Seit vier Jahren wohnt das Ehepaar Handt mit seinen Kindern am Kornweg in Klein Borstel - und hat den Einzug keinen Tag infrage gestellt.

"Unsere Entscheidung, in die Klimaschutzsiedlung Kornweg in Klein Borstel zu ziehen, haben wir noch keinen Tag infrage gestellt", sagen Corinna und Hermann Handt. Und dies trotz einer ganz großen Besonderheit: Wer dort einziehen will, darf kein Auto haben. Denn die Klimaschutzsiedlung, jüngst ausgezeichnet mit dem Hanse-Umweltpreis, ist eine der wenigen autofreien Siedlungen in Deutschland.

Die Initiative zu diesem Projekt sei von einer Baugemeinschaft ausgegangen, sagt Claus-Dietrich Scholze, Vorstand des Wohnungsvereins von 1902, der einen Teil der Siedlung realisierte. Den Kontakt hatte die Hamburger Agentur für Baugemeinschaften hergestellt. "Sie wusste, dass wir für solche Anliegen offen sind", sagt Scholze. In der Folge kaufte die Genossenschaft das Grundstück in Klein Borstel und erbaute 35 Genossenschaftswohnungen. Die Baugemeinschaft errichtete weitere 30 Eigentumswohnungen in Reihenhausbauweise.

Im September 2008 haben die Ernährungswissenschaftlerin und der Krankenpfleger ihr Passivhaus bezogen. Grundsätzlich autofeindlich eingestellt ist das Paar nicht, "Wir hatten früher ein Auto, aber wir empfanden das Wohnprojekt sowie das Bauen und Leben in einer Gemeinschaft als so reizvoll, dass wir das gern akzeptiert haben", sagt Corinna Handt.

So viel wie möglich wird von zu Hause aus gearbeitet

Die Entscheidung habe ihr Leben dann doch verändert. Von einem Verlust an Mobilität oder Lebensqualität mögen aber beide nichts hören. "Ich bin fast in der ganzen Stadt mit dem Fahrrad unterwegs", sagt die Ernährungswissenschaftlerin. Schwere Arbeitsmaterialien werden nicht mehr mitgeschleppt, sondern auf den USB-Stick gezogen, und so viel wie möglich wird von zu Hause aus gearbeitet. Ein Wassersprudler stellt "eigenes" Mineralwasser her, und auch sonst haben sich die Handts und ihre Nachbarn ihr Leben gut organisiert. Lebensmittel und Getränke, vieles vom Biobauernhof, werden gemeinschaftlich bestellt und in den Lieferkeller der Siedlung gebracht. Für eilige Einkäufe gibt es einen nahe gelegenen Tante-Emma-Laden. Das nachbarschaftliche Leben wird per Intranet-Blog organisiert.

"Fast alles lässt sich mit dem Fahrrad transportieren", stellt Hermann Handt fest. "In den Schuppen der Siedlungstehen alle Arten von Gepäckträgern und Anhängern, die fleißig ausgetauscht werden." Der gelernte Automechaniker ist im Viertel, wo gemeinsame Unternehmungen und Nachbarschaftshilfe großgeschrieben werden, für das Fahrradbasteln zuständig.

Dass der siebenjährige Leon und andere Kinder des Viertels nicht alle 100 Meter mit dem Auto gefahren werden, sieht das Paar als großen Vorteil. "Die Kinder machen sich ganz selbstverständlich zu Fuß oder mit dem Rad auf den Weg zur Schule oder zur Kita", sagt Corinna Handt. Die dreijährige Guinevere werde noch mit dem Kinderanhänger kutschiert. Die S-Bahn liegt nur fünf Gehminuten entfernt, "eine Voraussetzung für das Gelingen des Wohnprojekts", sagt Hermann Handt.

Nur in Notfällen bestellen die Bewohner ein Taxi, zudem steht ein Kleinwagen des Car-Sharing-Anbieters Greenwheels an der Ecke. Doch genutzt wird dieser kaum, denn die Bewohner haben sich zum Leben ohne eigenen Pkw verpflichtet, sagt Michael Reidt, Vorstand des Vereins Autofreies Wohnen am Kornweg. Die Verpflichtung - dazu gehört auch der Verzicht auf regelmäßige Nutzung von Mietwagen und Autos von Freunden - ist in einem Anhang zum Mietvertrag festgeschrieben und muss der Genossenschaft gegenüber regelmäßig versichert werden. Reidt. "Da gibt es eine gute Selbstregulierung innerhalb der Gruppe". Daran, dass die Mieter tatsächlich kein Auto besitzen, hat auch die Genossenschaft großes Interesse. Andersfalls müsse sie, so Claus-Dietrich Scholze, nachträglich statt der 0,2 Stellplätze pro Wohnung, wie mit der Genehmigungsbehörde vereinbart, die normalerweise vorgeschriebenen 0,8 Stellplätze schaffen.

In Hamburg will man den Mobilitätsmix fördern

Natürlich können Feuerwehrautos und Umzugswagen die Siedlung befahren. Auch bei einer körperlichen Beeinträchtigung dürfen Bewohner vorübergehend ein Auto besitzen. "Autoarmes Wohnen hat für mich eine große Zukunft", sagt Scholze. Die Abkehr vom Auto scheint in der Tat langsam in Gang zu kommen. In den Stadtgärten Lokstedt können sich die Bewohner beispielsweise von Anfang an Autos teilen. Dafür kooperiert der Carsharinganbieter Cambio mit den Wohnungsbaugenossenschaften Bauverein der Elbgemeinden (BVE) und Lehrerbau. Im neuen Wohngebiet Othmarscher Höfe werben Wohnungsanbieter damit, dass Autos in der Tiefgarage bleiben können - angesichts der guten Anbindung an den Nahverkehr. Auch das geplante Neubaugebiet Tarpenbek Green in Groß Borstel soll autoarm werden, fordern die Grünen. Insgesamt will man in Hamburg den "Mobilitätsmix" fördern.

Eine Umfrage des Abendblatts zu den Wünschen der Hanseaten zeigte, dass sich 41 Prozent der Befragten vorstellen können, sich ein Auto zu teilen. Ohnehin befindet sich die mobile Gesellschaft, zumindest in den Großstädten, längst auf neuen Wegen. So ist die Zahl der Nutzer von Carsharing-Angeboten 2011 um 30.000 auf 190.000 Personen gewachsen, meldet der Bundesverband Carsharing. Auch die Autokonzerne drängen mit neuen Konzepten auf den Markt. BMW kooperiert mit Sixt, Mietautos dem Kunden nicht nur tageweise, sondern auch für Stunden oder sogar Minuten anzubieten. Konkurrent Mercedes hat im April 2011 das gleiche Modell mit Europcar in Hamburg eingeführt. Und die Smarts des Gemeinschaftsunternehmens car2go, unproblematisch per Handy oder Internet zu orten, sind im Stadtbild überall präsent. Nach einem halben Jahr in Hamburg hatten sich schon fast 9000 Kunden beim Anbieter registriert.