Wir verdanken ihnen den Sauerstoff zum Atmen. Sie entstanden vor zwei Milliarden Jahren - Details einer faszinierenden Ausstellung.

Dunkelblau, tiefrot, orange, pink, flieder oder hellgelb - unter dem Lichtmikroskop funkeln die filigranen Skelette der Kieselalgen (Diatomeen) wie die schönsten Kirchenfenster der Welt im Sonnenlicht. Seit heute zeigt eine Ausstellung im Zoologischen Museum der Uni Hamburg einige der eindrucksvollsten Werke von Johann Diedrich Möller (1844-1907). Der Hamburger Unternehmer arrangierte Diatomeenschalen zu wunderschönen Minibildern. "Diese Kunstwerke konnte man zunächst nur unter dem Lichtmikroskop genießen, da sie auf zwei mal zwei Zentimeter großen Objektträgern gelegt worden waren", sagt Dr. Helene Kranz. Später ersetzte die Farbfotografie den Blick durchs Mikroskop. Die Biologin, Kuratorin der Ausstellung, und Matthias Burba, ein Möller-Kenner, stellten die Exponate zusammen.

Der im Kreis Pinneberg geborene Sohn eines Leinenwebers baute die optischen Werke "J. D. Möller" auf. Zugleich vertrieb diese Firma Ende des 19. Jahrhunderts gelegte Diatomeen. "Unter dem Legen von Diatomeen versteht man ihre Anordnung auf einem Objektträger in einer vorher bestimmten Form", so Matthias Burba. Kieselalgen wurden für wissenschaftliche Studien oder den ästhetischen Genuss fixiert. Damals war es in bürgerlichen Kreisen Mode, sich Mikroskope in den Salon zu stellen, um die Welt im Kleinen zu betrachten. "Die Salonpräparate, für die Möller die Diatomeen vorzugsweise in geometrischen Mustern legte, dienten der Unterhaltung", erläutert Dr. Kranz.

Zu wissenschaftlichen Zwecken fertigte Möller Präparate an, in denen Diatomeen nach Fundort oder Jahreszeiten gelegt wurden. Diese Kreispräparate oder die in Reihen angeordneten Typenplatten dienten der Bestimmung und Systematisierung der mikroskopisch kleinen Pflanzen. Heute sind etwa 6000 Arten dieser Einzeller bekannt, die es schon seit zwei Milliarden Jahren auf der Erde gibt. Sie sind Hauptbestandteil des Planktons der Meere, kommen aber auch im Süßwasser vor. Ihnen vor allem verdanken wir den Sauerstoff zum Atmen.

Das meiste Material beschaffte sich Möller auf seinen Reisen nach Norwegen, Russland und Nordamerika selber. Kieselalgen aus fernen Gewässern - so gibt es beispielsweise Kunstwerke mit Diatomeen aus Samoa - erhielt er vom Museum Godefroy, so Matthias Burba in seinem Artikel, der in der Zeitschrift "Mikrokosmos" (1/2007) erschienen ist. Das Museum Godefroy, das von Hamburgs größtem Handelshaus betrieben wurde, sammelte weltweit und ließ nach Hamburg zurückbringen, was wissenschaftlich von Interesse sein konnte.

Um die Minikunstwerke zu legen, sortierte Möller die Diatomeen, die von einer zweiteiligen Schale aus Kieselsäure (genauer Siliziumdioxid) stabilisiert werden, unter einer Präparierlupe mit 40-facher Vergrößerung. Mit fein geschliffenen Pferdehaaren arrangierte und fixierte er dann 60 bis 700 Kieselalgen unter mikroskopischer Kontrolle auf einer Fläche von zwei bis sechs Millimeter Durchmesser. "Er hat sich schließlich einen Legetisch gebaut, um diese filigranen Schalen sicher auf Objektträgern anzuordnen", sagt Dr. Kranz. Diese technische Meisterleistung ist - wie die weltweit erste Apparatur zur Fotografie von Mikroskop-Bildern - in der Ausstellung zu bewundern. Das Fotografie-Gerät hat eine Petroleumlampe, Strom gab es noch nicht.

In der Ausstellung ist auch die wohl spektakulärste Anwendung von Diatomeen zu sehen: Alfred Nobels Erfindung des Dynamits (1987). Abgestorbene Kieselalgen bilden im Verlauf der Erdgeschichte ein Sedimentgestein, die Kieselgur. "Diese setzte Nobel dem Nitroglycerin zu, sodass aus dem stoßempfindlichen, sich selbst entzündenden Stoff das stoßunempfindliche Dynamit entstand", erläutert Dr. Kranz.

Heute gibt es keinen schwunghaften Handel mit gelegten Diatomeen mehr, stellt niemand diese filigranen Kunstwerke zum Verkauf her. Die Farbfotografie ersetzte den Blick ins Mikroskop.

Die Ausstellung:

"Die Kunst, Diatomeen zu legen", Johann Diedrich Möller (1844-1907), Zoologisches und Botanisches Museum, Martin-Luther-King-Platz 3, Hamburg, 15.11.-15.4., geöffnet Di-So, 10-17 Uhr (an Feiertagen geschlossen), Eintritt frei, Spenden erwünscht