In diesem Jahr der Mathematik veröffentlicht das Hamburger Abendblatt einmal im Monat eine Kolumne über mathematische Alltagsphänomene. Autor dieser Reihe ist Christoph Drösser, Wissenschaftsjournalist und Buchautor des Klett-Verlags ("Der Mathematik-Verführer"). In dieser vierten Folge geht es um "Die mathematische Berechnung menschlichen Verhaltens".

Sonnabendmorgen, die Familie fährt zum Großeinkauf. Schon auf der Einfahrt zum Supermarktparkplatz stockt der Verkehr. Die Mutter erspäht eine freie Lücke: "Fahr da rein, Herbert!" Aber Herbert denkt nicht daran - er glaubt, dass er noch einen Platz näher am Eingang findet. Doch den findet er natürlich nicht, er muss noch eine weitere Runde drehen - und dann ist die ursprünglich freie Parklücke längst besetzt, und der Haussegen hängt wieder ein bisschen schiefer.

Wenn Menschen in Massen auftreten, meint zwar jeder, etwas ganz Besonderes zu sein und individuell zu handeln, aber das Verhalten der Gruppe ist durchaus mathematisch berechenbar. Das Problem der Parkplatzsuche haben zwei Ingenieure aus den USA untersucht. Im Computer simulierten sie einen Kaufhausparkplatz samt Behindertenplätzen und Einkaufswagen-Rückgabe-Stationen. Ihr Ergebnis: Wer einen der ersten freien Plätze nimmt, der muss zwar ein bisschen weiter laufen, aber im Durchschnitt ist er schneller im Laden als derjenige, der unbedingt nahe am Eingang parken will.

Eine andere Stresssituation ist das "Boarding" im Luftverkehr. Das dauert länger, als es müsste, weil Fluggäste, die ihren Koffer im Gepäckfach verstauen, den Gang für die nachfolgenden Passagiere verstopfen. Ein Physiker, der sich sonst mit atomaren Teilchen beschäftigt, hat vor ein paar Wochen eine angeblich optimale Lösung für dieses Problem veröffentlicht. Die funktioniert allerdings nur, wenn die Reihenfolge des Einsteigens exakt festgelegt wird - und sich jeder Fluggast auch dran hält.

Auch die Bildung von Staus auf der Autobahn ist durch mathematische Gleichungen nachvollziehbar. Wissenschaftler können den "Stau aus dem Nichts" erklären, der entsteht, wenn im dichten Verkehr ein einzelner Fahrer zu stark bremst und sich diese Unterbrechung des Verkehrsflusses nach hinten fortpflanzt und verstärkt.

Am besten, so das Ergebnis der Simulationen, fließt der Verkehr, wenn jeder Einzelne die Hoffnung aufgibt, er könne schneller vorankommen als der Nebenmann, und auf Spurwechsel und heftiges Beschleunigen oder Bremsen verzichtet. Am meisten Verkehr verkraftet die Straße, wenn alle Autos mit etwa 85 Kilometern pro Stunde stressfrei dahingleiten.

Führend in der Stauforschung sind übrigens deutsche Wissenschaftler. Im Jahr 2006 durften sie ihre Erkenntnisse bei einem heiklen "Verkehrsproblem" unter Beweis stellen. Ihre Aufgabe: Sie sollten den Strom der Pilger in Mekka optimieren, wo bei der rituellen Steinigung des Teufels im Jahr zuvor 364 Menschen totgetrampelt worden waren. Dank der Mathematik und deutscher Planung verlief die Hadsch ohne Todesopfer.