Tausende Arbeiter schuften in der deutschen Fleischindustrie für Niedriglöhne. Gewerkschaften und Nachbarländer üben Kritik.

Oldenburg. Blutspuren und Knorpelstücke kleben auf dem Steinboden. Dutzende Männer mit Plastikschürzen und Hauben bearbeiten Schweinevorderteile, ihre Gesichter sind vor Anstrengung gerötet. Blitzschnell wirbeln ihre spitzen Messer, trennen Knochen, Knorpel und Fett vom Fleisch. Auf Polnisch werfen sie sich Kommentare zu. Kaum einer der 240 Zerleger im Oldenburger Werk des Fleischkonzerns Danish Crown spricht Deutsch. Und keiner von ihnen ist in dem Betrieb angestellt - obwohl sie dort 40-Stunden-Wochen schieben. Ihren Lohn erhalten die sogenannten Werksarbeitnehmer von ihrem polnischen Arbeitgeber.

Das ist Alltag in der deutschen Fleischindustrie - und ein Grund dafür, warum sie europaweit in Verruf geraten ist. Der Branche wird vorgeworfen, mit Billiglöhnen die Konkurrenz in den Nachbarländern zu ruinieren. So beklagen dänische Gewerkschafter die deutsche "Dumpinglohn-Mentalität", die ihr Land Tausende Arbeitsplätze gekostet habe. Die französische Fleischindustrie beschwerte sich sogar bei der EU-Kommission über Wettbewerbsverzerrungen in Deutschland. Niedersachsen mit seinen zahlreichen Betrieben im "Fleischtopf" um Oldenburg steht im Fokus der Kritik.

Tatsächlich sind Dumpinglöhne in Schlachthöfen und Fleischverarbeitung bundesweit verbreitet, wie die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) bestätigt. "Das System der Werksarbeitnehmer drückt die Bezahlung der Stammbelegschaften", sagt NGG-Experte Bernd Maiweg. "Das ist ein gewaltiges Problem." Einen Flächentarifvertrag, um die Löhne angemessen zu regeln, gibt es in der Branche nicht - auch deshalb, weil ein Großteil der Arbeit von osteuropäischen Werksarbeitnehmern geleistet wird. Nach Gewerkschaftsschätzungen sind vielerorts nur noch 20 Prozent der Beschäftigten direkt angestellt. 2004, nach der EU-Osterweiterung und der gleichzeitig eingeräumten Dienstleistungsfreiheit, verloren 26.000 deutsche Fleischarbeiter ihre Jobs. Die neue Gesetzeslage hatte die Werksverträge mit Osteuropäern erst möglich gemacht.

Für Adam Szulc ist das ein Glücksfall. Drei Jahre lang machte er selbst die Knochenarbeit an einer deutschen Werkbank, bis er sich zum Vorarbeiter für die polnischen Zerleger bei Danish Crown hocharbeiten konnte. "Wir verdienen hier mehr als doppelt so viel wie zu Hause", sagt Adam Szulc, ein blasser junger Pole mit Fleischerausbildung und einer Zwillingsschwester namens Eva. "Meine Kollegen in der Zerlegung bekommen pro Stunde mindestens acht Euro brutto - viele auch mehr, da sie nach Stückzahl entlohnt werden." Dazu käme die kostenlose Unterkunft in Oldenburg sowie bezahlte Heimfahrten.

Diese Entlohnung ist nach Angaben von Danish Crown eine Voraussetzung für den Werksvertrag mit dem polnischen Dienstleister. "Wir passen uns an die branchenüblichen Löhne im Land an und erwarten das auch von unseren Partnern", sagt Steen Sönnichsen. Er ist der Geschäftsführer der deutschen Aktivitäten von Danish Crown, dem aus Dänemark stammenden größten Fleischkonzern Europas.

