Das Landwirtschaftsministerium will Schweinswale aus einem Schutzgebiet vor Sylt vertreiben. Eine Provokation für den Umweltminister.

Berlin. Die Kampfzone beginnt gute 15 Seemeilen westlich von Sylt. Mehr als 5000 Quadratkilometer ist sie groß, ein fest abgestecktes Areal in der Nordsee mit Wassertiefen zwischen acht und 48 Metern. Das Sylter Außenriff ist ein Schutzgebiet. Auf dem Meeresgrund wechseln sich Sandbänke und Steinfelder ab, hier leben viele Fische, Muscheln und Krustentiere. Vor allem aber gibt es hier die Schweinswale. Die einzigen heimischen Wale vor Deutschlands Küsten, durchschnittlich 1,60 Meter lang und bis zu 70 Kilo schwer. Sie haben eine graue Haut, die am Rücken sehr dunkel wird, Flossen und Fluke sind meistens schwarz.

Um die Schweinswale vor Sylt ist in Berlin ein heftiger Streit entbrannt. Dabei geht es um die Frage, wie man am besten eine Balance herstellt zwischen Natur- und Artenschutz einerseits und den Interessen der Fischer und damit auch der Verbraucher andererseits. Denn die europäische Fischereipolitik durchläuft einen Reformprozess. Bis 2013 muss geregelt werden, wie in Meeresschutzgebieten gefischt werden darf und welche Ausnahmen es geben soll. Das Bundesumweltministerium, das für den Naturschutz zuständig ist, und das Bundeslandwirtschaftsministerium, das sich um die Fischer kümmert, haben Vorschläge ausarbeiten lassen - mit unterschiedlichen Ansatzpunkten.

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Das Bundesamt für Naturschutz ist Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) unterstellt und will die Fischerei mit solchen Netzen ganzjährig verbieten, die den Schweinswalen gefährlich werden können. Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) hat ein Fischerei-Institut Vorschläge erarbeiten lassen. Die Forderung lautet hier, die Fischerei von Mai bis August auszusetzen und für den Rest des Jahres die Wale aus dem Gebiet zu vertreiben. An allen Netzen sollen hierzu sogenannte Pinger angebracht werden - das sind Unterwasser-Lautsprecher, die die Wale mit lauten Tönen vergraulen. Bei einer Anhörung werden die Varianten heute erstmals erörtert. Die Fronten sind bereits im Vorfeld verhärtet.

"Das Sylter Außenriff ist ein wichtiges Verbreitungsgebiet für die Schweinswale. Hier paaren sie sich und ziehen ihre Kälber auf", sagt Thilo Maack. Er ist Meeresbiologe bei Greenpeace. Im Sommer 2009 war er dabei, als die Umweltschutzorganisation 320 mehrere Tonnen schwere Steine vor Sylt ins Wasser warf, um zu verhindern, dass Grundschleppnetze weiter den Meeresboden umpflügen. Das Außenriff ist umkämpftes Gebiet - seit Jahren schon. "Die Bundesregierung muss sich dafür einsetzen, dass der menschliche Einfluss hier so weit wie möglich minimiert wird. Das heißt, dass vor allem die Fischerei mit gefährlichen Netzen verboten werden muss", fordert Maack. Jedes Jahr würden so Hunderte Schweinswale verenden. Greenpeace geht davon aus, dass es in der Nordsee je nach Saison zwischen 11 000 und 50 000 Tiere gibt, in der Ostsee beläuft sich der Bestand auf etwa 500 bis 5600 Schweinswale. Hier habe die Anzahl der Exemplare von 1994 bis 2004 um bis zu 51 Prozent abgenommen, so die Umweltschutzorganisation. Der Vorschlag des Landwirtschaftsministeriums sei "absurd und unsinnig", sagt Maack. "Die Pinger machen einen irrsinnigen Lärm und vertreiben die Wale aus ihren Schutzgebieten."

