Das Freilichtmuseum am Kiekeberg eröffnet sein Agrarium. Es zeigt den Einzug der modernen Technik in die Landwirtschaft.

Rosengarten. Die Architektur wirkt eher schlicht und zweckmäßig, der Inhalt ist dagegen spektakulär: Morgen wird Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister (CDU) dicht hinter Hamburgs Stadtgrenze eine in Deutschland bislang einzigartige Ausstellung zu Landwirtschaft und Ernährungsindustrie einweihen.Vom kommenden Sonnabend an ist das neue Agrarium im traditionsreichen Freilichtmuseum am Kiekeberg dann auch für die Allgemeinheit geöffnet.

Dampfmaschinen, historische Traktoren und Landmaschinen, von denen manche wie stählerne Ungetüme aussehen: Wer die neue Halle betritt, ist erst einmal fasziniert von den originalen Zeugnissen einer archaischen Technik, die seit dem späten 19. Jahrhundert die Landwirtschaft revolutioniert hat. Als etwa seit der Gründung des Deutschen Reichs 1871 die Dampfkraft auf den Höfen nach und nach Einzug hielt, veränderten sich nicht nur die Methoden von Saat und Ernte, sondern auch die Lebenswirklichkeit der Landbevölkerung. Mit dem Bevölkerungswachstum, den die Industrialisierung seit der Gründerzeit nach sich zog, vergrößerte sich auch der Bedarf an Lebensmitteln. Und den konnten nur noch eine immer weiter mechanisierte Landwirtschaft und die im Entstehen begriffene Ernährungsindustrie befriedigen.

Im Agrarium geht es vor allem um die Frage, wie Lebensmittel entstehen und wie sich das in den letzten 150 Jahren verändert hat. Mit einer gewaltigen Kraftanstrengung will das Freilichtmuseum damit ein völlig neues Kapitel aufschlagen und zugleich eine inhaltliche Lücke schließen: Während auf dem weitläufigen Museumsgelände im Kreis Harburg bisher anhand von originalen ländlichen Bauwerken und Anlagen das Landleben früherer Jahrhunderte sowie die Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg dargestellt wurde, geht es im Agrarium um die Entwicklung vom späten 19. Jahrhundert bis in die unmittelbare Gegenwart.

Insgesamt 5,7 Millionen Euro hat das Projekt gekostet. Beteiligt sind zahlreiche Partner - vom Landkreis Harburg über die Metropolregion Hamburg bis hin zum Europäischen Fonds für regionale Entwicklung.

+++ Das Agrarium soll für neue Rekorde sorgen +++

Das Freilichtmuseum, das trotz seiner äußerst mangelhaften Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr schon bisher jährlich bis zu 200 000 Besucher anlockt, verspricht sich von seinem Agrarium einen deutlichen Besucherzuwachs, auch und vor allem in der kalten Jahreszeit.

"Wir schaffen eine Verbindung von unseren historischen Maschinen zu den modernen Techniken von heute. Wir zeigen aber auch ganz bewusst Landwirtschaft und Ernährungsindustrie, wie sie heute arbeiten, und werfen außerdem einen Blick in die Zukunft", sagt Museumsdirektor Rolf Wiese. Das Konzept für die im letzten Jahr erbaut dreistöckige Halle ist für den Museumsbetrieb neuartig, denn es verbindet auf 3300 Quadratmeter Ausstellungsfläche sehr geschickt das ohnehin dringend notwendige Schaumagazin für die zum Teil riesigen historischen Landmaschinen mit einer Dauerausstellung. Ergänzend kommen Themen-Elemente für Sonderausstellungen hinzu.

7,50 Meter lang, fünf Meter hoch und 19 Tonnen schwer ist der 1918 in Leeds in England gebaute Dampfpflug, der rund 40 Zentner Kohlen pro Tag und 600 Liter Wasser pro Stunde verbrauchte. Dieses vielleicht spektakulärste Ausstellungsstück vermittelt einen Eindruck davon, wie radikal die Technisierung die Landwirtschaft verändert hat.

Doch obwohl Technikliebhaber im Schaumagazin nach Herzenslust hinter die Kulissen blicken können, geht es hier allerdings nicht nur um technische Faszination. Sondern auch um Fragen, deren Beantwortung nicht nur Kinder manchmal verblüffen dürfte. Zum Beispiel: Wie wird Nussnougat-Aufstrich hergestellt? Wie werden heute Schweine geschlachtet? Wie verläuft eigentlich der Weg der Kartoffeln vom Acker bis in die Frittenbude? Und unter welchen Bedingungen werden heute Nutztiere gehalten?

Die Ausstellung bezieht an einigen Stellen geschickt interaktive Elemente mit ein, die man sonst eher aus den Science Centern kennt. Damit wird den Besuchern auch eine Fülle sinnlicher Erlebnisse geboten, zum Beispiel im neuen Röstereicafé Koffietied. Die Schau gibt konkrete und manchmal gewiss auch schockierende Antworten, enthält sich jedoch moralischer Wertungen. Ziel ist nicht Indoktrination, sondern Information - dass gerade deshalb viel Raum zum Nachdenken bleibt, ist ausdrücklich erwünscht.