20 Millionen Euro Mehrkosten drohen beim Neubau des Parlaments in Hannover. Der steht jetzt auf der Kippe - Sanierung eine Alternative?

Hannover. Manchmal stinkt es im Niedersächsischen Landtag, die Abwasserrohre sind so undicht wie das Dach. Jeder Hausbesitzer hätte angesichts dieser Problemlage schon vor Jahren Kostenvoranschläge eingeholt für die Sanierung. Nicht so der Landtag: Er ließ das Gebäude erst Jahrzehnte verrotten und beschloss im März 2010 mit einer parteiübergreifenden Mehrheit von 91 der 152 Abgeordneten, bis zu 45 Millionen Euro auszugeben für einen Neubau, Parkgarage inklusive. Der 1962 eingeweihte Plenarsaal des Architekten Oesterlen sollte weichen - trotz Denkmalschutzes. Wenig später erhielt der Kölner Architekt Eun Young Yi den Zuschlag für einen tempelartigen Bau.

Vor wenigen Wochen blieb dem Landtagspräsidenten Hermann Dinkla (CDU) angesichts der Gerüchte über Kostensteigerungen nichts anderes übrig, als die Karten auf den Tisch zu legen. Bis in die Regierungsfraktionen hinein reicht die Verärgerung über das, was er für sich behalten hat: Die staatliche Bauverwaltung hat den Entwurf unter die Lupe genommen, und statt weniger als 45 Millionen errechneten die Experten knapp 65 Millionen Baukosten. Auch darauf kommt noch ein Kostenrisiko von bis zu 25 Prozent. Es geht nicht nur um steigende Baupreise. Im Entwurf fehlten eine Sprinkleranlage und die vorgeschriebene Fotovoltaik (je 400.000 Euro). Zudem halten die Bauexperten des Landes auch eine Klimaanlage für nötig (vier Millionen Euro) sowie Edelstahlverkleidungen für die Betonstützen für 600.000 Euro.

Die Grünen-Fraktion hievte das Problem auf die Tagesordnung des Landtags und hier zeigte sich dann, dass zwar eine fraktionsübergreifende Mehrheit aus CDU, SPD und FDP weiter neu bauen möchte, aber es an Mut fehlt, Nägel mit Köpfen zu machen. Also soll nun geprüft werden, ob die Sanierung des alten Gebäudes eine Alternative ist. Die Fachleute versuchen zudem im Gespräch mit dem Architekten Eun Young Li auszuloten, ob es nicht doch billiger geht, als dies die Bauverwaltung glaubt. Linksfraktion und Grüne misstrauen der Mehrheit und befürchten, die Sanierung solle teuer gerechnet werden, um den Neubau unabhängig von den Kosten zu rechtfertigen.

Vor der Kommunalwahl im September wird sich nichts tun. Danach sind es nur noch 13 Monate bis zur Landtagswahl. Weswegen viel dafür spricht, dass CDU, SPD und FDP erst nach der Landtagswahl einen neuen Anlauf nehmen. Vom Tisch ist inzwischen eine dritte Variante: CDU-Fraktionschef Björn Thümler hatte vorgeschlagen, den Plenarsaal stehen zu lassen und einen preiswerteren neuen Plenarsaal zu bauen. Auch dann wäre eine Grundsanierung des Oesterlenbaus unumgänglich gewesen. Der einzige Vorteil des Vorschlags war, dass der Landtag das Problem des Denkmalschutzes hätte umschiffen können. Zwar hatte sich Dinkla schon 2009 ein Gutachten bestellt, das den Weg dafür ebnen sollte. Aber Hans Karsten Schmalz, ehemaliger Vizepräsident des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg, hat ein Gegengutachten vorgelegt, dass sich wie eine Anklageschrift liest gegen willfährige Paragrafenauslegung: "Es bedarf schon einer beachtliche Portion Chuzpe, um die Denkmaleigenschaften des Landtags in Abrede zu stellen."

Wahrscheinlicher aber als eine Realisierung mit Verzögerung ist inzwischen, dass das Projekt scheitert. SPD-Fraktionschef Stefan Schostok wirft der CDU vor, mit Indiskretionen die neue Grundsatzdiskussion angestoßen zu haben. Und in der eigenen SPD-Fraktion hat sich sein parteiinterner Konkurrent, der SPD-Landesvorsitzende Olaf Lies, positioniert und attackiert nicht nur Landtagspräsident Dinkla: "Es ist sein Projekt, und Dinkla ist damit kläglich gescheitert." Lies plädiert auch für die Sanierung und warnt den Landtag davor, sich über den Denkmalschutz hinwegzusetzen, an dem kein privater Hausbesitzer rütteln könne. Als der Landtag vor knapp einem Jahr für den Neubau votierte, jubelte Dinkla: "Es geht um das bauliche Herzstück parlamentarischer Demokratie." Jetzt steht der Landtag tatsächlich vor der Frage, ob er die parlamentarische Demokratie dadurch beschädigt, dass ein Neubau weiter vorangetrieben wird, damit die Abgeordneten ihr Tageslicht in einem neuen Plenarsaal bekommen, den sie höchstens vier Tage im Monat nutzen.