Genau das ist der Zweck der Unterwasser-Lautsprecher. Wenn sie die Wale von den Netzen fernhalten, können sie auch nicht darin verenden, lautet die dahinterstehende Logik. Für Peter Breckling sind die Pinger deshalb auch die beste Methode. Er ist Generalsekretär des Deutschen Fischerei-Verbandes, der wie Greenpeace an der heutigen Anhörung teilnimmt. "Schweinswal-Schutzgebiete sind relativ wirkungslos", sagt Breckling. "Die Wale bleiben ja nicht an einem Ort oder halten sich an solche Gebietsgrenzen, sondern schwimmen überall durch die Nordsee. Der Vorschlag, nur noch mit Pingern an den Netzen zu fischen, ist deshalb der effektivste." Für Breckling geht es dabei um die Verteidigung seines gesamten Berufsstandes. In Deutschland gibt es rund 1600 Boote mit 2800 Beschäftigten an Bord, die in Nord- und Ostsee kommerzielle Fischerei betreiben und von der nun zu fällenden Entscheidung betroffen sind.

Zwar steht das Sylter Außenriff mit seiner hohen Schweinswal-Dichte im Zentrum der Auseinandersetzung, doch geht es um insgesamt acht Meeresschutzgebiete mit einer Fläche von zusammen 9500 Quadratkilometern. Mit zwei weiteren Vogelschutzgebieten auf offener See gehören sie zum deutschen Beitrag des EU-weiten Schutznetzwerks "Natura 2000". Werden die Areale mit einem Fangverbot belegt, ist das für die deutschen Fischer "existenzgefährdend", wie Breckling sagt. Etwa ein Sechstel des Fanggebiets würde wegfallen. "Das Landwirtschaftsministerium muss sich für die Belange der Fischer einsetzen", fordert er.

Es wird für die Minister Norbert Röttgen und Ilse Aigner nicht leicht, hier eine Lösung zu finden. Auch Ingbert Liebing (CDU) sitzt zwischen den Stühlen. Er ist Bundestagsabgeordneter und sein Wahlkreis reicht von Dithmarschen-Nord bis Nordfriesland. Viele Nordseeinseln und auch Sylt gehören dazu. Liebing hat Tourismus in der Region - und eben auch viele Fischer. "Wenn es ein Schweinswal-Schutzgebiet gibt, muss dort auch der Schutz der Schweinswale im Vordergrund stehen", sagt er jedoch. "Es ist wichtig, dass die Tiere einen Rückzugsraum haben - die Fischerei muss in diesem Fall woanders stattfinden." Für ihn soll die Entscheidung auch Signalwirkung haben. Vergangene Woche hat der Bundestag die EU-Meeresstrategie in deutsches Recht umgesetzt. Sie gibt das Ziel vor, bis 2020 einen "guten Umweltzustand" der europäischen Meere zu erreichen. "Jetzt gilt es, dieses Anliegen auch vor der eigenen Haustür in Nord- und Ostsee mit Leben zu füllen", sagt Liebing. "Dazu gehört, dass sich die Bundesregierung jetzt auch für den Schutz der Schweinswale einsetzt und der Natur in diesem Fall den Vorrang einräumt."

Die Fischer fürchten schon jetzt, am Ende als Bauernopfer an den Umweltschutz dazustehen. Denn der musste durch die voranschreitende Industrialisierung von Nord- und Ostsee in der Vergangenheit manches Mal zurückstecken: Der Bau neuer Windparks, der Sand- und Kiesabbau oder die Verlegung von Seekabeln bringen meistens viele Nachteile für Flora und Fauna mit sich. "Auch für die Fischerei sind Natur- und Bestandsschutz wichtig, schließlich sind wir auch darauf angewiesen", sagt Verbands-Generalsekretär Breckling. "Aber die Forderungen der Naturschützer gehen jetzt zu weit."