Alle Zimmer und Suiten von Helgolands Nobel-Unterkunft an Windpark-Betreiber vermietet. Sorge auf der Insel um touristisches Angebot.

Helgoland. Gräbt der Offshore-Boom dem Tourismus auf Helgoland das Wasser ab? Mitten hinein in die Goldgräberstimmung auf Deutschlands einziger Hochseeinsel, die Wartungsbasis für drei Windparks in der Nordsee werden soll, platzte die Nachricht von der Vermietung des kompletten Hotels Atoll an das Unternehmen WindMW. Der Betreiber des rund 1,2 Milliarden Euro teuren Windparks "Meerwind" hat ab 1. Januar 2013 alle 50 Zimmer und Suiten des Nobel-Hotels für Monteure, Ingenieure und Gäste gemietet - ganzjährig und über zehn Jahre.

"Für unseren Tourismus ist das eine kalte Dusche", sagt Helgolands Bürgermeister Jörg Singer. "Das Atoll hat höchste Maßstäbe gesetzt." Auch Tourismus-Direktor Klaus Furtmeier ist geschockt, zumal auch Hotelier Detlev Rickmers, Inhaber des Hotels Insulaner, sein Haus Hanseatic auf dem Oberland mit 17 Zimmern komplett und ganzjährig für acht Jahre an einen weiteren Offshore-Investor vermietet hat. Er wisse von weiteren Anfragen der Investoren bei Hotels und Pensionen, sagt Furtmeier, und fürchtet, dass deshalb mittelfristig fünf bis zehn Prozent der 2700 Betten auf Helgoland für Inselgäste wegfallen.

+++ Von Hamburg nach Helgoland mit dem Kreuzfahrer +++

Das 1999 als "First-Class-Design-Hotel" in bester Lage eröffnete Atoll fehle den Helgoländern als "Flaggschiff" in der Außendarstellung und Magnet für anspruchsvolle Gäste allerdings ganz besonders, so Furtmeier. "Da hat er recht", sagt Arne Weber, Unternehmer aus Harburg und Inhaber des Atolls. Ihn erstaunt die Aussage des Tourismusdirektors: "Im aktuellen Gästeverzeichnis der Gemeinde sind wir als bestes Haus am Platz, das außerhalb der Insel höchste Wertschätzung genießt, doch nicht einmal mehr aufgeführt." Einerseits Flaggschiff, andererseits nicht im Gästeverzeichnis, "das passt doch nicht zusammen".

Furtmeiers Erklärung: Im Gegensatz zu anderen Hotels und Privatvermietern auf Helgoland habe sich das Atoll nicht vom Hotel- und Gaststättenverband Dehoga zertifizieren lassen und sei deshalb zunächst abgerutscht in der Liste der Hotels. Das habe zum Streit geführt, letztlich habe es das Atoll sogar abgelehnt, wie alle anderen Vermieter im Gästeverzeichnis zu inserieren. Furtmeier: "Da ist es nur konsequent, dass wir uns im Verzeichnis auf unsere zertifizierten Betriebe beschränken." Für Arne Weber war diese Debatte allerdings nicht ausschlaggebend für die Komplettvermietung an WindMW. "Es war eine rein wirtschaftliche Entscheidung, und es ist ein Glücksfall für unser Haus."

Einen anderen Weg der Unterbringung beschreitet Windparkbetreiber RWE Innogy. Das Unternehmen beauftragte den maritimen Dienstleister Schramm-Group, für das Projekt Windpark Nordsee Ost zwei neue Gebäude auf Helgoland mit Unterkünften für 30 Monteure zu bauen. Dafür hat die Schramm-Group einen Vertrag mit RWE Innogy mit einer Laufzeit von 20 Jahren unterzeichnet. Auch mit dem Zulieferer für den Windpark Nordsee Ost, Repower Systems, konnte ein Vertrag geschlossen werden, dieser läuft über fünf Jahre.

Fast hätte auch Atoll-Mieter WindMW auf Helgoland selbst gebaut. Die Pläne für den Bau von 30 Wohnungen für Mitarbeiter des Investors an der Leuchtturmstraße auf dem Oberland waren schon fertig - doch der Bund als Eigentümer des Grundsstücks erwies sich als "Hemmschuh" des Projekts. Über den Preis bestand zwar Einigkeit, sagte WindMW-Geschäftsführer Jens Assheuer. Als Problem für den Bund erwies sich offenbar die Garantie, das Areal frei von Kampfmittel- und Munitionsresten übergeben zu können.

Helgoland war noch bis 1952 Übungsziel für britische Bomber. Etwa eineinhalb Jahre dauerten die Verhandlungen mit dem Bund in dieser Frage - ohne eine Einigung. Irgendwann war WindMW im Zugzwang, disponierte um und mietete das komplette Hotel Atoll. Die Planungskosten für den Wohnungsbau, immerhin eine sechsstellige Summe, schrieb der Investor in den Wind. Bürgermeister Singer bedauert, dass das Wohnungsbauprojekt nicht verwirklicht werden kann. Er sieht den Schwarzen Peter beim Bund, der "schneller, flexibler und marktorientierter" hätte handeln müssen. "Dann hätten wir den Vertrag schon lange unterzeichnet." Für WindMW haben sich mit der Einmietung im Hotel Atoll alle Unterkunftsprobleme auf einen Schlag gelöst. Ausschlaggebend für die Buchung waren laut Assheuer auch die im Hotel zur Verfügung stehenden Flächen für Konferenzen, Workshops, internationale Tagungen und Ausstellungen, die auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollen.

Ob die Komplettvermietung des Atolls tatsächlich so ein herber Schlag für den Tourismus ist, bezweifelt Hotelier Rickmers. Zwar sei es ein Verlust, "jedoch verkraftbar" für die Hotellerie, die sich in den vergangenen Jahren wesentlich verbessert habe. "Die Abhängigkeit vom Atoll ist nicht mehr da."

Das sieht Tourismusdirektor Furtmeier anders. Ihn treibt die Sorge um die guten Übernachtungszahlen auf Helgoland um, die im vorigen Jahr um zehn Prozent auf 264 261 gestiegen sind. Eine Option, mehr Raum für Inselgäste zu schaffen, könne die Erweiterung des Bungalow-Dorfes auf Helgolands Badedüne von derzeit 25 auf 57 Häuser sein, sagt er. Wer das bezahlen soll, ist allerdings unklar. Ebenso, ob damit die Lücke bei den First-Class-Hotelzimmern geschlossen werden kann.