Das Recycling-Material wird mit Kunstharz getränkt und in einer Wabenstruktur zu Wänden geformt.

Sanft schwebt der Prototyp heran: Ein Kran hat ein Haus am Haken, das Tausenden Menschen zu besserem, würdigem Leben verhelfen soll. "Universelles Welt-Haus" ist der offizielle Name; "Afrika-Haus" wird es in Kiel-Altenholz genannt, denn die ersten Unterkünfte dieser Art sollen in Nigeria aufgebaut werden. Der Prototyp und vor allem die Maschinen, die es zur Fertigung der Bauelemente braucht, kommen aus Altenholz.

Gerd Niemöller beobachtet mit verschränkten Armen, wie der Kran das Haus auf der norddeutschen Wiese platziert: 800 Kilogramm wiegt es samt Bodenplatte und Grundausstattung, ein Leichtgewicht. Es besteht aus verklebten Paneelen, die als Kern sechseckige Wabenstrukturen haben. Das Material: mit Kunstharz getränkte und unter Hitze und Druck gehärtete Zellulose - Papier also, in Hauptsache Altpapier, aber in eine Form gebracht, die es witterungsbeständig und erdbebensicher macht und so beständig ist, dass sogar Wasserbecken daraus gebaut werden können. Swisscell-Paneele heißt der Stoff, und Diplomingenieur Niemöller aus Lübeck ist sein Erfinder.

Der Ingenieur ist einer von denen, die gar nicht gern über sich reden. "Ich hab auch gar keine Zeit", sagt er und verweist auf das weltweit enorme Interesse an seinen Häusern. In Nigeria sind bereits 2350 Wohneinheiten in doppelstöckigen Häusern geplant. Gerade ist Chief Biodun Adeniji, Geschäftsführer der Jumbee Ltd. in Lagos, zu Besuch gewesen und hat von den entsprechenden Plänen in Nigerias größter Stadt berichtet. "Preiswerter, umweltfreundlicher, ethischer Siedlungsbau" heißt Niemöllers Triebfeder. Der 58-Jährige gehört zum Verwaltungsrat der Schweizer Aktiengesellschaft The Wall AG mit Sitz in Schaffhausen, deutscher Niederlassung in Ratingen und den Produktionsanlagen in Altenholz. Drei Mitarbeiter waren bei der Firmengründung im dritten Quartal 2008 am Start, zum Jahreswechsel waren es schon 24.

In der Produktionsstätte Kiel-Altenholz entstehen die Maschinen, mit denen der bemerkenswerte Baustoff hergestellt wird. Diese Vollautomaten wiederum werden dahin gebracht, wo Wohnraum entstehen soll. "Wir liefern nur die Rohstoffe und die Maschinen", sagt Niemöller. "Alles andere erledigen einheimische Kräfte." Das hält den Transportaufwand klein und schafft neben menschenwürdigem Wohnraum auch Arbeitsplätze an Ort und Stelle. Pro Jahr soll jede Maschine Baustoff für 1500 Wohneinheiten liefern. Eine computergesteuerte Fernwartung überwacht den Prozess, der mit stationären Blockheizkraftwerken effizient und emissionsarm mit Energie versorgt wird.

Der Bedarf an Welt-Häusern ist gigantisch. Längst liegt eine zweite Anfrage aus Nigeria und eine weitere aus Angola vor. Zudem arbeitet Niemöllers Unternehmen mit World Vision zusammen. Die Hilfsorganisation will in Simbabwe Unterkünfte aufbauen lassen. Dort grassiert in den Elendsvierteln die Cholera; das Afrika-Haus soll für bessere hygienische Zustände sorgen.

Für den Ingenieur ist das Hilfe zur Selbsthilfe: menschenwürdige Unterkünfte aus umweltfreundlichen, nachhaltig vor Ort produzierten Baustoffen, die von den Betroffenen selbst aufgebaut werden. Und mit Blick auf die Flüchtlingsströme dieser Welt sagt er: "Die Menschen wollen ja in ihren Heimatländern bleiben. Auf die Flucht treibt sie nur das Überleben-Wollen."

Zum menschenwürdigen Leben in Krisen- und Katastrophengebieten braucht es nach mitteleuropäischen Maßstäben vergleichsweise wenig. Der Kieler Prototyp des Afrika-Hauses - "unsere kleinste Wohneinheit" - hat eine Grundfläche von 36 Quadratmetern und ist mit Bettstellen, Regalen, Tischen, Bänken, einer rudimentären Küche, Dusche, Toilette und Veranda ausgestattet. Dass hier eine Großfamilie Platz findet, ist kaum zu glauben, doch das Leben einer Familie im Slum von Lagos könnte mit einem Haus, das vor Nässe, Hitze, Kälte, Schmutz schützt, zukunftsweisend verbessert werden.

Wie ein Haus aussehen muss, um seinen Bewohnern gerecht zu werden, haben die Dritte-Welt-Experten der Bauhaus-Uni Weimar und der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit recherchiert. In Nigeria findet der Alltag im Wesentlichen draußen statt, das bedeutet: Ein Haus wird vor allem zum Schlafen gebraucht. Die Dusche wiederum muss auch dafür geeignet sein, dass Fleisch aus Hausschlachtung in ihr gesäubert wird.

5000 Dollar kostet eine Wohneinheit, damit liegt ihr Quadratmeter-Preis bei knapp 139 Dollar. 50 Jahre soll sie mindestens halten. Gebaut ist im Afrika-Haus nahezu alles aus den Swisscell-Paneelen, deren Kern eine sechseckige Wabenstruktur hat. Die Waben werden aus mit Kunstharz getränkter, unter Hitze und Druck gehärteter Zellulose hergestellt.

Erfahrungen aus dem Flugzeug- und Bootsbau und vor allem die Natur standen Pate bei Niemöllers Baustoff-Erfindung. Doch bis dahin wurde die extrem belastbare Wabenstruktur vor allem aus Aluminium hergestellt. "Zu energieintensiv und vor allem angesichts der Not in der Dritten Welt viel zu teuer", urteilte Niemöller - und landete beim Altpapier. Die Idee war geboren, was fehlte war eine Maschine, die die Idee umsetzen konnte. Niemöller erfand die Maschine ebenfalls. Nach ihrem Vorbild werden jetzt weitere Vollautomaten gebaut und exportiert. In Altenholz soll das im Laufe dieses Jahres 50 Arbeitsplätze schaffen.

Die Wabenstruktur seines Baustoffs sorgt auch für eine optimale Isolierung: Ein Feinvakuum in den einzelnen Waben garantiert eine zehnfach bessere Dämmwirkung als eine gleich dicke Hartschaumplatte bei nur einem Drittel der Kosten. Selbst wenn ein Nagel in die Wand geschlagen wird, entweicht nur aus der betroffenen Wabe Luft. Niemöller: "Unser Haus hat Passivhausstandard."


Informationen im Internet www.the-wall.ch