Der Widerstand gegen Mastbetriebe, Biogasanlagen und Windkraftanlagen dehnt sich in Schleswig-Holstein und Niedersachsen aus.

Kiel/Hannover. Der Protestfunke ist aus großen Städten wie Stuttgart und Hamburg auf das flache Land übergesprungen. In immer mehr Dörfern Schleswig-Holsteins und Niedersachsens machen Bürgerinitiativen (BI) Front gegen lokale Großprojekte wie riesige Geflügel- und Schweinemastbetriebe, Biogasanlagen oder Windrotoren. Einige Projekte haben die "Wutdörfler" schon gekippt.

"Die Bürger lassen sich von der Politik eben nicht mehr alles gefallen", sagte die Geschäftsführerin des BUND in Schleswig-Holstein, Ina Walenda, gestern im Landeshaus. Dort stellte der BUND das bundesweit erste Landesbündnis gegen Massentierhaltung in der Landwirtschaft vor. Unter dem Motto "Bauernhöfe statt Agrarfabriken" wollen 19 Bürgerinitiativen, Natur- und Tierschutzverbände weitere Mega-Mastanlagen verhindern, darunter gleich zwei Projekte in Stocksee im Kreis Segeberg.

"Bei uns will ein Schweinemastbetrieb seine Kapazität von 3900 auf fast 7000 Plätze erweitern", berichtete der Sprecher der BI "Uns Bürgern stinkt's", Sven Koschinski. Die Initiative kämpft zugleich gegen eine geplante Mastanlage für 84 000 Hühner. In solchen Großanlagen könnten Tiere nicht artgerecht gehalten werden, bemängelt er. Leidtragende seien auch die Anwohner. Ihnen droht neben der Geruchsbelästigung ein Werteverlust ihrer Immobilie. "Wer will schon neben einer solchen Großanlage leben?"

Koschinski warb für eine bäuerliche Landwirtschaft, die auf kleinere Ställe setzt und die Produkte teurer verkauft. Mit solchen Positionen steht er nicht allein da. In einem Dutzend weiterer Dörfer von Blumenthal bis Satrup wehren sich BIs gegen die Expansionspläne meist heimischer Bauern.

Im Kieler Landwirtschaftsministerium wird der wachsende Widerstand mit Sorge gesehen. "Der Vorwurf, in größeren Betrieben komme die Tierhaltung zu kurz, ist vorschnell", sagte Sprecher Christian Seyfert. Entscheidend sei die Haltung der Tiere. Eine Großanlage, die das Land genehmigen muss, beginnt bei mehr als 2000 Ferkeln, 6000 Schweinen oder 40 000 Hühnern. Zu den Protesten gegen Agrarfabriken kommen solche gegen Windkraftanlagen. In den vergangenen Monaten hat es in mehr als einem Dutzend Gemeinden Bürgerentscheide über neue Windparks gegeben. "In den meisten Fällen haben die Gegner gewonnen", jubelte der Vorsitzende des Vereins "gegenwind-sh", Frank Jurkat. Die modernen Windrotoren seien "Industriebauten", die Lärm machten und als "Zufallsenergie" keine Versorgungssicherheit brächten.

In dem Anti-Wind-Bündnis sind BIs aus zwei Dutzend Dörfern engagiert, wobei der Widerstand gegen die geplante Ausweitung der Eignungsflächen für Windparks auf 1,5 Prozent der Landesfläche auch andernorts umstritten ist. Das Kieler Innenministerium prüft derzeit 1860 Stellungnahmen. In 530 davon werden die Ausbaupläne kritisiert oder ganz abgelehnt.

Im März wird in Jurkats Heimatdorf Schiphorst (Herzogtum Lauenburg) abgestimmt. Bürgermeister Hans Burmeister und die Gemeindevertretung sind für einen weiteren Windpark, Jurkat möchte ihn auf jeden Fall verhindern. "Wenn Sie einige Hundert Meter neben einer großen Windkraftanlage wohnen, können Sie nur wegziehen oder sich erschießen."

In Niedersachsen schwillt die Protestwelle ebenfalls an. Als im vergangenen Jahr im Landkreis Celle Deutschlands größter Schlachthof für Hähnchen gebaut wurde, gingen in der Region mehrere Hähnchenmastanlagen in Flammen auf. In großen Mast-Landkreisen wie Emsland, Cloppenburg und Vechta reagierte die Politik inzwischen auf die immer radikaleren Proteste und versucht neue Mastanlagen zu verhindern - notfalls auf Umwegen über bislang unübliche Gutachten zum Brandschutz und zur Umweltbelastung.

Der BUND zog gerade vor das Verwaltungsgericht Hannover, um den Bau einer riesigen Aufzuchtanlage für Jungsäue mit fast 1900 Plätzen zu verhindern. Carl-Wilhelm Bodenstein, BUND-Landesgeschäftsführer, berichtete von einem deutlichen Anstieg solcher Klageverfahren. Es gebe einen wachsenden Widerspruch "zwischen Recht und Gesetz einerseits und dem, was erlaubt wird andererseits".

Die Politik habe ihre Maßstäbe verändert, klagte Bodenstein. Ihn wundert die wachsende Zahl der Wutbürger überhaupt nicht: "Das hat die Politik mitverursacht." Politiker und Behörden, so seine Einschätzung, hätten ob der Proteste ihre Informationspolitik verändert und würden mauern: "Man möchte den Bürger gar nicht hören." Nach seiner Einschätzung bräuchte das Land einen grundsätzlichen Diskurs darüber, wo die Gesellschaft hinwill: "Stattdessen entzündet sich mangels gesellschaftlichem Konsens an jedem Einzelprojekt der Protest."