Viele der Zigtausend Osteuropäer in deutschen Fleischbetrieben können von einer solchen Vergütung nur träumen. Nach Gewerkschaftsangaben sind Stundenlöhne von fünf Euro für Arbeit in eiskalten Werkshallen keine Seltenheit. In mehreren Fällen ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Verdachts auf Beihilfe zur illegalen Arbeitnehmerüberlassung. So sollen in einem Schlachthof Bulgaren für fünf Euro Stundenlohn 16 Stunden pro Tag gearbeitet haben. Das ist allerdings nicht der Knackpunkt - Lohndumping gilt in Branchen ohne verbindlichen Mindestlohn nur als Ordnungswidrigkeit. Strafbar macht sich hingegen, wer Ausländer über einen Dienstleister beschäftigt, aber wie die eigenen Mitarbeiter in den Betrieb eingliedert und mit denselben Tätigkeiten beschäftigt. "Das ist das System, das in Deutschland praktiziert wird", sagt Maiweg. Zu einem harten Urteil über die Fleischbranche kam auch die Justiz: "Der Umfang illegaler Tätigkeiten und deren Selbstverständlichkeit ist erschreckend. Das Gewerbe scheint von Straftaten durchdrungen zu sein", sagte eine Richterin im Dezember. Zuvor hatte sie einen Unternehmer zu einer Haftstrafe verurteilt, weil er jahrelang Schwarzarbeiter an deutsche Schlachthöfe vermittelt hatte.

Bei Danish Crown im Oldenburger Werk sind polnische und deutsche Arbeiter durch mehrere Stahltüren getrennt. Im Verpackungsbereich, wo die Angestellten von Danish Crown arbeiten, ist die Luft noch frostiger als in der Zerlegung. Mit knapp über null Grad durchdringt die Kälte alle Kleidungsschichten. Arbeiter bereiten Fleischprodukte für den Verkauf an Supermärkte vor, die Hackfleischmaschine dröhnt, Laufbänder rattern. Im Sekundentakt legt eine Frau im Arbeitskittel Koteletts in Plastikschalen aufs Laufband, automatisch zieht die Verpackungsmaschine bedruckte Folie drüber. Die Hygienestandards sind so hoch wie im Operationssaal. Wer sich an der Hand verletzt, erhält ein Spezialpflaster, das der Metalldetektor erkennt.

Die Arbeit ist zwar nicht so schweißtreibend wie in der Zerlegeabteilung bei den Polen, mit Stundenlöhnen ab 7,93 Euro, aber noch schlechter bezahlt. "Etwa die Hälfte der Produktionsarbeiter bekommt einen Lohn, der knapp über dem Hartz-IV-Satz liegt", sagt Jens Gräpler, Betriebsrat bei Danish Crown und seit fünf Jahren als Techniker beschäftigt. "Die meisten haben sich damit abgefunden - viele waren vorher bei Firmen beschäftigt, in denen es noch härter zugeht."

Kein Wunder, dass die Branche von Jahr zu Jahr zu neuen Rekorden eilt: 58 Millionen Schweine wurden laut dem Statistischen Bundesamt 2010 in Deutschland geschlachtet - ein Viertel mehr als im Jahr 2000. Ein Grund dafür liegt in der deutschen Lohnpolitik. Anders als in vielen Nachbarländern gibt es in Deutschland keinen gesetzlich festgelegten Mindestlohn, der für alle Arbeitnehmer unabhängig von ihrer Nationalität gilt. So lohnt es sich für ausländische Konzerne wie Danish Crown, in ihren Heimatländern Werke zu schließen und seit 2003 Jobs nach Deutschland zu verlagern. Das habe den Gewinn deutlich gesteigert, sagt Geschäftsführer Sönnichsen. "Deutschland ist für Danish Crown in wenigen Jahren zum Schlüsselmarkt geworden."

Die Zahlen belegen das: Mit einer Milliarde Euro Jahresumsatz tragen die deutschen Töchter ein Sechstel zum gesamten Konzernerlös bei. "Dänemark hat ein sehr hohes Lohnniveau im Vergleich mit allen anderen EU-Ländern - im globalen Wettbewerb ist das ein Nachteil", rechtfertigt Sönnichsen die Entscheidung, in seinem Heimatland 3000 Jobs abzubauen. Zum Vergleich: In der dänischen Fleischindustrie gibt es einen Mindeststundenlohn von rund 21 Euro. In Belgien sind es 11,60 Euro, in Frankreich neun Euro. Fazit: Ein Kotelett zu produzieren kostet in Dänemark doppelt so viel wie in Deutschland.