Grafitti, Skulpturen, Malerei: Für “ARTotale“ sind 35 internationale Künstler nach Lüneburg gereist. Sie bringen Farbe und Formen mit.

Lüneburg. Die Stadt verändert ihr Gesicht, jedenfalls für aufmerksame Augen. An 15 Stellen in der Innenstadt entsteht in dieser Woche Kunst. Manches bleibt nur für ein paar Tage, manches für ein paar Jahre - so lange eben die Farbe an der Hauswand hält. Die Leuphana Universität hat für ihr Kunstprojekt "ARTotale" 35 Künstler aus der halben Welt nach Lüneburg geholt. Die Rundschau hat sie bei der Arbeit besucht.

Dienstag, kurz vor 11 Uhr: An der Seitenwand der Großen Bäckerstraße 21 Ecke Zollstraße soll ein Graffiti entstehen. Noch ist hier nichts zu sehen außer getünchten Ziegeln - kein Wunder: Der Künstler namens "1010" arbeitet in diesem Moment an seinem zweiten Werk für Lüneburg, gemeinsam mit "Moki" sprüht er schwarze Katzen an eine Brandwand an der Johannisstraße 22.

Ein paar Meter weiter, in der Glockenstraße, klebt Heather Jones (24) ein drei Meter hohes Bild aus Papier auf die Seitenwand der Nummer 19. Sie ist die Assistentin der Künstlerin "Swoon" (31) aus New York. Die Frau habe Swoon in Kairo gesehen, erklärt die Assistentin, das Kleid der Frau setzt sich aus der Skyline der ägyptischen Hauptstadt zusammen. Da aus Papier, wird dieses Werk je nach Witterung früher oder später ein natürliches Ende finden.

Auf dem Wüstenort, am Karstadt-Parkhaus, prangen an diesem Vormittag bereits diverse Buchstaben von Ben Eine, geboren 1970, aus Großbritannien. Ein "E" ist noch nicht ganz fertig - soll das so sein oder nicht, ist die Frage, die sich in den nächsten Tagen automatisch beantworten wird: Entweder bleibt es so, oder es füllt sich noch.

Gegen 11.15 Uhr wartet in der Wandfärberstraße 3 Falk Lehmann (32) aus München auf seine Hebebühne. Gemeinsam mit Jasmin Siddqui (28) aus Heidelberg bildet er das Duo "Herakut" und wird ein großes, "figürlich-gegenständliches" Bild aus Sprühlack und Acrylfarbe auf die graue Wand zaubern.

Geschützt im Durchgang zum Musikschulhof An der Münze steht Pius Portmann (35) aus Zürich mit dem Pinsel in der Hand. Der Putz ist an vielen Stellen aufgebrochen, und das will der Künstler in sein Bild integrieren. "Ich fange mit den Farben der Steine und Ziegel an, das ist der organische Teil", erklärt er, "anschließend kommt Sprühlack in grün und violett drauf, das symbolisiert die technischen Elemente."

Im Hof der Oberen Schrangenstraße 18 steht am frühen Mittag Mirko Reisser (37) alias "DAIM" auf dem ausgestreckten Arm einer Hebebühne. Die Arbeit an seinem aufwendigen grafischen 3-D-Graffiti hat er bereits am 29. September angefangen und hofft, Donnerstag fertig zu werden. Mit der ARTotale kommt Reisser zurück in seine Geburtsstadt Lüneburg: Ansonsten lebt er in Hamburg.

Am Anfang der Grapengießerstraße und vor St. Johannis sollen laut Programm Skulpturen stehen, sie sind aber noch nicht zu sehen - die im Rasen vor der Kirche liegenden Baumstämme sind es schließlich nicht. Oder? Der Besucher überlegt einen Augenblick, entscheidet dann aber: Nein, die Skulptur wird noch kommen.

Auch in der Salzstraße 13/14 wirkt noch nichts anders als einen Tag zuvor, dafür ist ein Stück weiter in der Ritterstraße ein Graffiti bereits fertig: ein Riesen-Elephant von Victor Ash (40) aus Portugal auf der Rückseite der Hauses Nummer 12. Ash arbeitet gerade an einem zweiten Bild am Rücken der Roten Straße 12, dem Parkplatz an der Kalandstraße: Wie die Bremer Stadtmusikanten bilden Tiere Türme.

Eine weiß-graue Welle auf die Rückseite der hellgelben Hauptschule Stadtmitte malt die Künstlerin "Faith47" aus Südafrika, dahinter sorgt "Loomit" aus München für Balsam für gequälte Augen: Er sprüht ein Graffiti auf das Parkhaus am Wasserturm mit viel Blau, einer Hand aus Backsteinen und zwei Wasserhähnen. Der 41-Jährige fühlt sich sehr wohl in Lüneburg: "Toll, dass so eine Zuckerbäckerstadt überhaupt Interesse an unserer Kunst hat. Normalerweise rufen uns nur Städte voller Bausünden."