“Innerhalb von 50 Monaten ist alles vorbei“: Tübinger Chaosforscher sieht die Erde in Gefahr, wenn der größte Teilchenbeschleuniger der Welt in Betrieb geht.

Hamburg. Es ist nicht mehr viel Zeit bis Weltuntergang. Davon ist Professor Otto Rössler überzeugt. Innerhalb von 50 Monaten, fürchtet er, wird die Erde von einem schwarzen Loch verschlungen, wenn der weltgrößte Teilchenbeschleuniger in Genf im Herbst in Betrieb geht. "Am größten Forschungszentrum der Welt für Teilchenphysik könnten das erste Mal in der Geschichte der Menschheit schwarze Löcher auf der Erde erzeugt werden", sagt der Chaosforscher, der bis zur Pension an der Uni Tübingen arbeitete. Ebenso wie der Amerikaner Walter Wagner und der Spanier Luis Sancho, die in Hawaii am 21. März eine Klage gegen die Europäische Organisation für Kernforschung (Cern) eingereicht haben, hält er das Experiment für unverantwortlich.

Dabei geht es nicht um die superschweren schwarzen Löcher, die es im Weltall gibt. Rössler und seinen Mitstreitern bereiten die winzigen schwarzen Löcher Sorgen, die entstehen könnten, wenn in dem 27 Kilometer langen Ringbeschleuniger die Protonen fast mit Lichtgeschwindigkeit aufeinanderprallen. Meist sausen die beiden Teilchenstrahlen zwar auf getrennten Bahnen. Doch um mehr über die Welt kurz nach dem Urknall zu erfahren, kreuzen sich die gegensinnig verlaufenden Strahlen an vier Stellen, wo sie aufeinanderprallen. 40 Millionen Kollisionen pro Sekunde, die genau beobachtet werden, erwarten die Physiker. Jedes Mal werden Myriaden neuer Teilchen entstehen - und vielleicht auch winzige schwarze Löcher.

"Diese Möglichkeit besteht in der Tat", räumte erst jüngst der Physik-Nobelpreisträger Gerhard 't Hooft im Gespräch mit der "Süddeutschen Zeitung" ein. Doch kommt er, im Unterschied zu dem Biochemiker Rössler, dem Physiker und Juristen Wagner und dem Zeitforscher Sancho zu dem Ergebnis, dass diese Löcher keinen Schaden anrichten können. Diese kleinen Monster seien komplett anders als ihre Namensvetter im Weltall. Sie hätten nicht die Kraft, Schaden anzurichten. "Außerdem verdampfen diese Löcher in einem Bruchteil einer Sekunde und haben keine Zeit zu wachsen."

Das sieht Prof. Rössler grundlegend anders, wie er in einer Arbeit im September vergangenen Jahres beschreibt, die bislang von keiner Fachzeitschrift veröffentlicht wurde. "Es könnten bis zu zehn Millionen schwarze Löcher jährlich entstehen. Das reicht, damit eines erhalten bleibt, das eben nicht zerstrahlt und auch nicht wegfliegt, sondern die Erde umkreist und von Zeit zu Zeit Quarks oder andere Elementarteilchen frisst. Nach meinen Berechungen braucht ein solches schwarzes Loch nur 50 Monate, um so zu wachsen, dass es schließlich die ganze Welt auffressen kann", sagt Rössler.

Er fordert, den Versuch auf den Mond zu verlagern. "Die Kosten sind nur um den Faktor zwei oder drei höher", sagte er dem Abendblatt, "der Mond könnte natürlich von einem schwarzen Loch aufgefressen werden, aber das würde auch sehr schön aussehen."

Seine Kritik begründet Rössler im Kern mit zwei Argumenten. Das Erste lautet: Die Annahme von Stephan Hawking, dass alle schwarzen Löcher Strahlung aussenden und daher an Masse verlieren, ist falsch. Niemand habe bewiesen, dass es die Hawking-Strahlung gibt. Deshalb können schwarze Löcher immer nur wachsen und nicht abnehmen. "Doch das übersehen die Physiker des Cern." Das Zweite ist: Falls schwarze Löcher entstehen, dann wachsen sie nicht nur linear. Vielmehr funktioniere das Wachstum nach dem Prinzip von Zins und Zinseszins, also exponentiell. Somit wachsen sie viel schneller, als alle Experten, die sich jemals damit beschäftigt haben, errechnet haben. Diese waren in ihren Szenarien auf einen Zeitraum von fünf Milliarden Jahren gekommen - dann ist die Erde längst unbewohnbar geworden. Auch deshalb, so diese Experten, gehe vom Beschleuniger keinerlei Gefahr aus.

"Die Annahmen des Herrn Rösslers sind irrelevant, insbesondere mit seinen Annahmen zur Natur von schwarzen Löchern steht er ziemlich alleine da in der Wissenschaft", entgegnet Joachim Mnich, der am Deutschen Elektronen-Synchrotron (Desy) in Hamburg-Bahrenfeld und am Cern erforscht, was die Welt im Innersten zusammenhält. "Wir erzeugen am LHC schwere Elementarteilchen aus den Bestandteilen des Protons, und alle diese so erzeugten Teilchen müssen nach kürzester Zeit auch wieder die Bestandteile des Protons, also in Quarks und Gluonen, zerfallen. Völlig unabhängig davon, ob es Hawking-Strahlung gibt oder nicht."

Das Cern setzt sich auf seiner Internetseite seit Längerem mit den schwarzen Löchern und anderen Sicherheitsaspekten auseinander, denn seit Jahren fragen Menschen, ob und welche Gefahren von dem Teilchenbeschleuniger ausgehen. "Immer, wenn man etwas Neues macht, in eine neue Welt vorstößt - und das tun wir am Cern - denken die Leute darüber nach. Das finde ich gut, und man muss die Sorgen der Menschen ernst nehmen", betont der Hamburger Physiker Rolf-Dieter Heuer, der am 1. Januar 2009 Generaldirektor des Cern wird. Zwar würden am Teilchenbeschleuniger Energien erreicht, die höher sind als alles, was je in einem Labor erzielt wurde. "Aber im Vergleich zur Natur ist es wenig. Die Energie kosmischer Strahlung, die aus dem Weltall kommt und jeden Tag auf die Atmosphäre der Erde trifft, ist um vieles höher. In der Erdatmosphäre kommt es also ständig zu Kollisionen. Wenn bei denen winzige schwarze Löcher entstehen, und wenn diese uns bislang noch keine Probleme bereitet haben - und wir sind ja noch da - dann sind die winzigen schwarzen Löcher, die möglicherweise am LHC entstehen, keine Gefahr."

Ob es überhaupt möglich ist, winzige Schwarze Löcher zu erzeugen, wird sich zeigen. Noch weiß niemand, davon ist selbst Rössler überzeugt, ob sie überhaupt entstehen können.

Spüren die Wissenschaftler allerdings die Winzlinge auf, wäre das eine Sensation. Sie bewiesen, dass unser Universum nicht nur aus den uns vertrauten vier Dimensionen besteht, sondern aus viel mehr Dimensionen, die wir nur im Alltag nicht erleben. Das wäre ein Aufbruch in neue Welten - eine kopernikanische Wende, mit der noch viel mehr Fragen verbunden sein werden.