Konrad Schittek GmbH hat in ihren riesigen Lagern 26.000 verschiedene Sorten der vergangenen 50 Jahre im Angebot und auch ein Museum.

Sinstorf. Aus ganz Deutschland kommen sie nach Sinstorf. Die Firma am Winsener Stieg 1 A, unweit der A 7-Abfahrt Fleestedt/Hamburg-Sinstorf an der Hamburger Stadtgrenze, ist oft die letzte Adresse für Menschen, die ein Problem haben: Sie suchen keinen Arzt, der sie heilt; sie suchen keinen Kotflügel für ihren alten Mercedes und auch keinen Welpen aus einer seltenen Rassezucht. Sie suchen scheinbar etwas ganz Einfaches - Fliesen.

Das Problem ist nur: Die Fliesen, die sie suchen, gibt es nicht mehr im Fachhandel oder im Baumarkt zu kaufen. Doch der Fliesenhandel Konrad Schittek GmbH in Sinstorf bietet genau das, wonach die Leute verlangen: Industriefliesen der vergangenen 50 Jahre. Fliesen, die in Bädern, Küchen, auf Fußböden in Wohnungen, Hotels, öffentlichen Gebäuden und Gewerbeimmobilien verlegt wurden.

"Wir bieten unseren Kunden eine Auswahl von 26 000 verschiedenen Fliesensorten an", sagt Firmeninhaber Konrad Schittek, 64. "Meine Firma verfügt über einen Lagerbestand von 3500 Paletten. So können wir fast alle gängigen Fliesen seit 1960 im Nachkauf anbieten."

Die 3500 Paletten wollen gelagert werden. Das kann man nicht in einem kleinen Kraut- und Wiesenlager machen. Die Lager der Firma Schittek sind hochmoderne Logistikhallen mit selbst fahrenden Schmalgang-Hochregalstaplern. Eine Halle ist 40 mal 25 Meter groß und 12 Meter hoch, die andere 33 mal 75 Meter groß und 17 Meter hoch - hier könnte von der Länge her ganz locker, von der Spannweite her fast ein Airbus A 321 Unterschlupf finden. Für insgesamt 8000 Paletten sind die beiden Hallen ausgerichtet.

Da 8000 Paletten Fliesen rund 8000 Tonnen wiegen, sind die Hallenböden aus speziellem Stahlbeton, der besonders viel Eisen enthält. Die Fußböden sind 30 Zentimeter dick, fünf Zentimeter dicker als die Asphaltdecke einer Autobahn.

Auf rund zwei Millionen Euro Jahresumsatz, Tendenz steigend, kommt der Fliesenhandel Konrad Schittek. "Der Betrieb wächst rasant, wir kaufen jeden Tag Ware in ganz Deutschland ein", sagt der Chef. Seine Mitarbeiter kaufen Fliesen in Werken, wenn deren Programm ausläuft, von Fliesengeschäften und Händlern, die ihr Altlager bereinigen, von Lagern bei Geschäftsaufgabe und überall dort, wo Fliesen besonders günstig angeboten werden - "denn ich muss langfristig denken und auch heute schon die Ware lagern, die in ein paar Jahren benötigt wird."

Zurzeit ist die Holzart Wenge modern, sagt Konrad Schittek. Daran orientiert sich dann auch das aktuelle Fliesendesign. Bei den Farben sind im Moment Sandstein, Anthrazit und Schwarz en vogue.

Drei Viertel der Kundschaft, die persönlich nach Sinstorf fährt, kommt aus der Metropolregion Hamburg. Den Großteil aber macht der Versand aus: Kunden schicken alte Fliesen nach Sinstorf und die Schittek-Mitarbeiter suchen dann unter 25 000 Mustern das richtige heraus - die Ware kommt dann aus dem Lager und wird versandt, wenn gewünscht per Express. Beim Versandhandel verlässt mehr als zwei Drittel der Ware die Metropolregion - manche Kunden sitzen in der Schweiz, in den USA, in Polen und in Holland.

