Wenn zwischen Cuxhaven und Hamburg die Elbe nahezu geschlossen mit Eisschollen bedeckt ist, sind die Lotsen besonders gefordert.

Lühe. Es ist eine bizarre Landschaft, durch die sich der Containerfrachter "Aldebaran J" schiebt: Wo sich die Elbe sonst als dunkles Band zwischen grünen Deichen präsentiert, ist jetzt nur eine schuppige, weiße Fläche zu erkennen. Kraftvoll drückt der Propeller das rund 140 Meter lange Schiff durch die polternden Schollen. Am Heck ist von der Brücke aus eine dunkle Schneise zu sehen; voraus, vor den bunten Stahlboxen, eine scheinbar geschlossene Eisdecke. Am Steuerpult dreht Elblotse Jörn Tecklenburg an einem kleinen Regler des Autopiloten; "344 Grad" erscheint auf der Bildschirmanzeige einer elektronischen Seekarte. "Man muss jetzt den Kurs im Kopf haben, für jede Ecke hier", sagt er und fingert noch ein wenig an dem Rädchen.

Der Lotse steuert den Frachter nun damit allein. Vor sich hat er ein i-Pad aufgeklappt: Kurse anderer Schiffe, die Tide - das hat er so im Blick. Im Funk knarzige Stimmen der Kollegen. Auf einem Beitisch dampf ein Becher Kaffee, beruhigend brummt die Maschine, die weiße Schollenlandschaft draußen glitzert in der Nachmittagssonne. Doch das Lichterspiel ist auch trügerisch. Seit Tagen schon ist die Unterelbe zwischen Hamburg und Cuxhaven nahezu geschlossen mit Eisschollen bedeckt. Bilder von arktischen Schiffpassagen kommen da hoch.

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Auf dem engen Revier der Unterelbe ist eine offizielle "Eislage" immer eine Gefahrenlage, die nun besonders die Lotsen fordert. 260 Elblotsen sind zwischen Hamburg und der Elbmündung vor Helgoland im Einsatz: Für Schiffe ab 90 Meter Länge besteht dort eine Annahmepflicht für den Lotsendienst, den die speziell ausgebildeten Nautiker im Staatsauftrag übernehmen. Organisiert sind sie in einer Brüderschaft, gearbeitet wird ähnlich wie an einem Taxistand: Wer ein Schiff gelotst hat, stellt sich in der Warteschlange sozusagen hinten an.

Normalerweise sind so rund 24 Stunden Ruhezeiten drin. Jetzt geht es schneller, weil zusätzlich rund um die Uhr sechs Lotsen in Brunsbüttel das "Eis-Radar" übernehmen, um die Kollegen an Bord der Schiffe über genaue Positionen zu beraten. Aus gutem Grund: Bei Eisgang werden die großen Fahrwassertonnen aus dem Fluss genommen, weil sie von den dicken Eisschollen trotz schwerer Verankerung weggetrieben würden. Nur kleine, leichte Eistonnen, kaum sichtbar als Radarecho auf den Bordgeräten, haben die Tonnenlegerschiffe ausgebracht. Von der engen Fahrrinne, von den Sandbänken und Wattflächen ist da wenig zu erkennen. "Man muss für jeden Abschnitt den Kurs eben im Kopf haben", wiederholt Lotse Tecklenburg. Leuchttürme, Leuchtfeuer oder auch große Strommasten an Land - das nimmt er nun ebenfalls als Orientierungspunkte, um die richtige Spur zu finden. Vor Teufelsbrück ist er von dem Versetzboot aus zugestiegen: ein kurzer, aber beherzter Sprung an die ausgebrachte Lotsenleiter, dann im Eilschritt hoch zur Brücke.

Sergei Korokov, den russischen Kapitän des unter Antigua-Flagge fahrenden Frachters, beeindruckt das Eis allerdings nicht sonderlich. Müde von den nächtlichen Verlademanövern in Hamburg, nutzt er Anwesenheit des Lotsen für eine kurze Pause vom anstrengenden Wachdienst auf der Brücke. Von der Ostsee ist er auch anderes gewohnt: Bis zu 40 Zentimeter dicke Eisschichten kann sein speziell am Bug verstärktes Schiff noch selbst knacken, bevor ein Eisbrecher zu Hilfe kommen muss. Anders als die Binnenschiffe auf der Oberelbe oder kleinere Fähren dampfen die Seeschiffe derzeit weiter planmäßig über den Strom bis zur Nordsee, die wegen des Golfstroms und ihres hohen Salzgehalts eisfrei ist. Aber die Dicke des Eises allein ist auch nicht das Gefährliche: Auf den Watten wachsen die Eisschollen und Eisblöcke bei Ebbe regelrecht heran, bei Flut werden sie in den Fluss geschwemmt.

Die wabernde Schicht aus Schollen und Klumpen, die an crushed Eis im Caipi erinnern, verstopft auf der Elbe gelegentlich die Kühlwassereinlässe der Seeschiffe, sagt Tecklenburg. Folge: Die Maschine läuft heiß, setzt aus - und nur mit Notanker-Manövern lässt sich eine Strandung verhindern. "Wir hatten da schon ein paar kritische Situationen", sagt Tecklenburg.

Kurz vor Brunsbüttel, nach gut drei Stunden, hat er sein Ziel erreicht. Gleich wird er von einem Kollegen abgelöst, der die Passage bis in die Deutsche Bucht übernimmt. Eigentlich würde Tecklenburg nun ein Schiff wieder zurück nach Hamburg lotsen. Doch noch herrscht weiter "Eislage" auf dem Fluss - da wird der erfahrene Nautiker woanders gebraucht: Vor dem "Eis-Radar", um die Kollegen auf dem Fluss zu beraten, die nun im Dunklen den richtigen Weg treffen müssen.