf dem Areal im Tagebau Kreide für die Zementherstellung abgebaut. Als der Betrieb eingestellt wurde, lief die Grube binnen sechs Jahren mit Wasser voll. Die Hinterlassenschaften vergangener Produktionstage aber blieben erhalten, die alten Laternenpfähle, Brücken, Treppen oder Förderbänder wurden in Taucherkreisen schnell zur Attraktion.

Doch es gibt auch eine dunkle Seite des Kreidesees. Seit 1995 sind in dem Gewässer 14 Taucher ums Leben gekommen. In manchen Fällen waren laut Polizei gesundheitliche Probleme die Todesursache, manchmal war es fahrlässiges eigenes Verschulden und manchmal ein vereistes Tauchgerät.

Für Holger Schmoldt waren diese Vorfälle immer ein Schicksalsschlag. Der 45-Jährige, der selbst mehr als 5000 Tauchgänge absolviert und lange Jahre als Polizeitaucher gearbeitet hat, bevor er die Tauchbasis eröffnete, weiß um die Gefährlichkeit des Tauchens. Und er weiß auch, dass die Gefahr beim Kreidesee vor allem in dessen ungewöhnlicher Tiefe von bis zu 60 Metern liegt. Vor einigen Jahren hat er deshalb zusammen mit dem Hemmoorer Ordnungsamt die Sicherheitsauflagen erhöht.

Jetzt ist zum Beispiel klar geregelt, wer mit welchen Taucherfahrungen wie tief tauchen darf. Anfänger mit sechs bis acht Praxisstunden dürfen derzeit nur zehn Meter tief ins Wasser steigen, für erfahrene Sporttaucher ist bei 45 Metern Schluss. Eine Ausnahme bildet das technische Tauchen mit speziellen Flaschen, bei dem eine Tiefe von 45 Metern überschritten wird.

Damit sich die Taucher an die Regeln halten, überprüft ein Wachteam stichprobenartig die kleinen Computer, die jeder am Handgelenk tragen muss. Auf ihnen wird bei jedem Tauchgang gespeichert, bis auf welche Tiefe es hinunterging. "98 Prozent unserer Gäste halten sich daran", sagt Schmoldt. Aber Ausnahmen gebe es leider immer wieder. Wenn jemand bei der Überprüfung wiederholt auffliegt, gibt es ein Tauchverbot.

"Mit zunehmender Tiefe wird die normale Luft toxisch", erklärt Schmoldt die Gefahr. 45 Meter seien dabei oft die Grenze. Der Taucher könne in eine Art Rauschzustand fallen, den man als Stickstoffnarkose bezeichnet und bei dem er seine Umwelt ganz anders wahrnimmt. Je tiefer man taucht, desto größer wird zudem die Wahrscheinlichkeit, dass sich Eiskristalle am Lungenautomaten bilden. Die Luft wird knapp, Panik setzt ein, man will nur noch hoch. Doch in vielen Fällen ist es dann zu spät.

Holger Schmoldt steht auf dem Steg und schaut zu, wie sich Frank Sondermann und Michael Leitzbach startklar für den Abstieg machen. Die zwei sind erfahrene Taucher und wissen, wo ihre Grenzen sind. "Wenn ich ein ungutes Gefühl habe, tauche ich sofort auf", sagt Frank Sondermann. Holger Schmoldt würde sich wünschen, dass alle Taucher mit so viel Vorsicht in den See steigen.

"Es gibt keine einheitlichen Tauchregeln", sagt er. Theoretisch dürfte jeder Anfänger überall so tief tauchen, wie er wolle. Strenge Auflagen wie am Kreidesee seien die Ausnahme. Trotzdem fragt Schmoldt sich oft, warum bei ihm in 16 Jahren 14 Menschen sterben mussten - selbst wenn die Opferzahl bei etwa 30 000 Kreidesee-Tauchern pro Jahr unter dem Durchschnitt liege. Laut Schmoldt verlaufe etwa jeder 6000. Tauchgang tödlich. Er will sich dafür einsetzen, dass das Tauchen mit zwei Automaten internationaler Standard wird. Eine Garantie auf weniger Unfälle, das weiß er selbst, ist das aber auch nicht.