75 Prozent der Unfälle gehen laut Allianz-Studie auf menschliches Versagen zurück. Experten halten die Meere heute aber für sicherer denn je.

München/Hamburg. Als die "Titanic" im April 1912 auf ihrer Jungfernfahrt auf einen Eisberg lief und sank, machte das Unglück weltweit Schlagzeilen. 1513 Menschen kamen im eiskalten Nordatlantik ums Leben, weil die Zahl der Rettungsboote nicht reichte und an Bord Panik ausbrach. Das Ereignis blieb nicht ohne Folgen. So hat die Schifffahrtsindustrie in den vergangenen 100 Jahren ihre Sicherheitsstandards ständig ausgeweitet. Das ist das Ergebnis einer Studie zur Sicherheit in der Schifffahrt von 1912 bis 2012, die gestern der Schiffsversicherer Allianz Global Corporate & Speciality (AGCS) vorgelegt hat. Das Unternehmen zählt als Allianz-Tochter zu den führenden Schiffsversicherern weltweit und nahm 2011 mehr als 940 Millionen Euro an Prämien ein.

+++Vier weitere Leichen aus Wrack der "Costa Concordia" geborgen+++

+++Wrack liegt noch bis 2013 vor italienischer Küste+++

Die Folge von Katastrophen wie bei der "Titanic" führten laut Studie immer wieder zu einschneidenden Veränderungen in der Schifffahrt. So wurde wenige Jahre nach dem "Titanic"-Unglück ein internationales Übereinkommen unterzeichnet, das die lebensrettende Ausrüstung bei Fahrten durch Eismeere festlegte. AGCS-Experte Sven Gerhard erwartet neue Konsequenzen für die Sicherheit auch nach der Havarie der "Costa Concordia", die noch immer vor der italienischen Insel Giglio auf einem Felsen liegt. In diesem Fall wird es "sicherlich keine Ausnahme geben", sagt der AGCS-Experte.

Immerhin: Während sich die internationalen Handelsflotten innerhalb von 100 Jahren auf mehr als 100 000 Schiffe verdreifacht haben, ging die Zahl der Totalverluste im Vergleich zur Flottengröße deutlich zurück. Sank zu Beginn des vorigen Jahrhunderts noch jährlich eins von 100 Schiffen, war es 2009 nur noch eins von 670, wie aus der Studie hervorgeht. Gerhard ist überzeugt: "Die Meere sind heute sicherer denn je. Der Seetransport verursacht weniger tödliche Unfälle als bei Auto-, Motorrad- oder Fahrradfahrern sowie Fußgängern."

Dennoch zeigt die Studie, die in Zusammenarbeit mit der Universität von Cardiff entstand, auch neue Risiken auf. Da ist zunächst die Entwicklung zu immer größeren Frachtern. So hat die dänische Reederei Maersk inzwischen 400 Meter lange Schiffe in Korea bestellt. Größe allein mache Schiffe zwar nicht gefährlicher, so Gerhard, manche Experten hätten inzwischen aber "Bedenken bezüglich der Stabilität und Festigkeit".

Bei Kreuzfahrtschiffen stellt sich vor allem die Frage, ob und wie die Passagiere in einem Notfall evakuiert und in entlegenen Gebieten von Rettern geborgen werden können. Dabei geht es bei den größten Schiffen rasch um mehr als 6000 Gäste an Bord. Die weltweit agierende internationale Schifffahrtsorganisation IMO hat dazu jetzt neue Bestimmungen erlassen. Ziel: Das Schiff soll bei Unfällen selbst dann schwimmfähig bleiben, wenn nur noch eins von drei Schotten nicht überflutet ist. Dann blieben die Passagiere nach einem Unglück an Bord, während das Schiff in einen Hafen geschleppt würde. Auch der Risikofaktor Mensch spiele auf See eine große Rolle. Er dürfe nicht unterschätzt werden, warnt die Studie. So könne es trotz der Festlegung auf die Seefahrtsprache Englisch bei Besatzungen aus unterschiedlichen Ländern gerade in Notfällen zu folgenschweren Missverständnissen kommen. Experten hielten zudem die Zahl der vorgeschriebenen Besatzungsmitglieder pro Schiff - Beispiel: 18 Mann auf einem mittelgroßen Containerfrachter mit 4000 bis 5000 Containerstellplätzen - für zu gering.

Heute gehen laut Studie mehr als 75 Prozent der Unfälle auf See auf menschliches Versagen zurück. Als Gründe dafür gelten Übermüdung, unzureichendes Sicherheitsmanagement an Bord oder auch Zeit- oder Wettbewerbsdruck. Auf diese Gefahren sollten sich die Reedereien beim Betrieb ihrer Flotten einstellen. "Da technologische Verbesserungen das Risiko vermindern, wird der menschliche Faktor immer wichtiger", ist sich Allianz-Experte Gerhard sicher.