Journalist Thomas Hirschbiegel sammelt Möbel und Accessoires, die schon zu Zeiten des SED-Regimes nur wenigen vorbehalten waren

Das Hamburger Abendblatt liegt aufgeschlagen auf dem Esstisch. Außerdem würde er auch die "Sächsische Zeitung", die "Magdeburger Volksstimme" oder die "Märkische Oderzeitung" lesen, sagt der Journalist Thomas Hirschbiegel, der seit der Wende sein Herz für Möbelstücke und Wohnaccessoires, für Kunst und Kuriositäten aus den Zeiten der früheren DDR entdeckt hat. "Als ehemaliger Polizeireporter hatte ich natürlich Kontakt zur Polizei, und gleich nach der Wende haben die Polizisten Orden und Uniformen getauscht. Das hat mich dann angesteckt", sagt Hirschbiegel, der seine Eimsbütteler Wohnung zu der Zeit noch konventionell antik eingerichtet hatte.

Mit der Zeit besuchte er Flohmärkte, studierte private Kleinanzeigen in den Zeitungen und inserierte auch selbst. So fand er in einem Antikladen in Dresden seinen Esstisch mit sechs schönen Stühlen. Für alles zusammen bezahlte er etwa 200 Euro. "Natürlich haben die Aufarbeitung der Oberfläche und die Polsterung mehr gekostet, aber diese Möbel bilden den Grundstock meiner heutigen Einrichtung", sagt Hirschbiegel.

Die Räume seiner 140 Quadratmeter großen Hamburger Altbauwohnung wirken nicht überfrachtet. Wohl auch, weil einige Möbel schon immer Glanzstücke der damaligen Wohnwelt waren. Sie gehörten teilweise nie zur üblichen Einrichtung einer DDR-Wohnung.

So besitzt Hirschbiegel zum Beispiel einen Stuhl, der nur Ehrengästen im Torhaus des Brandenburger Tors vorbehalten war. Das Besondere an dem Stuhl sei, so Hirschbiegel, der Lederbezug. Selbst Erich Mielke, damaliger Chef der Staatssicherheit, habe damals nur einen Stuhl der Art mit kobaltblauem Stoffbezug besessen. Er wurde in den bekannten Werkstätten Hellerau hergestellt, die 1898 von Karl Schmidt-Hellerau (1873-1948) in Dresden gegründet wurden. Schmidt-Helleraus Ziel war es, Möbel anzubieten, die ei-nen Kompromiss zwischen preisgünstiger maschineller Herstellung und geschmackvollem Design boten. Hirschbiegel ersteigerte den Stuhl vor Jahren für 1500 Mark in Hamburg.

Neben diesen in klassischer Handwerkkunst hergestellten Möbeln waren Einrichtungsgegenstände aus "Plaste" in der DDR verbreitet. Drei typische Badhocker hat Hirschbiegel in seinem Esszimmer stehen, die sich mit ihren bunten Oberflächen vom Holz des Esstisches abheben. Da die Hocker aus zwei Teilen zusammengeschraubt sind, kann man sie farblich untereinander kombinieren. Bezogen sind sie noch mit den original langflorigen Kunststoffbezügen - den Wuschelkissen.

Gleich daneben hat ein Star der russischen Weltraumtechnik seinen Platz erhalten: ein kleines Modell der Weltraumkapsel Sputnik, ersteigert bei Ebay. Richtig Wirkung entfaltet das Modell erst, wenn die Beleuchtung eingeschaltet wird und die kleine Kapsel der 1957 gestarteten Trägerrakete besonders zur Geltung bringt.

Vor das Sofa im Wohnzimmer hat Thomas Hirschbiegel einen großen Teppich gelegt. Bunt gemustert wirkt er allerdings nur im ersten Moment, denn bei genauerer Betrachtung sind hier die sozialistischen Ideale in gewebter Form zu sehen: spielende Kinder, glückliche Familien und eine arbeitende Bevölkerung. Im Hintergrund dann rauchende Fabrikschlote und bestellte Felder. "Teppiche dieser Art dienten als Staatsschmuck in Rathäusern oder anderen öffentlichen Einrichtungen", sagt Hirschbiegel. Gefertigt wurden sie in Gera im VEB Halbmond. Ebenfalls in Reichweite vom Sofa steht der Glatzkopf, ein Standaschenbecher mit klappbarem Kugelaufsatz. Diese typischen Ascher waren in vielen Gaststätten zu finden.

Aber nicht nur Thomas Hirschbiegel findet Gefallen daran, sich mit sozialistischem Schick einzurichten. Insgesamt, so der Journalist, gäbe es in Deutschland an die 30 DDR-Museen und etwa 20 weitere Grenzmuseen. Das größte Haus für Wohn- und Alltagskultur dieser Art befindet sich in Radebeul bei Dresden und zeigt auf fünf Etagen die damals typischen Einrichtungsideale. Ebenso zeigt das "Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR" in Eisenhüttenstadt (gegründet 1953 unter dem Namen Stalinstadt, heute weltweit bekannt für seinen Zuckerbäckerstil) etwa 150 000 Gegenstände aus ostdeutschem Alltag von Hausrat über Bekleidung und Möbel bis zu Schallplatten, Büchern, Urkunden und Fotografien.

Hirschbiegel aber fährt lieber selbst in die tiefste Provinz, sei es in die Uckermarck oder ins Erzgebirge, durchforstet Flohmärkte und pflegt private Kontakte, die ihm schon so manches Stück für seine Sammlung eingebracht haben. "Am liebsten würde ich diese Touren natürlich mit meinem Trabbi 601 Kübel, einem Militärmodell, machen, aber ein Fahrzeug mit nur 27 PS und ohne Türen eignet sich nicht so gut, um schöne Stücke sicher zu transportieren", sagt Hirschbiegel, der schon noch einige Wünsche hätte. So steht zum Beispiel ganz oben auf seinem Wunschzettel noch ein Bild des Malers Willi Sitte. Neben Werner Tübke, Bernhard Heisig und Wolfgang Mattheuer war er einer der bedeutenden Maler des sozialistischen Realismus in der DDR.