Ex-Rocker packt vor dem Kieler Landgericht aus. Boss der Hells Angels schwer belastet. Prozess unter strengen Sicherheitsvorkehrungen.

Kiel. Diese Aussage ist lebensgefährlich. Ein Ex-Rocker hat vor dem Kieler Landgericht massive Vorwürfe gegen den Hells Angel Frank Hanebuth erhoben. Der Chef der Hells Angels in Hannover, der eine führende Rolle bei den Rockern in Deutschland und auch im Norden spiele, habe über die Ermordung des seit zwei Jahren vermissten Türken Tekin Bicer in Kiel entschieden und "grünes Licht" für das Verbrechen gegeben, sagte der frühere "Präsident" der inzwischen aufgelösten Kieler Rockergruppe Legion 81.

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Aufgrund der Angaben des Ex-Rockers war in der vergangenen Woche Hanebuths Privathaus von der Polizei durchsucht worden. Mitglieder der Spezialeinheit GSG 9 hatten sich in einer spektakulären Aktion über dem Haus des Hells-Angels-Bosses abgeseilt.

Vom Mord an dem Türken habe er auf einer Weihnachtsfeier 2010 erfahren, als er in den inneren Führungszirkel der Kieler Hells Angels aufgenommen worden sei, sagte der Angeklagte. Die Polizei sucht seit einer Woche in einer Lagerhalle der Hells Angels in Altenholz bei Kiel nach Überresten des Türken, der vor zwei Jahren spurlos verschwand und hier einbetoniert sein soll - bislang ohne Erfolg.

Der Ex-Rocker berichtete, wie ihm das Verbrechen bei der Weihnachtsfeier geschildert worden sein soll. Demnach sei der Türke von Hells Angels stundenlang gequält, mit einem Werkzeug auch anal gefoltert, angeschossen und schließlich vom sogenannten Sergeant der Kieler Hells Angels mit einem Kopfschuss getötet worden. Geräusche wie ein Seehund habe das Opfer während der Torturen gemacht und geröchelt, während die Täter sich darüber amüsiert hätten. Zum Motiv sagte der frühere Rocker, der Türke sei in Ungnade gefallen. Es sei um Waffengeschäfte, Prostitution und viel Geld gegangen. Im Übrigen habe es ein Kopfgeld für den Türken gegeben, der selber einen Kurden getötet haben soll.

Hanebuth soll auch auf die Kieler Hells Angels großen Einfluss ausgeübt haben. So habe er die Finanzlage in Kiel überwacht, und für den Gebrauch von Schusswaffen sei jeweils das Okay Hanebuths notwendig gewesen, sagte der Angeklagte vor Gericht. Als ein Beispiel nannte er "einen gezielten Warnschuss" auf einen Rocker der mit den Hells Angels verfeindeten Bandidos in Preetz (Kreis Plön). Dort hatten die Bandidos eine eigene Abteilung aufbauen wollen, was die Hells Angels mit massivem Druck verhindert hätten. Hanebuth habe ihm persönlich in einem thailändischen Restaurant in Kiel für das Vorgehen in Preetz einen Umschlag mit 5000 Euro gegeben - 3000 Euro quasi als Honorar plus 2000 Euro für den Kauf eines Autos zur Ausführung der Tat, sagte der Ex-Rocker.

Hanebuth soll auch über "Hausbesuche" der Hells Angels entschieden haben - "das heißt in unserer Sprache, dass auf jemanden geschossen oder die Kniescheibe kaputtgehauen wird", sagte der Angeklagte. Im Endeffekt werde der Tod des jeweiligen Opfers in Kauf genommen. Die Hells Angels hatten demnach selber Waffen: Pistolen, eine abgesägte Schrotflinte, eine Handgranate - aufbewahrt in einer Tasche für den Ernstfall. "Wenn auf einen von uns geschossen wird, dann soll die Handgranate fliegen und drei von denen (rivalisierende Rocker) erschossen werden", habe die Vorgabe gelautet.

Die Hells Angels, "das ist eine abgeschlossene Welt mit eigenen Autohändlern, eigenen Discos und bestimmten Kommunikationswegen, die eingehalten werden müssen". Der Angeklagte fügte hinzu: "Die Hells Angels sind nicht rechts oder links, es geht um Kohle." Der Ex-Rocker mit den früheren Spitznamen "Imperator" und "Kugelblitz" nannte viele Namen von Rockermitgliedern und deren Aufgaben.

Hanebuths Anwalt, Götz von Fromberg, sagte dazu: "Sofern es um Herrn Hanebuth geht, sagt er die Unwahrheit." Der hannoversche Hells-Angels-Chef kenne den Mann in Kiel gar nicht.

Mit seiner Aussagebereitschaft ist der Angeklagte ein hohes Risiko eingegangen. Aus Sicht der Hells Angels ist er ein "Verräter", ihr "Ehrenkodex" verpflichtet zum Schweigen. Deshalb war der ehemalige Rocker mit einem gepanzerten Fahrzeug, geschützt von Spezialkräften der Polizei, zum Gericht gebracht worden. Er trug eine schusssichere Weste. Das von zahlreichen Polizisten gesicherte Gericht glich einer Festung. Eine Glasscheibe trennte die Zuschauer von der Verhandlung - eine notwendige Sicherheitsmaßnahme, wie sich zeigte. Während der Aussage des Rockers sprang ein tätowierter Zuhörer auf und stieß eine indirekte Morddrohung gegen ihn aus: "Der ist tot."

Der Kronzeuge, der mit einem geringeren Strafmaß rechnen kann, hat Zeugenschutz erhalten. Er wird aus Sicherheitsgründen von den Behörden an einem geheimen Ort versteckt. Seine Hinweise sollen die Razzia mit 1200 Polizisten vor einer Woche in 89 Bordellen, Kneipen und Wohnungen vor allem im Raum Kiel ausgelöst haben.

Nach den jüngsten Razzien gegen Rockerklubs wollen mehrere Innenminister die Chancen eines bundesweiten Verbots von Vereinen wie den Hells Angels ausloten. Es gebe Anzeichen für eine intensive Vernetzung der Klubs untereinander, sagte der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Lorenz Caffier (CDU), am Rande eines Treffens mit seinen Ressortkollegen. Belastbare Beweise lägen aber noch nicht vor. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) zeigte sich noch skeptisch: "Die Frage, ob wir bundesweit ein Verbot von Rockergruppen aussprechen können, hängt davon ab nachzuweisen, dass es auch bundesweite Strukturen gibt."