Regierungschefs der fünf Küstenländer monieren zu langsame Verlegung von Seekabeln durch Netzbetreiber Tennet

Kiel. Die fünf norddeutschen Bundesländer wollen die Energiewende beschleunigen. Darauf einigten sich die Ministerpräsidenten und Bürgermeister der Küstenländer gestern auf ihrem Nord-Gipfel in Kiel. Beschlossen wurde zugleich eine bundesweit einzigartige Aktion. Die fünf Regierungschefs wollen sich außerplanmäßig in knapp drei Wochen in Bremen treffen, um gemeinsam mit Vertretern der Bundesregierung dem großen Netzbetreiber Tennet die Leviten zu lesen. Der niederländische Staatskonzern kommt beim Anschluss der geplanten Windparks in der Nordsee nur langsam voran.

"Die Energiewende droht gegen die Wand zu fahren", sagte Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD). Rückendeckung bekam er vom Schweriner Regierungschef Erwin Sellering (SPD). Die Energiewende sei "die große nationale Aufgabe der nächsten zehn Jahre" und dürfe nicht in den Händen von Firmen liegen, die zum Netzausbau möglicherweise nicht der Lage seien. Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) nickte, ebenso Hannovers Ministerpräsident David McAllister (CDU) und sein Kieler Amtskollege Peter Harry Carstensen (CDU), der die Konferenz Norddeutschland leitete.

Tennet hatte vor Kurzem eingeräumt, dass der Anschluss von Offshore-Windparks "in der bisherigen Geschwindigkeit und Form nicht länger möglich ist". Damit steht ein dickes Fragezeichen hinter der Energiewende, weil vor allem die in der Nordsee geplanten Offshore-Parks bis 2020 etwa elf Gigawatt ins deutsche Netz einspeisen sollen, aber erst für die Hälfte der Parks Anschlussleitungen in Auftrag gegeben sind. Weitere Milliardeninvestitionen knüpft Tennet an Bedingungen, etwa daran, bei einer verspäteten Fertigstellung der Seekabel nicht für den Schaden haften zu müssen.

In diesem Punkt sind die Regierungschefs der Küstenländer zu Zugeständnissen bereit. In einer gemeinsamen Erklärung zur Windenergie fordern sie "klare gesetzliche Regelungen zu Haftungsfragen". Prüfen wollen sie auch ein höheres Netzentgelt, das in die Kasse Tennets fließen würde. Hinter verschlossenen Türen sollen die Spitzenpolitiker aber auch darüber diskutiert haben, den Anschluss der Offshore-Parks im Notfall im Konflikt mit Tennet oder möglicherweise mit einem großen Netzkonsortium abzuschließen. Tennet sei offenbar überfordert, hieß es. Die Niederländer hatten das frühere E.on-Höchstspannungsnetz (gut 10 000 Kilometer von Flensburg bis Passau) Anfang 2010 übernommen, also noch vor der Energiewende und dem damit erforderlichen Netzausbau.

"Unser gemeinsamer Auftritt bei Tennet wird Eindruck machen", meinte Carstensen. Es sei volkswirtschaftlicher Irrsinn, Offshore-Parks ohne Anschluss zu bauen oder wie schon jetzt in Nordfriesland Windkraftanlagen aufgrund von Netzengpässen abschalten zu müssen. Diesmal nickten die anderen vier Regierungschefs. Einig war sich das Quintett auch darin, dass der Bund beim Netzausbau eine führende Rolle übernehmen soll, endlich ein "Masterplan Offshore Windenergie" her muss und die Küstenländer dafür geschlossen in Berlin auftreten. "Die Windenergie ist für ganz Norddeutschland eine Jahrhundertchance", bilanzierte McAllister. In dieselbe Kerbe schlug Scholz: "Wir wollen weltweit zu den Vorreitern einer fortschrittlichen Energiepolitik gehören." Die Regierungschefs verständigten sich zudem darauf, beim Bund das nötige Geld für große Infrastrukturprojekte wie A 20, die Y-Trasse oder den Ausbau des Nord-Ostsee-Kanals einzufordern. Beschlossen wurde auch, einen "norddeutschen Kooperationspreis für länderübergreifende Projekte in der Wissenschaft" auszuloben.

Heikle Themen wie die Elbvertiefung wurden auf dem Gipfel nur am Rande diskutiert. Und im Streit um die Husumer Windmesse, die Hamburg ab 2014 übernehmen möchte, sorgte der Bundesverband Windenergie (20 000 Mitglieder) aus Berlin für einen kleinen Paukenschlag. Der Verband trat der Wind-Allianz bei, die Husum mit der Messegesellschaft Hannover gegen die Hamburg-Messe geschmiedet hatte.

Carstensen zog trotz solcher Differenzen eine positive Bilanz seiner einjährigen Amtszeit als Vorsitzender der Küstenkonferenz. Wenn Norddeutschland mit einer Stimme spreche, könne es auch beim Bund Ländern wie Bayern, Baden-Württemberg und Hessen Paroli bieten. Carstensen, der nach der Landtagswahl im Mai ausscheidet, übergab den Vorsitz der Konferenz turnusgemäß an Jens Böhrnsen, der in einem Jahr zum Küsten-Gipfel nach Bremen lädt.