An diesem Vormittag kommt Kay Kaphengst, 49, aus Nenndorf in den Verkaufsraum, den Konrad Schittek im Stile der 1960er Jahre gestaltet hat. Kay Kaphengst ist Bauleiter der Firma Schmidt Brand- und Wasserschadensanierung GmbH in Tostedt. Ein Kunde hatte einen Wasserschaden - die Firma Schmidt saniert, und der Bauleiter ist jetzt auf der Suche nach passenden Fliesen. Sofort bringt ein Schittek-Mitarbeiter das Muster einer braunen Fliese, zehn mal zehn Zentimeter groß, aus den 1980er Jahren. "Die passt ja haargenau", freut sich Kay Kaphengst - 7,20 Euro muss er für zwei neue alte Fliesen bezahlen. Auch die defekte Fliese im Elfenbeinton stimmt fast genau mit dem Muster überein. "In 99 Prozent der Fälle", sagt Kay Kaphengst, "finde ich hier alles, was ich brauche." Auch Schadensregulierer von Versicherungen und Handwerker bedienen sich gerne der Sinstorfer Fliesen.

"Was wir hier machen, ist eine Dienstleistung, die den Grundsätzen unserer sozialen Marktwirtschaft entgegensteht, die immer etwas Neues in immer kürzeren Abständen vorsieht", sagt Konrad Schittek. "Die Leute werden ja angehalten zu konsumieren und alles immer wieder neu zu machen. Bei uns bekommen sie noch die Fliesen der letzten 50 Jahre und können Schäden selbst ausbessern."

Bei diesem Thema ist der 64-Jährige ganz in seinem Element: "Der Gedanke, dass die Leute nach 30 Jahren ihr Bad reparieren wollen und alte Fliesen verlangen, ist ja beinahe schon absurd für unsere Wirtschaftsform. Dabei gibt es viele Leute, die haben auch nach 30 Jahre noch ein tadellos gepflegtes Bad. In der Schule wird den Kindern ja auch das Prinzip der Nachhaltigkeit beigebracht, dass man nichts wegwirft und nichts verschwendet. Diesem Gedanken widmen wir uns."

Schmuckstück von Konrad Schitteks Firma ist ein Museum. Die Ausstellung trägt den Titel "Fliesen und ihre Verarbeitung seit 1900 - in Beispielen für Fachleute und Laien". Sie ist täglich von 7 bis 17 Uhr geöffnet, der Eintritt ist frei. Zu sehen sind ganze Bäder und Küchen der vergangenen Jahrzehnte, alle aus Originalteilen gebaut. Es gibt die schönsten Fliesen von 1900 bis 1980, alte Tauchsieder, Bohr- und Schleifmaschinen, Fugenfüller, alte Fliesenmuster, Lohnabrechnungen, Tarifverträge und Kataloge zu sehen. Auch Besuchergruppen aus China haben hier schon über die Vielfalt des Fliesenhandwerks gestaunt.

Konrad Schittek selbst ist gebürtiger Övelgönner. Er ist Maler und Musiker, spielte nach dem Realschulabschluss Klarinette und Saxofon bei der Bundeswehr und im Sinfonieorchester im fernen Kapstadt. Auch im Kongo, in Lagos und in der Dominikanischen Republik hat er gearbeitet.

Die Kunst des Fliesenbemalens hat er sich selbst beigebracht - auch seine Eltern, beide Künstler, beherrschten diese Fertigkeit. Als seine Söhne Felix, 30, und Jan, 29, - sie werden die Nachfolge in der Firma antreten - auf die Welt kamen, verlegte er sich vom künstlerischen Malen auf Fliesenmalen, gründete eine Fliesenmanufaktur in Altona und malte norddeutsche Motive.

Eines Tages kam ein Versicherungsvertreter vorbei und verlangte eine rote Fliese. Die machte ihm Konrad Schittek für 90 Euro - "dafür musste die Versicherung nicht ein ganzes Bad sanieren und hat 5000 Mark gespart. So kam ich auf die Idee, alte Fliesen zu kaufen und ein Lager anzulegen".

Heute hat der "Fliesenverrückte" das größte Fliesenlager in Deutschland. Und eines ist sicher: Es wird größer und größer werden.