Er ist eine herausragende Persönlichkeit unserer Zeit - ohne ihn wäre die deutsche Raumfahrt nicht denkbar.

Mit 16,77 Kilometer pro Sekunde fliegt der Asteorid Lüst durchs All. So schnell kann sein irdischer Namensgeber nicht sein. Zumal der Astrophysiker Reimar Heinz Fritz Lüst, der bei Carl Friedrich von Weizsäcker über das Planetensystem promovierte, wissenschaftlicher Direktor der Europäischen Raumfahrtorganisation Esro war und das Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik aufbaute, am 25. März 85 Jahre alt wird. Hamburg verdankt diesem herausragenden Forscher und Manager das Max-Planck-Institut für Meteorologie, Bremen die International University, heute Jacobs University Bremen. Reimar Lüst war Präsident der Max-Planck-Gesellschaft und der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, Vorsitzender des Wissenschaftsrates und Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation Esa. Bis heute geht der Wissenschaftler, der 1992 Professor an der Uni Hamburg wurde, regelmäßig in sein Büro im MPI für Meteorologie an der Bundesstraße. "Es war immer mein Traum, in Hamburg zu leben", sagt der geborene Wuppertaler, der in Kassel, Frankfurt, Göttingen, München, Chicago, Princeton, Cambridge, New York und Paris gelebt hat.

Lüst kennzeichnen seine buschigen Augenbrauen, seine klaren Worte: "Die mangelnde Risikobereitschaft der Deutschen ist das größte Risiko" und seine Bescheidenheit: "Ich habe lediglich versucht, immer wieder Neues auf den Weg zu bringen. Verkrustungen aufzubrechen." Das ist dem eher kleinen Forscher, den sein Biograf Paul Nolte als "Willy Brandt der Wissenschaftspolitik" bezeichnet, sicherlich gelungen.

Mit 48 Jahren wurde er Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, er folgte auf Alfred Butenandt. Werner Heisenberg überzeugte ihn während eines Spaziergangs im Juni 1971 auf dem Kurfürstendamm in Berlin davon, dass er kandidieren solle. Zwölf Jahre übte er das "schönste Amt in der Wissenschaft" aus. "Als ich ging, war ich schon etwas wehmütig, aber ich hatte einiges auf den Weg gebracht", erinnert sich Lüst und schaut in den grauen Himmel über Hamburg.

Sein weiterer Weg war nicht grau. Von München ging es nach Paris. Sechs Jahre war er Generaldirektor der Esa, zehn Jahre übte er danach das Amt des Präsidenten der Alexander-von-Humboldt-Stiftung aus. Entschlossen trieb er in der Zeit die Einbindung der deutschen Wissenschaft in europäische Forschungsverbünde voran.

Ruhestand kennt Lüst bis heute nicht. Er schreibt, redet, schwimmt jeden Morgen, liebt das "richtige" Skilaufen, mischt sich ein. Die Stammzelldebatte erinnere ihn an einen Glaubensstreit. "Die Wissenschaft sollte nicht in Fesseln gelegt werden, Gesetze die Forschung nicht bremsen." Zwar habe er bei seinem Amtsantritt als Max-Planck-Präsident zunächst vorgeschlagen, dass auch Wissenschaftler wie Mediziner einen Eid leisten sollten. "Aber dann hat mir Max Delbrück das ausgeredet. Als Wissenschaftler kann ich nicht wirklich voraussehen, was geschieht, deshalb kann man einen solchen Eid nicht ablegen."

Allerdings sollten die Wissenschaftler gut über die Folgen ihren Handelns - und ihres Nicht-Handelns - nachdenken. "eine Einrichtung wie die Technologie-Folgenabschätzung brauchen wir dafür aber nicht", betont Lüst ausdrücklich.

Unnötig sei auch die deutsche Mondmission, die das Ziel verfolgt, 2013 mit einer deutschen Raumfähre auf dem Erdtrabanten zu landen, urteilt der Mann, ohne den Raumfahrt und Raumfahrtforschung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg undenkbar sind. "Da gibt es doch reizvollere Forschungsziele wie die Sonne, die schwarze Energie und Materie oder die ungelösten Fragen der Elementarteilchenphysik, in die man investieren sollte."

Die Exzellenz-Initiative hingegen findet Reimar Lüst ausdrücklich gut. "Endlich ist etwas in Bewegung gekommen. Aber wenn wir den internationalen Wettbewerb ernst nehmen, dann können wir nur zwei Standorte so fördern, dass sie international mit den Top Ten mithalten können." Beharrlich wirbt er für seinen Plan, eine Universität und eine Technische Universität als Leuchttürme der Wissenschaft direkt vom Bund zu fördern, wie das beispielsweise die Schweizer mit der ETH Zürich tun. Er selber hat sich seinen Traum, eine Hochschule nach US-Vorbild in Deutschland aufzubauen, mit der International University Bremen verwirklicht, die er 1998 auf Wunsch des damaligen Bremer Bürgermeisterns Henning Scherf mit ins Leben rief. Die Väter der beiden Männer kannten sich sogar, beide waren im Verein Christlicher Junger Männer (CVJM) aktiv gewesen. Reimar Lüst, der als zweites von vier Kindern geboren wurde, wuchs quasi im CVJM auf. Denn sein Vater - ein Pietist - leitete eine der Schulen, die der CVJM unterhielt. Seine Mutter ergänzte den CVJM um den Christlichen Verein Junger Mädchen und Frauen. Sie habe ihn mit ihrer Art der Hingabe, sich um Menschen zu kümmern, mehr geprägt als sein sehr strenger Vater, der bereits 1945 starb.

"Ich habe Henning Scherf zunächst einmal einen Brief geschrieben", erzählt Reimar Lüst, "in dem ich einige Bedingungen nannte, unter denen ich diese Aufgabe übernehmen würde."

Sie wurden akzeptiert, und Lüst ging an die Arbeit - und engagierte sich sogar mit eigenem Geld. "Meine beiden Söhne sind so erfolgreiche Physiker, dass sie nichts zu erben brauchten. Also habe ich 2001 mit einer Million Mark, die ich auch durch meine Tätigkeit in Aufsichtsräten erworben hatte, die Reimar-Lüst-Stiftung zur Förderung der IUB gegründet."

Eigentlich feiert Reimar Lüst in diesem Jahr gleich zwei denkwürdige Geburtstage - seinen 85. und seinen 65. "Es war der 11. Mai 1943. Ich war als Ingenieur-Offizier auf dem U-Boot 528. Im Atlantik wurden wir dann mehrfach angegriffen, tauchten auf 200 Meter ab - die Werftgarantie lag bei 110 Meter. Es schien keine Rettung zu geben, ich schloss mit dem Leben ab. Doch wir konnten noch einmal auftauchen, und englische Matrosen haben mich dann aus dem Wasser gezogen, nachdem wir das U-Boot versenkt hatten. Ich habe überlebt", erinnert sich Lüst und ergänzt: Diese Erfahrung habe wohl dafür gesorgt, dass er sein Leben zielgerichteter angegangen sei. Zumindest hat er die Chancen, die sich ihm mit den Lageruniversitäten in den US-Gefängnislagern boten, genutzt. Als er im Frühjahr 1946 nach dreijähriger Gefangenschaft nach Deutschland zurückkehrte, konnte er sein an der Lageruniversität in Texas begonnenes Studium in Frankfurt fortsetzen.

Mehr Lernen, das treibt ihn bis heute um. Am liebsten liest er neuere Geschichte. "Ich wäre auch gern Historiker geworden, aber es war doch richtig, dass ich Physiker geworden bin."